Hamburg. Im Abstiegskampf der Fußball-Bundesliga sieht es nach einem Vierkampf aus. Der Aufsteiger aus Hamburg hat (noch) die besten Karten.
„In Sachen Effizienz hat der Gegner uns heute Einiges voraus gehabt und am Ende deswegen gewonnen. Das ist die nackte Wahrheit.“ Sagte Hauke Wahl. Der Verteidiger des FC St. Pauli sprach da aber nicht über die 0:2-Niederlage gegen Werder Bremen am vergangenen Sonnabend. Sondern über das erste Spiel nach der Rückkehr in die Fußball-Bundesliga am 25. August.
Ergebnis damals: 0:2 gegen den 1. FC Heidenheim. Déjà-vu am Millerntor also. Und während nach der Auftaktpleite im August die Beteiligten beim Aufsteiger noch von „Mutmacher“ und „daraus lernen“ sprachen, zeigt sich 14 Spiele später, dass es in einigen spielentscheidenden Bereichen mit der Lernkurve wohl doch nicht so schnell geht, wie erhofft.
St. Pauli: Die Konkurrenz ist noch schlechter
Nach 14 von 17 Spieltagen der Hinrunde stehen die Hamburger mit elf Punkten auf Platz 15. Und damit auf dem ersten direkten Nicht-Abstiegsplatz. Der VfL Bochum (3), Holstein Kiel (5) und der 1. FC Heidenheim (10) sind, was die Punkteausbeute betrifft, noch schlechter. Dieses Ergebnis würde man am Millerntor natürlich nach 34 Spieltagen mit Kusshand akzeptieren. Aber: St. Paulis Stärke ist vor allem die Schwäche der Konkurrenz. Aktuell ist der Kiezclub der einäugige König in der Ersten Liga.
Der Tabellenletzte Bochum konnte noch keine einzige Partie gewinnen. Dass der Club nun hofft, aus dem Feuerzeugwurf beim 1:1 bei Union Berlin sportlich Kapital durch einen Sieg am Grünen Tisch zu ergattern und am Montag offiziell Protest einlegte, mag angesichts der Situation verständlich sein. Auch der VfL hat wie St. Pauli erst elf Tore geschossen, aber schon 35 zugelassen, während die Hamburger nur 19 Gegentore kassiert haben.
Bundesliga: Abstiegsgipfel im Januar
Die Bochumer, die sich in der vergangenen Saison erst in der Relegation durch einen spektakulären Sieg im Elfmeterschießen gerettet hatten, haben die beliebteste Maßnahme in einer solchen Situation schon getroffen. Doch der Trainerwechsel von Peter Zeidler hin zu Ex-HSV-Coach Dieter Hecking verpuffte bislang.
St. Pauli trifft am letzten Spieltag der Hinrunde, der allerdings erst im neuen Jahr am 15. Januar stattfindet, auf Heckings Mannschaft. Mittwochabend, 18.30 Uhr, Flutlicht an der Castroper Straße und trotz anhaltender Klimakrise vermutlich bei nasskaltem Wetter. Für die Hamburger eines der wichtigsten und schwierigsten Auswärtsspiele der Saison. Mit 194 Fouls in dieser Saison steht Bochum in dieser Statistik zumindest ganz oben. St. Pauli kam mit 141 aus (Platz 14).
St. Pauli braucht einen neuen Stürmer
Aktuell ist aber noch nicht sicher, wer bei beiden Mannschaften dann überhaupt auf dem Platz steht. St. Paulis Bedarf an einem treffsicheren Stürmer ist bekannt. Auch Elias Saad, dessen Offensivkraft den Hamburgern merklich fehlt, könnte dann nach monatelanger Verletzung wieder fit sein.
Und der VfL liebäugelt aktuell mit der Verpflichtung eines Weltmeisters. Christoph Kramer ist seit seinem Aus bei Borussia Mönchengladbach im Sommer ohne Verein. „Er war Spieler bei Dieter Hecking. Die hatten auch ein ganz gutes Verhältnis. Es würde daher ganz im Speziellen passen“, sagte der Geschäftsführer des Bundesliga-Schlusslichts, Ilja Kaenzig, zuletzt.
Bundesliga: Kehrt ein Weltmeister nach Bochum zurück?
