Experten bezeichnen die hohe Strahlung als schockierend, hätte aber erwartet, dass es bereits früher zu derart hoher Strahlung kommt. Jetzt gibt es Spekulationen, ob die Strahlung aus einem neuen Leck durch die letzten Unwetter entstanden ist.
Berlin/London. Drei Arbeiter hätten an der Oberfläche eines Gasabzugsrohrs zwischen Block 1 und 2 des Kraftwerks „über 10 Sievert in der Stunde“ gemessen, schrieb Tepco in einer Pressemitteilung – unter „Verschiedenes“, im vorletzten Absatz, wie nebenbei. Das ist die höchste Radioaktivität, die außerhalb der Gebäude seit der Atomkatastrophe festgestellt wurde. Dass es sich dabei nicht um einen einmaligen Messwert handelte, wurde am Dienstag klar: An einer anderen Stelle des Rohres stellte Tepco erneut „über 10 Sievert“ in der Stunde fest.
„Die Messwerte sind schockierend, aber nicht überraschend“ – So reagierten internationale Atomexperten auf die Werte, die die Betreiberfirma des havarierten Kernkraftwerks Fukushima-Daiichi am Montag veröffentlicht hat.
„Es ist erschreckend, weil wir hier über eine tödliche Dosis sprechen“, sagte der britische Berater für Atomenergie Shaun Burnie. „Aber ich bin eher überrascht darüber, dass nach den heftigen Explosionen in Fukushima noch nicht früher solche Werte gemessen wurden.“
Der in Paris lebende Energie- und Atomexperte Mycle Schneider fordert schon seit Monaten eine Ausweitung der Messungen. „Man kann nur Radioaktivität feststellen, wo und wenn man misst. Nicht nur Tepco misst nicht genug, alle Beteiligten messen nicht genug“, beklagte Schneider. „Die Anzahl der Messstellen und Labors müsste dramatisch ausgeweitet werden.“
Die Betreiberfirma Tepco, die schon vielfach wegen schlechter Informationspolitik kritisiert wurde, hielt sich auch in diesem Fall zurück. Erst nachdem die japanische Presseagentur Jiji Press über die Messwerte berichtet hatte, legte Tepco diese ihrerseits offen. Allerdings geht aus den knappen Zeilen kaum etwas über die Herkunft der gemessenen Radioaktivität hervor. Wo die eigentliche Strahlenquelle liegt, ist deshalb noch unklar.
Sven Dokter, Sprecher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS), hält es für unwahrscheinlich, dass aus einem neuen Leck Radioaktivität austritt. „Die anderen Messwerte auf dem Gelände haben sich seit Tagen nicht verändert,“ sagte Dokter der Nachrichtenagentur dapd. „Das deutet darauf hin, dass Tepco einfach an dieser Stelle zum ersten Mal gemessen hat und dass es da schon seit März so gestrahlt hat.“
Möglich wäre folgendes Szenario: Die beiden Blöcke 1 und 2 teilen sich einen Abluft-Schornstein. Diese wurden benutzt, als in den ersten Tagen nach dem Super-GAU die sogenannten „Ventings“ stattfanden – also kontrollierte Entlüftungen der Sicherheitshüllen um die Reaktoren. Dabei war massiv Radioaktivität entwichen. Teile davon könnten dort im Rohr sein, an dem jetzt gemessen wurde.
Atomexperte Shaun Burnie hält jedoch ebenfalls für denkbar, dass die Strahlenquelle „frischer“ ist. „Wenn diese Radioaktivität von Anfang an dort so hoch gewesen wäre, hätte sie eigentlich schon früher bei einer anderen Messung in der Umgebung festgestellt werden müssen“, sagte er. „Ebenso plausibel ist ein neues Leck durch die Stürme und Regenfälle der vergangenen Wochen, und dadurch eine neue Freisetzung.“
Tepco versprach am Dienstag, die Messstelle abzuriegeln. In diesem Teil des Geländes seien derzeit keine Arbeiten notwendig. Von einer Ausweitung der Messungen sagte die Betreiberfirma nichts. „Dabei muss die Priorität jetzt der Schutz der Arbeiter sein“, sagte Burnie und prognostizierte: „Sie werden noch weiterhin solche katastrophalen ’Überraschungen’ finden – noch monatelang, wahrscheinlich jahrelang.“ (dapd)