Hamburg. St. Paulis und Bayern Münchens Ultras sind eng miteinander verbunden. Dies liegt an einem Ereignis – und steht nun auf der Probe.

Uli Hoeneß outete sich bereits vor geraumer Zeit als heimlicher Anhänger des FC St. Pauli. „Wenn ich im Fernsehen St.-Pauli-Spiele sehe, ertappe ich mich beim Mitfiebern“, sagte der Ehrenpräsident des FC Bayern München zuletzt im vergangenen Jahr im Podcast „Don’t call it a Kultclub“. Als Manager des Rekordmeisters war Hoeneß bei Spielen am Millerntor in den 90er-Jahren regelmäßig mit Geld beworfen worden, spätestens seit dem „Retterspiel“ am 12. Juli 2003 hegt er aber eine Sympathie für den Kiezclub. „Ich will, dass die wieder hochkommen“, sagte Hoeneß im Februar 2023.

Rund ein Jahr später erfüllten die Hamburger den Wunsch des langjährigen Bayern-Bosses, am Sonnabend (15.30 Uhr) tritt der Rekordmeister erstmals seit dem 1:8 im Jahr 2011 wieder am Millerntor an. Rivalisierende Fangruppen wird es bei dem ungleichen Duell allerdings nicht geben, die führenden Ultra-Gruppen beider Vereine verbindet seit mehr als 20 Jahre eine enge Freundschaft. Und der Grund, wieso Ultrà Sankt Pauli (USP) und die Schickeria München einst zusammenfanden, hat auch entscheidend mit Hoeneß zu tun.

Fans des FC St. Pauli solidarisierten sich mit Münchner Ultras

Als der FC Bayern am 12. Juli 2003 bei St. Pauli gastierte, um den Verein vor dem finanziellen Ruin zu retten, waren die Gäste gerade zum 18. Mal Deutscher Meister geworden. Statt Partystimmung dominierte in jenem Sommer aber das „Sommertheater“ in München. Weil Bayern-Fans auf der Meisterfeier angeblich über die Stränge geschlagen haben sollen, strichen die Bayern-Bosse der aktiven Fanszene mehr als 300 Dauerkarten für die folgende Saison.

„Das hat die Schickeria damals hart getroffen“, sagt Fanforscher Harald Lange. Auch in Hamburg bekam man davon mit, sodass sich die St.-Pauli-Fans beim Gastspiel des FC Bayern mit zahlreichen Spruchbändern mit den Münchner Anhängern solidarisierten. „Gerührt, tief beeindruckt und überrascht von so viel Solidarität, Engagement und Differenzierungsvermögen – erwartete man doch instinktiv noch immer in der klischeebehafteten Schublade vom reichen ‚Klassenfeind aus dem Süden zu landen – kam man nach dem Spiel ins Gespräch und verbrachte einen netten Abend zusammen im Viertel“, schrieb die Schickeria später dazu auf ihrer Website.

Der HSV als „gemeinsamer Feind“ beider Clubs

Bereits in den Jahren zuvor hatten sich bei Auswärtsspielen des FC Bayern beim HSV immer wieder St.-Pauli-Fans unter die Münchner Fans gemischt. „Damals waren die Strukturen in der Fankultur noch nicht so ausgeprägt wie heute, wo viele Gruppierungen auch über Social Media miteinander vernetzt sind und wir regelmäßig Solidaritätsbekundungen erleben“, sagt Fanforscher Lange. Der „gemeinsame Feind“ (HSV) und die Solidaritätsbekundungen im Sommer 2003 führten schließlich zur Freundschaft zwischen USP und der Schickeria.

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Millerntalk - Die Seele des FC St. Pauli

„So eine Fanfreundschaft wird von konkreten Personen getragen und gepflegt. Man lädt sich regelmäßig ein, besucht sich nicht nur bei Spielen gegenseitig, bleibt in Kontakt. Da gibt es auch Beispiele, wie so eine Fanfreundschaft auch wieder einschlafen kann, wenn die Freundschaft nicht an die nachfolgende Fangeneration weitergegeben wird“, sagt Lange. Zwischen USP und Schickeria wurde die Freundschaft über Jahre gepflegt, regelmäßig nahmen die befreundeten Gruppen bei Fan-Turnieren wie dem Antiracist Tournament Hamburg Sankt Pauli „Antira“ oder dem Kurt-Landauer-Turnier der Südkurve München teil.

Zaunfahnen können Freundschaft zum Ausdruck bringen

Zum Ausdruck bringen die Ultras ihre Fanfreundschaft unter anderem mit gezeigten Banner und Zaunfahnen. Hängt etwa eine Schickeria-Zaunfahne über dem großen USP-Banner, ist das innerhalb der aktiven Fanszene ein Ausdruck einer tiefen Freundschaft und ein Zeichen, dass Bayern-Fans zur Unterstützung im Block des Kiezclubs dabei sind.

„Eigentlich wirkt eine Fanfreundschaft unlogisch, weil Abgrenzung zu anderen Clubs ein zentraler Bestandteil von Fankultur ist. Der eigene Club ist aus Sicht des Fans schließlich immer der beste. Solidarisierungen unter Fans nehmen heutzutage aber immer weiter zu, weil es häufig auch um Fußballthemen geht, die über die Vereinsgrenzen hinausgehen. Das kann beispielsweise der Protest gegen die zunehmende Kommerzialisierung sein“, sagt Lange.

Die Schickeria München zeichnet ebenfalls eine linke Haltung aus

Obwohl der FC St. Pauli als Verein wenig mit dem FC Bayern gemein hat, verbindet USP und die Schickeria auch eine politisch linke Haltung. Man ist systemkritisch, kommerzkritisch und antirassistisch, gründete im Jahr 2007 auch gemeinsam das antifaschistische Ultras-Netzwerk „Alerta!“. Auf ihrer Website schreibt die Schickeria: „Das Spektrum im ‚Harten Kern‘ der Gruppe, speziell der Führungscrew, geht von einer mitdenkenden, kritischen Mitte bis hin zu einer alternativen Linken.“

Wie schnell politische Differenzen auch zu einem Ende einer jahrelangen Fanfreundschaft führen können, zeigt das Beispiel Celtic Glasgow. Hier bestanden schon seit einigen Jahrzehnten Verbindungen, unabhängig von der Ultraszene. Im Zuge der erneuten Verschärfung des Nahostkonflikts gab es allerdings zunehmende Differenzen.

Nachdem sich die St.-Pauli-Fans nicht radikal antiisraelisch positioniert haben, wie es viele Celtic-Anhänger taten, verkündeten die Schotten die Auflösung der Fanfreundschaft. Aus Hamburg blickte man hingegen kritisch auf die bedingungslose Unterstützung Palästinas und die Verherrlichung des Hamas-Terrors.

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Zwischen USP und Schickeria deutet derzeit nichts auf ein Ende der Fanfreundschaft hin, obwohl direkte sportliche Duelle nun wieder regelmäßig stattfinden könnten. „Die Stärke einer Fanfreundschaft bemisst sich danach, ob man auch Niederlagen im direkten sportlichen Vergleich aushalten kann“, sagt Fanforscher Lange. Denn selbst Uli Hoeneß dürfte am Sonnabendnachmittag dann doch eher seinen Bayern die Daumen drücken.