Das Fernsehen nutzt eine Blondine aus? Eher umgekehrt. Nicht das Fernsehen benutzt die Frauen. Die Frauen benutzten das Fernsehen.
Melbourne. Ausgerechnet der Sandmann. Dieser sympathische Vorzeige-Ossi. Der blieb, als die DDR ging. Sie hat ihn sich auf die rechte Pobacke tätowieren lassen. Ein Symbol trotziger Selbstbehauptung. Und daneben steht: „Schöne Grüße aus dem Osten“. Am dritten Tag im „Dschungelcamp“ (RTL) hat Melanie Müller, 25, ihr tätowiertes Hinterteil zum ersten Mal entblößt, scheinbar zufällig, doch natürlich war dieser Po-Blitzer Teil ihrer Strategie. Hier meldet jemand Anspruch auf den Thron im Dschungel an. Das wasserstoffblonde Busenwunder aus dem sächsischen Grimma gilt für viele von Anfang als Favoritin.
Sogar TV-Moderatorin Sarah Kuttner, sonst nie um einen bissigen O-Ton verlegen, wenn es um Magerwahn und Möchtegern-Models geht, machte aus ihrer Sympathie für die Sächsin keinen Hehl. „Ich will, dass Melanie Dschungelkönig wird“, twitterte sie. „Und wenn ich dafür mein ganzes Vermögen vertelefonieren muss. Isso.“ Das wirft Fragen auf. Es ist schließlich noch gar nicht so lange her, dass es Melanie Müller ins Finale einer Castingshow schaffte, die am Mittwoch bei RTL in die vierte Runde geht: „Der Bachelor“. 22 Frauen, ein Junggeselle. Und die Frage, wer kriegt ihn ins Bett? Laut TV-Kritiker Oliver Kalkofe ein Wettrennen der „Knatterhühner“.
Als RTL dieses Format 2012 nach neun Jahren neu auflegte, ging ein Aufschrei der Empörung durchs Land. Sogar Männer kritisierten, die Kandidatinnen würden das Rad der Emanzipation zurückdrehen. Wie hirnlos müssten sie sein, um sich einem archaischen Rollenmodell unterzuordnen, das noch aus dem Urwald stammt: „Ich Tarzan – du Jane.“
Dass es den Frauen weniger um den Mann ging, sondern um ein Sprungbrett für eine Model- oder TV-Karriere, ging im Getöse unter. Zahlreiche Ex-"Bachelor“-Kandidatinnen hat man danach im Fernsehen wiedergesehen. Einigen gelang sogar der Sprung ins seriöse Fach. Wie Juliane Ziegler, 32, die nach ihrem Auftritt in der ersten Staffel 2003 als Moderatorin der Wissenssendung „Galileo“ Karriere machte.
Doch es waren besonders die Verhaltensauffälligen, die im Gedächtnis bleiben. JinJin Harder, 29, das Biest aus der Staffel von 2012, reiste ein Jahr später mit den „Wild Girls“ (RTL) nach Afrika und nutzte den Rückenwind durch das Reality-TV für eine Modelkarriere. Und dann war da noch Georgina Fleur, 23, – bürgerlich Bülowius –, die Fünfplatzierte der zweiten „Bachelor“-Staffel. Im Januar 2013 tauchte sie im RTL-Dschungel auf. Als Nervensäge vom Dienst. Die Zuschauer hassten das Mädchen. Sie wollten es leiden sehen. Siebenmal in Folge wählten sie es für eine Dschungelprüfung. Negativ-Rekord.
An die Bilder der hysterisch kreischenden Georgina muss man jetzt denken, wenn man sieht, wie souverän Melanie Müller das Image der „Knatterhühner“ konterkariert. Melanie, wer? RTL-Zuschauer erinnern sich vielleicht noch. Frau Müller ist die, die dem treudoofen Bachelor Paul in der zweiten Staffel 2012 auf der Zielgeraden einen Korb gab. Im Whirlpool sitzend verkündete sie mit aufreizender Beiläufigkeit, dass sie doch nichts für ihn empfinde. Die Restaurantfachfrau hat danach alle möglichen Futternäpfe im Trash-TV abgeklappert und ihr Glück als Porno-Darstellerin versucht. So jedenfalls will es die Legende. Sie hat sie vor dem Abflug ins Outback selbst verbreitet.
Mit nackten Tatsachen verkauft man sich eben besser. Und Melanie Müller setzt jetzt alles auf eine Karte. Vor der Show hat sie das Klischee einer Blondine zementiert, die pausenlos an Sex denkt, egal ob mit Männern oder Frauen. Erstaunlicherweise kommt die Müllerin beim Publikum gut an. Außen Marilyn Monroe, innen Else Kling aus der „Lindenstraße“. Mit einem Fallschirm war sie in der grünen Hölle gelandet. Und mit einer Mischung aus Sex-Appeal und klarer Kante, naivem Staunen und großer Klappe schlägt sie sich seither durchs Unterholz. Wer ihr doof kommt, dem geigt sie die Meinung. Larissa, der Nervensäge oder Michael Wendler, 41, dem Schlagersänger, der das Dschungelcamp am vierten Tag mit den Worten „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ verlassen hat. Der freiwillige Auszug bescherte RTL einen Staffel-Rekord. 7,95 Millionen Zuschauer (Marktanteil: 33,9 Prozent) schalteten ein. Der Westfale erklärte im Camp. „Ich merke, wie ich immer schwächer werde.“ Er habe seine Grenzen erreicht. Zudem mangele es an Essen und Hygiene. Da er eine Familie versorgen müsse, könne er sich keine „Keimvergiftung“ leisten.
Doch zurück zu Melanie: Die Bilder aus dem Dschungel zeigen eine ebenso toughe wie empfindsame Unternehmerin, die sich und ihre Rolle selbstkritisch reflektiert. „Ich bediene eben alle Klischees – blond, Titten gemacht und kommt vom Trash-TV“, sinnierte sie am dritten Tag, als sie erzählte, wie sie nach ihrer Rolle beim „Bachelor“ in die Porno-Industrie geriet und wie sie von einem dubiosen Lover abgezockt worden sei. Einen Tag nach der Beichte nahm der beschuldigte Betreiber die kostenlose Filme offline.
Wer Melanie Müller alias Scarlet Young jetzt nackt sehen will, muss dafür bezahlen. Ein Zufall war das wohl nicht. Das Timing spricht für einen PR-Trick. Das passt ins Bild. Nicht das Fernsehen benutzt die Frauen. Die Frauen benutzten das Fernsehen. Klingt wie ein Blondinenwitz. Könnte aber wahr sein.