Enuro ist der alte Mandrillmann in Hagenbecks Tierpark. Die Tage seiner Herrschaft in der Affenbande sind aber wohl bald gezählt.
Stellingen. Als Jugendlicher war Enuro extrem cool. Ein König des Hip-Hops, ein "Cowboy", wie sein Tierpfleger Tony Kershaw mit einem Lachen sagt. Einem wehmütigen Lachen: Ist Enuro, der alte Mandrillmann in Hagenbecks Tierpark, doch schon lange kein junger Wilder mehr. Und die Tage seiner Herrschaft in der Affenbande sind gezählt, befürchtet Kershaw.
Was war er für ein Rebell, als er 1992 mit seiner Schwester Lana aus Amsterdam nach Hamburg kam. "Er machte die verrücktesten Drehungen und Pirouetten wie beim Straßentanz", erinnert sich der Reviertierpfleger. "So etwas habe ich noch nie bei einem Affen gesehen." Ein gutes Jahr alt war das junge Mandrillmännchen damals.
Mandrills sind eine Primatenart aus der Familie der Meerkatzenverwandten. Ihre nächsten - und deutlich unauffälliger gefärbten - Verwandten sind die Drills. Mit ihnen bilden sie die Gattung der Backenfurchenpaviane, die jedoch nicht sonderlich nahe mit der Gattung der Paviane verwandt ist, wie man ursprünglich einmal annahm.
Was die Tiere auszeichnet, ist an Enuro gut zu sehen. Das Gesicht der Männchen zeigt ausdrucksstarke Partien in Blau und Rot, und auch ihr Hinterteil ist nicht minder farbenfroh gestaltet: Neonblau leuchtet das Fell oberhalb der Gesäßregion und wirkt so unecht, als habe ein Sprayer einen Anschlag darauf verübt.
Das wäre ihm allerdings sicher nicht sonderlich gut bekommen: Sind die bis zu 50 Kilogramm schweren Männchen nicht nur die schwersten Affen nach den Menschenaffen, sondern auch, mit 6,5 Zentimeter langen Eckzähnen versehen, äußerst wehrhaft.
Tony Kershaw weiß nur zu gut um die Kraft der Tiere: "Enuro sieht sich im ständigen Konkurrenzkampf mit uns. Alle drei Monate geht es mal wieder mit ihm durch, und er springt und donnert gegen die Gitterabsperrung zu uns und droht. Dann haben wir ein kurzes Gespräch unter vier Augen", scherzt der Revierleiter, der von dem Verhalten seines Schützlings eigentlich sehr angetan ist: "Er verteidigt seine Gruppe einfach super, so, wie es sich gehört."
Dabei hatte der Vater von mindestens 15 Nachkommen keinen leichten Start in der Gruppe. Als Enuro neun Jahre alt war, starb das erwachsene Männchen Gari völlig überraschend - "und machte Enuro damit über Nacht und eigentlich viel zu früh zum neuen Boss", sagt Kershaw. Es folgte das Drama: "Wie man es von Affen und Löwen aus dem Freiland kennt, tötete Enuro alle kleinen Kinder seines Vorgängers - sechs Jungtiere jünger als ein Jahr, innerhalb eines halben Jahres", so Kershaw. Danach war Ruhe. Und Enuro mauserte sich zu einem geachteten Chef und liebevollen Vater.
Das Mandrill-Leben findet tags auf dem Boden und nachts auf den Bäumen statt
Mandrills leben in größeren Gruppen in Zentralafrika. Ihr Verbreitungsgebiet umfasst die dicht bewachsenen, tropischen Regenwälder des südlichen Kameruns, Äquatorialguineas, des westlichen Gabuns und des Südwestens der Republik Kongo. Hier suchen die erwachsenen Tiere überwiegend auf dem Boden nach pflanzlicher und gelegentlich nach tierischer Nahrung (Frösche, Echsen, Vögel). Zum Schlafen zieht sich die ganze Gruppe in die Bäume zurück.
Bei Hagenbeck füttern Kershaw und seine Kollegen fünf kleine Portionen, über den Tag verteilt, damit die Tiere Beschäftigung haben. Nachts steht es den Tieren offen, ob sie drinnen oder draußen sein wollen. Kershaw: "Wir haben draußen drei beheizbare Höhlen, die sind sehr beliebt."
Mit 26 Mandrills hatte Hagenbeck lange Zeit die größte Gruppe der vom Aussterben bedrohten Affen in einem Tierpark weltweit. Das nutzten auch viele internationale Forscher: Zuletzt beobachtete ein amerikanischer Biologe bei der Hamburger Gruppe, wie die Tiere Steine in den Mund nahmen - und schloss daraus, dass sich Mandrills "die Zähne putzen", indem sie die Steine im Mund hin- und herschieben.
Für Enuro war das vielleicht der letzte Eingang in einen Forschungsbericht. "Er hat in letzter Zeit stark abgenommen, wirkt immer schwächer", sagt Kershaw. Es sei nur eine Frage der Zeit, wann einer der jungen Männchen, Adam oder Hamadi, das Ruder an sich reißen wird.
Hip-Hop tanzt keiner der beiden.
Lesen Sie nächsten Mittwoch: Zebraschnauzen-Seepferdchen Barbara