In seinem Brief bittet Papst Benedikt XVI. die Opfer der Missbrauchsfälle in der irischen Kirche um Verzeihung und ordnet Untersuchungen an.

Vatikanstadt. Papst Benedikt XVI. hat sich über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in Irland beschämt geäußert und eine Bestrafung der Verantwortlichen gefordert. In seinem am Sonnabend veröffentlichten Hirtenbrief erklärte das Oberhaupt der katholischen Kirche, beim Umgang mit den Missbrauchsfällen in Irland seien „schwerwiegende Fehler“ gemacht worden. Die Täter müssten sich für ihre Vergehen nicht nur „vor Gott“, sondern auch vor ordentlichen Gerichten verantworten.

Der Papst kündigte in dem Hirtenbrief einen Besuch in den betroffenen Diözesen an, um den Gemeinde auf ihrem „Weg der Erneuerung“ zu helfen. In Irland hatten katholische Würdenträger laut einem im Auftrag der Regierung erstellten Untersuchungsbericht jahrzehntelang Vergewaltigungen und Misshandlungen von Minderjährigen durch Geistliche vertuschten. Insgesamt ist von 14. 500 Opfern die Rede. Zu den Missbrauchsskandalen in anderen Ländern, darunter auch in Deutschland, äußerte sich der Papst in dem Hirtenbrief nicht explizit.

Übersetzte Auszüge des Briefes:

1. Liebe Brüder und Schwestern der Kirche in Irland, ich schreibe Euch als Hirte der universalen Kirche mit großer Besorgnis. Wie Euch haben auch mich die ans Licht gelangten Informationen über den Missbrauch von Kindern und jungen Schutzbefohlenen durch Mitglieder der Kirche von Irland, besonders durch Priester und Ordensleute, tief beunruhigt. Ich kann die Bestürzung und das Gefühl von Vertrauensbruch nur teilen, das so viele von Euch empfunden haben, als sie von diesen sündhaften und kriminellen Taten sowie von der Art und Weise erfuhren, wie kirchliche Autoritäten in Irland damit umgegangen sind. (...)

2. In Anbetracht der Schwere der Vergehen und der oft unzureichenden Reaktion darauf von Seiten der kirchlichen Autoritäten in Eurem Land habe ich entschieden, diesen Hirtenbrief zu schreiben, um meine Nähe zu Euch auszudrücken und einen Weg der Heilung, der Erneuerung und der Wiedergutmachung vorzuschlagen. Es ist wahr, dass, wie viele in Eurem Land betont haben, das Problem des Kindesmissbrauchs weder spezifisch für Irland noch für die Kirche ist. Trotzdem steht Ihr jetzt vor der Aufgabe, das Problem des Missbrauchs aufzuarbeiten, das sich in der irischen katholischen Gemeinschaft ereignet hat, und dies mit Mut und Entschlossenheit zu tun. Niemand erwartet, dass diese schmerzliche Situation sich schnell lösen lässt. Wirklicher Fortschritt ist gemacht worden, aber es bleibt noch mehr zu tun. (...)

Um sich von dieser schmerzlichen Wunde zu erholen, muss die Kirche in Irland als erstes vor Gott und vor anderen die schweren Sünden bekennen, die gegenüber schutzlosen Kindern begangen wurden. Ein solches Eingeständnis, begleitet von aufrichtiger Reue für den bei den Opfern und ihren Familien angerichteten Schaden, muss zu einem gemeinsamen Bemühen führen, den Schutz von Kindern vor ähnlichen Verbrechen in der Zukunft zu gewährleisten. (...)

4. (...) Eine klarsichtige Diagnose der Gründe der gegenwärtigen Krise kann nur unternommen und wirksame Lösungen können nur gefunden werden, indem man die vielen Elemente untersucht, die zu der Krise geführt haben. Sicher können wir zu den beisteuernden Faktoren zählen: unzureichende Verfahren zur Bestimmung der Eignung von Kandidaten für das Priesteramt und das Ordensleben; unzulängliche menschliche, moralische, intellektuelle und geistige Ausbildung in Seminaren und Noviziaten; eine Tendenz in der Gesellschaft, den Klerus und andere Respektspersonen zu bevorzugen; und eine fehlgeleitete Sorge um das Ansehen der Kirche und das Vermeiden von Skandalen mit dem Ergebnis, das Fehler bei der Anwendung bestehender kanonischer Strafen und beim Schutz der Würde jedes Menschen gemacht wurden. Es muss dringend gehandelt werden, um diesen Faktoren zu begegnen, die so tragische Konsequenzen im Leben der Opfer und ihrer Familien hatten und das Licht des Evangeliums in einem Maße verdunkelten, wie es nicht einmal Jahrhunderte der Verfolgung vermochten.

