Rechtsexperte Heribert Ostendorf über das richtige Strafmaß für Jugendliche

Professor Heribert Ostendorf, 65, leitet die Forschungsstelle für Jugendstrafrecht und Kriminalprävention an der Universität Kiel.

Hamburger Abendblatt:

Die jüngsten Nachrichten über U-Bahn-Angriffe erwecken den Eindruck, die Gewalt Jugendlicher im öffentlichen Raum nehme zu. Ist das zutreffend?

Heribert Ostendorf:

Nein. Die Kriminalstatistik zeigt, dass die Jugendgewalt wie auch die Gewalt insgesamt nicht zu-, sondern abnimmt. Der Eindruck entsteht vor allem dadurch, dass Video-Aufnahmen von U-Bahn-Angriffenimmer öfter an die Öffentlichkeit gelangen. Solche Bilder sind natürlich viel eindrucksvoller als Polizeiberichte.

Welchen Grund kann Gewalt bei Jugendlichen haben?

Ostendorf:

Der Grund ist, wie kürzlich in England zu sehen, oft Frust. Frust darüber, kaum Zukunftschancen für sich zu sehen. Mit der Wohlstandsgesellschaft tagtäglich durch Werbung, Schaufenster und Ähnliches in Berührung zu kommen, aber zu wissen: Das werde ich nicht erreichen.

Was können gegen diese Gewalt tun?

Ostendorf:

Jugendliche brauchen mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dazu gehört vor allem eine berufliche Perspektive. Hat ein Jugendlicher eine Ausbildungsstelle, integriert er sich auch mehr in sein soziales Umfeld.

Die richtige Strafe in solchen Fällen?

Ostendorf:

Strafrechtliche Verantwortung muss eingefordert werden. Auch wenn Lebensumstände eine Tat oft erklären - Erklären heißt nicht Entschuldigen. Es muss nicht immer eine Freiheitsstrafe sein. Wenn ein Richter einen sozialen Trainingskurs an sechs Wochenenden für mehrere Stunden verordnet, ist das schon eine Anforderung.

Eine Haftstrafe ist oft nicht das beste?

Ostendorf:

Es gibt Fälle, in denen wir gezwungen sind, als Ultima Ratio eine Freiheitsstrafe auszusprechen. In Studien wurde allerdings festgestellt, dass die Rückfallquote bei Jugendlichen, die eine Haftstrafe abgesessen haben, größer ist als bei Jugendlichen, die an sozialpädagogischen Kursen teilnahmen.

Wirken Haftstrafen nicht abschreckend?

Ostendorf:

Jugendliche lassen sich von Strafen, die andere betreffen, in der Regel nicht abschrecken. Sie gehen davon aus, dass sie nicht geschnappt werden.