Kramer könnte beim Revierclub noch mal für neue Energie sorgen. Welche Auswirkungen Transfers auf die Saison haben können, musste auch ein anderer Abstiegskonkurrent im Sommer erfahren – allerdings im negativen Sinne. Beim 1. FC Heidenheim war der personelle Aderlass im Sommer enorm.
Unter anderem Jan-Niklas Beste und Tim Kleindienst verließen den Verein, der es gewohnt ist, dass seine besten Spieler weiterziehen. Beste wechselte zu Benfica Lissabon. Kleindienst ging zu Borussia Mönchengladbach. Die Leistungsträger zu ersetzen, war schwer. Es war klar, dass dies nur über das Kollektiv möglich sein wird. In der Vergangenheit war genau das eine der Stärken der Schwaben.
Heidenheimer Aderlass im Sommer war enorm
Beste wurde nicht gleichmäßig ersetzt. Zudem fehlt die Standardstärke des 25-Jährigen sehr. Neuzugang Sirlord Conteh, der von Paderborn geholt wurde, überzeugt bislang noch nicht. Der Rechtsaußen blieb in seinen Leistungen noch vieles schuldig. Ähnliches gilt für Linksaußen Mathias Honsak. Der 27-Jährige kommt auf ein Tor und eine Vorlage in acht Einsätzen.
Ein anderer Neuzugang sorgte hingegen für Aufsehen – und machte sogar Bundestrainer Julian Nagelsmann auf sich aufmerksam. Paul Wanner, 18 Jahre alte Leihgabe vom FC Bayern München, erzielte zuletzt am Sonntag im Spiel gegen den VfB Stuttgart einen sehenswerten Treffer, der eigentlich keine Niederlage verdient gehabt hätte.
Heidenheim-Coach zählt sein Team an
Doch Wanners Tor war das einzige, das den Heidenheimern an diesem Abend gelingen sollte. Die Stuttgarter, die doppelt so viele Torschüsse abgaben, gewannen mit 3:1. Für den Aufsteiger war es die siebte Niederlage in Serie. Eine derartige Situation habe er noch nie erlebt, sagte Heidenheims Langzeit-Trainer Frank Schmidt im Anschluss.
Dabei war es Schmidt, der sein Team wenige Tage nach der 1:3-Niederlage beim Basaksehir FK in der Conference League öffentlich angezählt und eine „Nicht-Leistung“ seines Teams gesehen hatte: „Wir sind nicht annähernd – mit Abstrichen der ein oder andere – an unser Leistungsminimum herangekommen“, sagte der 50-Jährige.
Bundesliga: Holstein Kiel ist die Schießbude der Liga
Aktuell muss er, der den Verein aus der Fünften Liga bis nach Europa geführt hat, dem märchenhaften Aufstieg und den Strapazen durch den Europapokal erstmals Tribut zollen. St. Pauli wird sich unterdessen vor allem über die Spieltagsansetzungen ärgern: Die drei verlorenen Punkte aus dem Heimspiel gegen die damals stärker eingeschätzten Heidenheimer schmerzen im Nachhinein besonders.
Umso wichtiger für die Kiezkicker, dass das direkte Duell gegen Holstein Kiel gewonnen wurde. Auch der Mit-Aufsteiger hat große Probleme in der Bundesliga, in der sie mit 37 Gegentoren nach 14 Spielen die schlechteste Abwehr stellen und erst fünf magere Pünktchen gesammelt haben. Zuletzt verloren die „Störche“ mit 1:4 bei Borussia Mönchengladbach, was sich „Scheiße“ angefühlt habe, wie Kapitän Lewis Holtby die Reporter wissen ließ.
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In der Offensive lief es mit 14 Treffern bislang etwas erfolgreicher als bei St. Pauli. Nach aktuell fünf Niederlagen am Stück wird man sich an der Ostsee auch nach der Winterpause sehnen und auf einen Neustart im neuen Jahr hoffen. St. Pauli hat die Situation der Konkurrenz sicherlich genau im Blick. Dazu hört derzeit auch noch die TSG Hoffenheim, als Tabellen-14. mit nur drei Punkten Vorsprung für St. Pauli absolut in Reichweite.
So oder so tun die Kiezkicker gut daran, diesmal wirklich daraus zu lernen, damit die Kurve etwas steiler steigt als zuletzt.