Hausratte Rémy sorgt mit seinen Fluchtversuchen für filmreife Szenen. Zur Stärkung gibt es hinterher Obst, Gemüse und Brot.
Hamburg. Es war eine Szene wie aus einem spannenden Science-Fiction-Film: Der Protagonist hatte sich innen an die Tür geklammert, auf den richtigen Moment gewartet - und, als die Tür endlich geöffnet wurde, sich blitzschnell fallen gelassen und die Flucht ergriffen. Doch mit dem unbekannten Monster, das sich ihm in den Weg stellte, hatte er nicht gerechnet. Und so lief er, beim sofort eingeleiteten Ausweichmanöver, seinen Häschern direkt wieder in die Arme ...
So endete der filmreiche Fluchtversuch von Hausratte Rémy. Gut, wie bei allen Filmen muss auch hier über die Vermischung von Dichtung und Wahrheit hinweggesehen werden. "Rémy hat diese Aktion sicherlich nicht geplant", sagt Tierpfleger Tobias Taraba und lacht. Tatsächlich war ihm die Ratte beim Betreten des Geheges vor die Füße gefallen, als Taraba die Tür geöffnet hatte, an der das Tier wahrscheinlich gerade geturnt hatte. Vor Schreck hatte Rémy dann die Flucht in den Schweinestall angetreten, wo ihm, voller Neugier, ein Ferkel der Angler-Sattelschweine entgegengelaufen kam. Zu viel für die junge Ratte: "Als das Ferkel sie jagte, ist sie völlig aufgeregt im Stall hin- und hergerannt. Und mir dabei mehr oder weniger zurück in die Arme gesprungen", sagt Taraba.
Hagenbecks rund 50 Hausratten haben nichts mit unseren Kanalisationsratten zu tun, erklärt Taraba: "Das sind die Wanderratten, die auch die Ursprungsform aller Versuchsratten sind. Sie sind größer als die Hausratten und haben diese mittlerweile fast vollständig verdrängt." In Deutschland steht die Hausratte bereits auf der Roten Liste. Ein Grund mehr für den Tierpark, die Nagetiere im Haustierrevier zu zeigen. Das Gehege ist wie ein Stall eingerichtet: dicke Holzbalken, die innen hohl sind und in denen die Ratten ihre Nester haben, ein Futtertrog, ein Sattel und ein Wagenrad zum Klettern und Verstecken.
"Im Stroh müssen die Tiere nach Maiskörnern und Sonnenblumenkernen suchen, das beschäftigt sie gut", sagt Taraba. Ansonsten bekommen die Hausratten täglich Obst und Gemüse, ab und zu auch Brot. Genau das Richtige für die Kulturfolger: Wo die Hausratten in kälteren Regionen in menschlichen Siedlungen Quartier beziehen, gelten sie als Vorratsschädlinge. In wärmeren Gefilden bauen die Ratten im Freiland ihre Nester in unterschiedlichsten Schlupfwinkeln.
Ursprünglich lebten die dämmerungs- und nachtaktiven Tiere, deren Körper bis 24 Zentimeter und deren Schwanz bis 25 Zentimeter lang werden kann, in wärmeren Felslandschaften in Süd- und Ostasien. Mit den Schiffen des aufkommenden Gewürzhandels in der römischen Kaiserzeit kamen die Ratten auch nach Deutschland - und werden deshalb auch Schiffsratten genannt. Als Überträger von Krankheiten - wie unter anderem der Pest - haben sie in der Bevölkerung nicht den besten Stand. "Ganz ehrlich: Meine Lieblingstiere sind es auch nicht", sagt Tobias Taraba. "Aber man muss sehen, dass sie als Beutetiere in der Natur, zum Beispiel für Greifvögel, Schlangen und Wildkatzen, eine wichtige Rolle spielen."
Und da Ratten bereits im Alter von vier bis sechs Wochen geschlechtsreif werden und nach einer Tragzeit von maximal 23 Tagen bis zu 15 Junge pro Wurf zur Welt bringen, entgehen sie diesem von der Natur vorgesehenen Schicksal auch in Hagenbecks Tierpark nicht - wenn die Gruppe wieder einmal dezimiert werden muss.
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