In Lommel haben Angehörige, Staatsführung und Mitbürger bei einer offiziellen Trauerfeier der bei dem Busunfall in der Schweiz Getöteten gedacht.
Lommel. Der Himmel stahlblau. Die Frühlingssonne strahlt. Aber Lommel kennt an diesem Dienstag nur Tränen. Es ist 10.30 Uhr, als der erste Sarg in einem weißen Leichenwagen vor die Sportarena „De Soeverein“ gefahren wird. Soldaten heben ihn auf ihre Schultern. Die Mutter von Nicolas, die sich mit ihrem Mann dem Sarg anschließt, vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Ganz langsam zieht der Zug in die schwarz verhüllte Arena. 5.000 Menschen haben sich dort versammelt. Hunderte weitere verfolgen die Trauerfeier auf Großbildleinwänden vor dem Tor. Der Sarg wird vorbei getragen an einem großen Herz aus gelben Rosen, auf der rechten Seite abgesetzt. Dazu spielt ein Pianist.
Es ist der erste von 15 Särgen, die in die Halle getragen werden. Darin 14 Kinder, elf oder zwölf Jahre alt, die bei dem Busunglück vor einer Woche in der Schweiz ihr Leben verloren. Die aus einer paradiesischen Skifreizeit in den Tod gerissen wurden. Eines der 15 Kinder war schon am Montag beigesetzt worden. Auch eine Betreuerin, die die Schulklasse begleitet hatte. Im 15. Sarg liegt die Leiche des Lehrers, Raymond, 53 Jahre alt. Sie alle kommen von der Schule in der flämischen Kleinstadt an der niederländischen Grenze.
Es dauert eine Dreiviertelstunde, bis alle Särge und Fotos von den zwei schon Beigesetzten aufgebahrt sind. Eine Dreiviertelstunde, in der die Kinder, die Erwachsenen in der Halle leise in sich hinein weinen. Dann kommt König Albert II. mit seiner Frau Paola. Sie verneigen sich eine halbe Minute vor den Särgen, vor den Angehörigen, und geben ihnen anschließend die Hand.
„Ganz Belgien ist in Trauer“, sagt Bart Peeters, ein belgischer Fernsehmoderator und Sänger, der die Zeremonie leitet. „Es ist zu viel Schmerz für einen Neubeginn“, sagt Peter Vanvelthoven, der Bürgermeister von Lommel. „Gibt es etwas Schlimmeres, als wenn Eltern das Wertvollste in ihrem Leben verlieren?“
Es ist eine leise Trauerfeier, die sich ganz den Toten und ihren Angehörigen widmet. Die Regierungschefs aus Belgien, den Niederlanden und der Schweiz, Elio Di Rupo, Mark Rutte und Eveline Widmer-Schlumpf sind gekommen; der niederländische Kronprinz Willem-Alexander und Prinzessin Maxima; EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, er selbst ein Belgier. Aber niemand von Ihnen ergreift während der drei Stunden das Wort, auch kein Geistlicher.
Der Berühmte Jugendchor Scala singt das Lied „Cheerful Friends“. Dann stecken die Geschwisterkinder der Toten rote Rosen in das Herz aus gelben Rosen. Und dann kommen die Eltern und teilen ihre Erinnerungen. Wie die Mutter von Nicolas. Sie erinnert an seine Lieblingsspeisen. Fritten und Pfannkuchen von der Oma. „Lieber Nicolas, ich liebe Dich“, sagt sie mit erstickter Stimme. „Deine Haare im Wind, Deine Hand in meiner“, sagt der Vater von Jennifer. Die Klasse hatte ein Motto: „Gemeinsam stark.“ Und die Kinder hatten vor ihre Abreise in den Schnee ihre Handabdrucke auf einer Karte hinterlassen. Die bunten Kinderhände sind nun auf den Großbildleinwänden zu sehen.
Auch in Deutschland gab es Trauerfeiern, in denen Eltern und Lehrer viel zu früh von ihren Kindern und Schülern Abschied nehmen mussten. 17 waren es nach dem Amoklauf von Erfurt im Jahr 2002, 15 vor drei Jahren in Winnenden. Aber in Lommel gibt es keinen Schuldigen, keinen Hass auf einen Täter. Für die Kinder aus Lommel brachte ein noch immer unerklärlicher Verkehrsunfall den Tod. 52 Schulkinder, Lehrer und Betreuer saßen in dem Bus, der am vergangenen Dienstagabend an einer Tunnelwand bei Siders in der Schweiz zerschellte. Und 28 verloren ihr Leben.
Die beiden Busfahrer gehören zu den Opfern. Sie waren ausgeschlafen, hatten kein Alkohol im Blut. War es der Wechsel einer DVD, durch den Beifahrer, durch einen Lehrer, der den Fahrer ablenkte oder störte und zu einem Fahrfehler brachte? Das ist eine der Pisten, die die Schweizer Staatsanwaltschaft weiter verfolgt, weil nach Angaben von Kindern kurz vor dem Unglück die Bildschirme aufleuchteten. Klarheit wird es vielleicht nie geben.
Eine erhitzte Debatte über die Sicherheit der Tunnel, oder ob Schulklassen besser mit dem Zug verreisen sollten, die gibt es in Belgien nicht. Das Land nimmt die Tragödie als Schicksal an. Und die Tragödie hat das Land zusammengeschweißt. Der Streit zwischen Flamen und Wallonen ist zur Ruhe gekommen. Das liegt auch an Regierungschef Di Rupo, einem Wallonen. Auch wenn er am Dienstag nicht sprach, so hat er in den vergangenen Tagen viele tröstende Reden gehalten. Auf flämisch, was ihm schwer fällt. Aber er wird von den Flamen akzeptiert.
Zum Abschluss der Trauerfeier singt der Chor den U2-Song „With or Without You“. Die Menschen kehren nach Hause zurück, die Särge werden den Familien übergeben, damit sie ihre toten Kinder unter Ausschluss der Öffentlichkeit beisetzen können. Am Donnerstag wird es eine weitere Trauerfeier geben, in Heverlee bei Brüssel. Aus der Sint-Lambertus-Schule dort kamen weitere sieben Kinder und zwei Erwachsene, die in der Schweiz ihr Leben verloren.
Bei der Trauerfeier nahm die Polizei am Mittwoch zwei Deutsche vorübergehend fest. Sie hatten laut Nachrichtenagentur Belga bereits am vergangenen Wochenende die Aufmerksamkeit der Ordnungshüter erregt: Sie skandierten bei Gedenkmessen in den Heimatorten der Opfer, Heverlee und Lommel, der Busunfall in der Schweiz sei eine Strafe Gottes gewesen. Die Polizei setzte die beiden Störenfriede bei der Feier am Mittwoch vorsorglich fest. Nach der Zeremonie wurden sie wieder auf freien Fuß gesetzt. Sie sollen einer evangelikalen Sekte angehören.
(dapd/dpa)