Hamburg. Der St.-Pauli-Stürmer galt in Bremen einst als riesiges Talent, fand sein Profi-Glück aber woanders. Wie er auf die Zeit zurückblickt.

Selbst beim Abiball hatte Johannes Eggestein keine Ruhe vor Werder Bremen. Als der heutige Stürmer des FC St. Pauli im Frühjahr 2016 seinen Schulabschluss am Gymnasium Obervieland feiern wollte, stand plötzlich Thomas Wolter neben ihm. Der war als Sportlicher Leiter im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) der Grün-Weißen so etwas wie Eggesteins Vorgesetzter, hatte an diesem Abend aber nicht die Absicht, dessen Partypläne zu überwachen.

„Ich habe ihm gesagt, dass er ruhig mal feiern kann“, sagt Wolter und lacht. Zum Abiball war der Bremer NLZ-Chef lediglich gekommen, weil seine Tochter Pia-Sophie zufällig mit Eggestein in eine Klasse ging. Karriere machten später beide. Während Pia-Sophie Wolter am Montagabend mit den Frauen von Eintracht Frankfurt die Herbstmeisterschaft in der Frauen-Bundesliga feierte, empfängt Johannes Eggestein am Sonnabend (18.30 Uhr, Millerntor-Stadion) mit den Kiezkickern den SV Werder.

St. Paulis Eggestein freut sich auf seine früheren Mitspieler

„Ich bin in Bremen groß geworden. Deshalb habe ich da eine emotionale Bindung, die ich zu keinem anderen Verein habe“, sagt Eggestein, der in Marco Friedl, Romano Schmid, Michael Zetterer und auch Milos Veljkovic auf zahlreiche frühere Mitspieler treffen wird. „Wenn wir im Weserstadion spielen würden, wäre das noch besonderer für mich.“

Im Sommer 2013 war der gebürtige Hannoveraner vom TSV Havelse an die Weser gewechselt. Zwei Jahre zuvor hatte bereits sein eineinhalb Jahre älterer Bruder Maximilian, der heute für den SC Freiburg aktiv ist, den gleichen Weg bestritten. „Es waren viele Vereine an ihm und seinem Bruder dran. Mich hat bei der Familie Eggestein immer beeindruckt, wie gelassen sie damit umgegangen sind“, erinnert sich Wolter.

Mit Bruder Maximilian teilte er sich ein Internatszimmer

Im Wilhelm-Scharnow-Internat teilten sich die Brüder mehrere Jahre lang ein Doppelzimmer direkt in der Ostkurve des Weserstadions. Insbesondere Johannes Eggestein galt in der B- und A-Jugend als eines der größten Talente im deutschen Fußball, durchlief sämtliche Junioren-Nationalmannschaften, wurde bei der U-17-WM 2015 zweitbester Torschütze. „Der große Hype war immer um Johannes, nicht um Maximilian“, sagt Wolter.

Um in dieser Zeit nicht abzuheben, sei auch Vater Karl entscheidend gewesen. Jeden Mittwoch besuchte der frühere Zweitligaprofi seine Söhne in Bremen, schaute nachmittags beim Training zu und ging mit ihnen abends essen, damit sie mal aus dem Internat herauskamen. „Ihr Vater war der Entspannteste überhaupt, außerdem hatten beide in Gunther Neuhaus einen super Berater“, sagt Wolter.

Bundesligadebüt unter Alexander Nouri

Weil beide Eggestein-Brüder Geschwindigkeitsnachteile erkannten, legten sie Extraschichten ein. „Beide Jungs waren so fleißig, haben ihr Abitur mit Bravour bestanden und nebenbei noch enorm viel trainiert. Sie haben mit unserer Athletiktrainerin morgens noch vor der Schule gearbeitet, das war unfassbar“, erinnert sich Wolter.

Bereits als A-Jugendlicher durfte Johannes Eggestein regelmäßig bei den Werder-Profis mittrainieren, gab im August 2017 unter Alexander Nouri zu Hause gegen den FC Bayern München (0:2) Profidebüt. „Es hat geholfen, einen Bruder zu haben, der zwei Jahre vor mir schon im Internat war. Im Profibereich gibt es ja auch die eine oder andere ungeschriebene Regel, die man als Nachwuchsspieler nicht kennt. Wenn man da einen Bruder hat, der einem das weitergeben kann, ist das sehr hilfreich“, sagt Eggestein. „Da ist man als junger Spieler dann beispielsweise dafür zuständig, die Sachen vom Trainingsplatz zu räumen. In der Jugend war das anders.“

Nur Maximilian Eggestein wurde Stammspieler bei Werder

45 weitere Bundesligaeinsätze für Werder sollten folgen, der Schritt zum Stammspieler gelang ihm an der Weser allerdings nie. „Die Offensive war damals sehr gut besetzt, außerdem war es für mich schwierig, in das System hereinzukommen“, sagt der 26-Jährige heute. „Es waren schwierige Zeiten, für junge Spieler wirklich Fuß zu fassen. Mein Bruder ist der einzige Nachwuchsspieler, der mir in Erinnerung kommt, der es wirklich zum Stammspieler geschafft hat.“

Trotzdem ging der Hype um das Werder-Talent weiter, im Sommer 2019 hatte Johannes Eggestein einen Marktwert von zehn Millionen Euro – wohl auch, weil sein Bruder zu diesem Zeitpunkt bereits bei 30 Millionen Euro stand. „Eine Katastrophe“, sagt Wolter heute. „Das macht etwas mit dir als junger Spieler, da kannst du noch so reif und geerdet sein.“

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2020 ließ sich Johannes Eggestein zunächst für ein Jahr zum Linzer Athletik-Sport-Klub nach Österreich verleihen, ehe im Sommer darauf ein fester Wechsel zu Royal Antwerpen nach Belgien folgte. „Er war einfach zu jung. Als Mittelstürmer ist es in jungen Jahren extrem schwierig, er musste sich gegen viele gestandene Profis behaupten“, sagt Wolter. „Irgendwann ist man bei einem Verein in einer Schublade drin, was die Qualität betrifft. Es war richtig von ihm, zu anderen Vereinen zu gehen.“

Im Sommer 2022 folgte dann nach einem Jahr in Antwerpen der Wechsel zu St. Pauli, wo Eggestein heute unumstrittener Stamm- und Führungsspieler ist. Und vielleicht gelingt ihm am Sonnabend gegen seine alte Liebe ja ein Sieg, nach dem er so ausgelassen feiern darf wie auf dem Abiball 2016.