5. (...) Mit diesem Brief möchte ich Euch alle als Gottes Volk in Irland ermahnen, über die auf Christi Körper hinterlassenden Wunden nachzudenken, über die manchmal schmerzhaften Lösungen, die nötig sind, um die Wunden zu verbinden und zu heilen und über die Notwendigkeit zu Einheit, Barmherzigkeit und gegenseitiger Unterstützung in dem langwierigen Prozess der Erholung und der kirchlichen Erneuerung. (...)

6. An die Missbrauchsopfer und ihre Familien

Ihr habt schmerzlich gelitten und das tut mir aufrichtig leid. Ich weiß, dass nichts das Unrecht ungeschehen machen kann, dass Ihr erlitten habt. Euer Vertrauen wurde verraten und Eure Würde wurde verletzt. Viele von Euch haben erfahren, dass keiner zugehört hat, als ihr den Mut hattet auszusprechen, was Euch passiert ist. (...) Es ist verständlich, dass es Euch schwer fällt, der Kirche zu vergeben oder Euch mit ihr zu versöhnen. In ihrem Namen bekunde ich offen die Scham und die Reue, die wir alle empfinden. Gleichzeitig bitte ich Euch, die Hoffnung nicht zu verlieren. In der Gemeinschaft der Kirche begegnen wir Jesus Christus, der selbst ein Opfer von Ungerechtigkeit und Sünde war. (...)

7. An Priester und Ordensleute, die Kinder missbraucht haben

Ihr habt das Vertrauen verraten, dass junge unschuldige Menschen und ihre Familien in Euch gesetzt hatten. Und ihr müsst Euch vor dem allmächtigen Gott und den zuständigen Gerichten dafür verantworten. (...) Zusammen mit dem Leid, das den Opfern zugefügt wurde, wurde auch die Kirche und das öffentliche Ansehen des Priesteramtes und Ordenslebens beschädigt. Ich ermahne Euch, Euer Gewissen zu prüfen, Verantwortung für begangene Sünden zu übernehmen und demütig Reue auszudrücken. (...). Erkennt eure Schuld offen an, unterwerft euch den Forderungen des Rechts, aber verzweifelt nicht an Gottes Gnade.

(...)

11. An meine Brüder im Bischofsamt

Es kann nicht bestritten werden, dass einige von Euch und Euren Vorgängern – manchmal schwer – dabei versagt haben, die lange feststehenden Normen des Kirchenrechts zum Verbrechen des Kindesmissbrauchs anzuwenden. Schwere Fehler wurden bei der Behandlung von Anschuldigungen gemacht. Ich verstehe, wie schwierig es war, das Ausmaß und die Komplexität des Problem zu begreifen, glaubwürdige Informationen zu bekommen und richtige Entscheidungen vor dem Hintergrund widersprüchlicher Expertenratschläge zu treffen. Trotzdem muss anerkannt werden, dass schwere Fehler bei der Beurteilung gemacht wurden und Führungsfehler passiert sind. All das hat Eure Glaubwürdigkeit und Leistungsfähigkeit ernsthaft untergraben. Ich begrüße die Fortschritte, die Ihr gemacht habt, um vergangene Fehler zu beheben und zu gewährleisten, dass sie nicht wieder passieren. Außer der vollen Umsetzung der Normen des Kirchenrechts zu Fällen von Kindesmissbrauch: Arbeitet weiter mit den Zivilbehörden in ihrem Zuständigkeitsbereich zusammen. Ordensobere sollten ebenso handeln. (...). Nur ein entschiedenes Handeln, das mit vollkommener Ehrlichkeit und Transparenz vollzogen wird, wird den Respekt und den guten Willen des irischen Volkes zur Kirche wiederherstellen (...).

14. (...) Ich beabsichtige, eine Apostolische Visitation in einigen Diözesen, Seminaren und Orden in Irland durchzuführen. Vorbereitungen der Visitation, die die Ortskirche auf ihrem Weg der Erneuerung begleiten soll, werden in Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Römischen Kurie und der Irischen Bischofskonferenz gemacht. Die Details werden zu gegebener Zeit bekanntgegeben. (...)

Seit die Schwere und das Ausmaß des Problems des Kindesmissbrauchs in katholischen Institutionen erkannt wurde, hat die Kirche ungeheure Arbeit in vielen Teilen der Welt geleistet, um dem Problem zu begegnen und es zu lösen. Es dürfen keine Mühen gescheut werden, die bestehenden Handlungsweisen zu verbessern und anzupassen. Zugleich ermutigt mich die Tatsache, dass geltende Schutzmaßnahmen, die Ortskirchen eingeführt haben, in einigen Teilen der Welt als Vorbild für andere Institutionen gesehen werden.

Ich möchte diesen Brief mit einem besonderen Gebet für die Kirche in Irland beenden, das ich euch mit der Sorge eines Vaters für seine Kinder und der Liebe eines Mitchristen sende, der schockiert und verletzt von dem ist, was in unserer geliebten Kirche geschehen ist. (...)

Aus dem Vatikan, 19. März 2010, am Hochfest des Heiligen Joseph

Benedictus PP XVI