Neun Monate nach der Reaktorkatastrophe in Folge eines Tsunamis sei die Kaltabschaltung erreicht. Umweltschützer halten Ansage für Gerücht.
Tokio. Die japanische Regierung hat die Atomruine neun Monate nach dem GAU von Fukushima für sicher erklärt. Die durch Erdbeben und Tsunami schwer beschädigten Reaktoren in Fukushima Daiichi seien in einer Kaltabschaltung („cold shutdown“) unter Kontrolle gebracht worden, sagte Ministerpräsident Yoshihiko Noda am Freitag. Umweltschützer kritisieren das als Irreführung der Bevölkerung. Immer wieder war es in den vergangenen Wochen zu Rückschlägen und Zwischenfällen bei den Reparaturen gekommen. So gelangte erst vor einigen Tagen erneut verseuchtes Wasser ins Meer.
Noda sagte auf einer Pressekonferenz, ein „großer Angstfaktor“ sei beseitigt worden. Er entschuldigte sich dafür, dem Volk und aller Welt Sorgen bereitet zu haben. Jetzt müssten die verstrahlten Gebiete dekontaminiert, die Gesundheit der Bürger überprüft und Entschädigungen gezahlt werden. Man werde sich darum bemühen, dass die Betroffenen so schnell wie möglich in ihre Heimat zurückkönnten. Doch viele Bürger hegen Zweifel an den Aussagen der Regierung.
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Nach deren Definition und des Atombetreibers Tepco ist die Kaltabschaltung erreicht, weil die Temperatur am Boden der Druckbehälter unter 100 Grad gehalten wird. Experten und Umweltschützer werfen der Regierung jedoch einen falschen Gebrauch des technischen Begriffs der Kaltabschaltung vor, der für den Normalbetrieb von Kraftwerken geprägt wurde.
„Hier von Kaltabschaltung zu sprechen grenzt an eine bewusste Lüge“, erklärte Reinhard Uhrig, Atomexperte von Global 2000. Die geschmolzenen Brennelemente hätten sich durch den Boden der Druckbehälter gebrannt und lägen nun als Klumpen auf dem Boden der Umhüllung. Dort wiesen sie weiterhin Temperaturen von schätzungsweise 3000 Grad auf. Von einem sicheren Zustand seien die Reaktoren noch weit entfernt.
In dem Akw war am 11. März durch ein Erdbeben der Stärke 9,0 und einen anschließenden Tsunami das Kühlsystem so schwer beschädigt worden, dass die Brennstäbe in den Reaktoren 1 bis 3 vollständig schmolzen. Es ist der schwerste Atomunfall seit der Katastrophe in Tschernobyl 1986. Um die Reaktorkammern zu kühlen, besprühen die Reparaturtrupps sie weiter mit Wasser. Dazu errichtete der Betreiber Tepco ein Zirkulationssystem ein, mit dessen Hilfe inzwischen eine stabile Kühlung der Reaktoren gewährleistet sei. Die Entsorgung des verseuchten Wassers stellt weiter eines der größten Probleme dar.
Hinzu kommt, dass sich die geschmolzenen Brennstäbe noch immer in der Atomruine befinden. Japanische Medien wiesen darauf hin, dass derzeit niemand genau sagen könne, wie es in den Reaktoren aussieht. Die Aufräumarbeiten werden noch Jahrzehnte dauern. Zudem haben gewaltige Mengen radioaktiver Substanzen die Umwelt versucht. Die Regierung hatte im Umkreis von 20 Kilometern um das Atomkraftwerk eine Sperrzone verhängt und ließ Gegenden evakuieren, in denen die aufs Jahr gerechnete Strahlung 20 Millisievert erreicht oder erreichen könnte. Nachdem die Lage in dem Akw nun aber nach offizieller Darstellung unter Kontrolle ist, will die Regierung die Zugangsbeschränkungen laut Medienberichten überdenken. Im Januar 2012 startet die Regierung eine großangelegte Dekontaminierung.
Die japanische Regierung und Tepco hatten das Erreichen des „cold shutdown“ bis Jahresende frühzeitig zu einem zentralen Ziel in ihrem Plan erklärt, die Atomkrise zu bewältigen. Als nächstes wird angestrebt, damit zu beginnen, die verbrauchten Brennstäbe in den Abklingbecken der Reaktoren 1 bis 4 zu beseitigen. Das soll zwei Jahre dauern. Innerhalb von zehn Jahren hoffen Regierung und Betreiber, dann auch die geschmolzenen Brennstäbe aus den Reaktoren 1 bis 3 herausholen zu können. (dpa)