Hamburg. Vor dem Nordduell gegen Werder Bremen: Der Aufsteiger hat die Qualitäten, ein „echter Bundesligist“ zu werden. Defensive als Trumpf.

Überrascht Sie die Überschrift über diesen Text? Zugegeben, in den ersten Monaten gab es in der Fußball-Bundesliga nicht allzu häufig Grund zum Siegesjubel für die Anhänger des FC St. Pauli. Acht Niederlagen, zwei Remis und drei „Dreier“, so lautet die Bilanz der Hamburger nach einem guten Drittel der Saison. Nicht zu vergleichen mit dem Rausch in der vergangenen Zweitliga-Saison, als es in 34 Spielen nur fünf Pleiten zu betrauern galt. Und dass die Braun-Weißen mit elf Punkten über dem Strich, also auf Nichtabstiegsplatz 15, liegen, haben sie nur der Schwäche der Konkurrenz zu verdanken – so könnten Sie argumentieren.

Bereit für ein paar Zahlenspiele? Tatsächlich ist die Ausbeute vom VfL Bochum (2), von Holstein Kiel (5) und dem 1. FC Heidenheim (10) mit insgesamt 17 Zählern die Bilanz des Grauens und erinnert an ganz alte Zeiten. Auch Tasmania Berlin, Borussia Neunkirchen und der Karlsruher SC sammelten in der Serie 1965/66 – auf die Drei-Punkte-Regelung umgerechnet – ebenfalls nur 17 Zähler. 17 von theoretisch 117, alles ziemlich mies, oder?

FC St. Pauli: Nur knappe Niederlagen gegen Topteams

Wie gefährlich es sein kann, voreilige Ableitungen und Interpretationen aus Statistiken und Daten vorzunehmen, davor warnt dieses Sprichwort: „Die Durchschnittstemperatur eines Sees sagt nichts darüber aus, ob man beim Schwimmen erfriert.“

Nehmen wir beispielsweise die Partien des FC St. Pauli gegen die Topteams FC Bayern München, Borussia Dortmund, RB Leipzig und am vergangenen Wochenende Meister Bayer Leverkusen, in denen das Team von Alexander Blessin kumuliert nur einen Punkt ergattern konnte. Fakt ist aber auch, dass St. Pauli drei Begegnungen lediglich mit jeweils einem Tor Differenz verloren geben musste.

Ein beeindruckender Beleg für die defensive Stabilität der Mannschaft, die insgesamt nur 17 Gegentore hinnehmen musste, während es beim Tabellenletzten Bochum doppelt so viele sind. Umgekehrt haben bisher nur drei (!) Vereine weniger Tore kassiert (Bayern, Leipzig, Union Berlin).

St. Pauli: Abgang von Meistertrainer Hürzeler verkraftet

Selbstverständlich darf in dem Zusammenhang ein Hinweis auf die Torarmut (11) nicht fehlen – nur Bochum (10) ist schlechter. Aber im Hinblick auf den weiteren Saisonverlauf erscheint es deutlich wertvoller, dass die Spieler um Kapitän Jackson Irvine in keiner Partie abgeschlachtet wurden, was am Selbstvertrauen und der Stimmung im Team kratzen könnte.

Ich habe in den vergangenen Tagen häufiger Stimmen von St.-Pauli-Sympathisanten gehört, die die aktuelle Situation eher skeptisch analysierten und vor allem die mangelnde Torgefahr monierten. Aber mal ganz ehrlich: Gibt es wirklich irgendeinen Grund, vor dem Nordderby gegen Werder Bremen am Sonnabend unzufrieden mit der sportlichen Lage zu sein, zumal ja mit Fabian Hürzeler recht kurzfristig noch der Meistertrainer zu Brighton nach England wechselte? Enttäuschungen haben ihre Ursache im Sport (und nicht nur dort) häufig aus vorher viel zu hoch angesetzten Erwartungen. Realistisch betrachtet liegt der FC St. Pauli, was den erträumten Klassenerhalt betrifft, voll im Soll. Und das, obwohl sich Sportchef Andreas Bornemann bei den Transferausgaben im Sommer mehr als zurückhielt. Rund 1,8 Millionen Euro sind im Vergleich zur Konkurrenz in der Liga ein Witz.

St. Paulis Trainer Blessin setzt auf Kontinuität

Dass ein, zwei Millioneneinkäufe aber nicht nur floppen, sondern ein ganzes Gebilde in Unordnung bringen können, dafür gibt es Beispiele genug, auch wenn jeder St.-Pauli-Fan den Impuls haben wird: Okay, akzeptiert, aber im Winter muss der Club in der Offensive nachlegen.

Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, die Klasse zu halten, heißt es aber vor allem: Auf Kurs bleiben, nicht die eigene Identität verlieren, als Team zusammenarbeiten, all das sind die Zutaten für einen erfolgreichen Abstiegskampf, in dem der FC St. Pauli ab der ersten Minute der Saison steckte. Dass Blessin dreimal in Folge die gleiche Startformation wählte, spricht für die nötige Ruhe, in der gearbeitet wird.

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„Wir sind ein Aufsteiger, aber kein Bundesligist“, hatte Präsident Oke Göttlich im August im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“ gesagt. Nach 13 Spieltagen belehrt ihn die Mannschaft eines Besseren. Man kann es ja auch mal so sehen: Der FC St. Pauli ist konkurrenzfähig und lässt derzeit sogar die hochgelobten Heidenheimer von Trainer Frank Schmidt hinter sich. Und die dürfen sich immerhin Europapokal-Teilnehmer nennen.