Sinsheim. Der Aufsteiger fährt den lang ersehnten zweite Saisonsieg ein. In der Schlussphase müssen die Kiezkicker zittern. Warum es reichte.
Gags auf Kosten der TSG 1899 Hoffenheim sind günstig. Ein Witz, ein Euro. Von Retorte bis zum allseits bekannten, eher mäßig mitreißenden Publikum. Gab es alles schon, hat inzwischen einen langen Bart. Dennoch war es der FC St. Pauli, der am Sonnabendnachmittag in der PreZero Arena am lautesten lachen durfte.
Mit 2:0 (1:0) besiegte der Aufsteiger den Gegner, der offenbar zum Konkurrenten im Klassenkampf der Bundesliga wird. Ein immenser Befreiungsschlag nach zuletzt drei sieglosen Begegnungen für die Hamburger. Das Grinsen der Gäste mehr dementsprechend breit.
FC St. Pauli gewinnt bei der TSG 1899 Hoffenheim
Gar keinen Spaß hatten die wie beim 0:0 gegen den VfL Wolfsburg vor Wochenfrist beginnenden Kiezkicker dafür zu Beginn. Kaum hatten sie den Ball, war er auch schon wieder weg. Die Statistik von 79:21 Prozent Ballbesitz für die TSG nach einer Viertelstunde war in jeder Hinsicht lächerlich hoch. Dass die schnellen Außenspieler der Kraichgauer nervten, Adam Hložek einen ersten Warnkopfball abgab (14.), machte die wenig erheiternde Anfangsphase perfekt. „Da waren wir nicht richtig gallig, das haben wir dann in den Griff bekommen, standen stabil im Defensivverbund und hatten gute Ballgewinne, die wehgetan haben“, sagte Blessin.
Ganz amüsant wiederum war, dass das chronisch Chancenwucher betreibende St. Pauli dann durch die erste Chance in der Partie in Führung ging. Kapitän Jackson Irvine bedient per guter Flanke Oladapo Afolayan, der direkt per Aufsetzer abschließt (19.) – drin. „Ich habe heute mit Freiheit gespielt. Es war der Geburtstag meines kleinen Bruders und meines Hundes. Meinem Bruder habe ich versprochen, ein Tor zu schießen. Was meinen Hund betrifft, bin ich mir nicht sicher, ob er nicht andere Wünsche hat“, sagte der Torschütze. Und damit war eigentlich Schluss im Spiel. Denn immer, wirklich immer, wenn der Engländer bislang traf, gewannen die Kiezkicker.
St. Pauli singt, Hoffenheim schweigt
Während sich die Anhänger der Blau-Weißen in den folgenden Minuten wieder hoch konzentriert auf ein offenbar anstehendes Seminar im Schweigekloster vorbereiteten (der macht zwei Euro!), begannen die braun-weißen Fans dementsprechend, sich in Siegeslaune zu feiern. Unterbrochen nur von einem Minischock, als Anton Stach aus aussichtsreicher Position schießt, aber an Nikola Vasilj scheitert (22.).
Was fortan das Stichwort für die Offensivbemühungen der Platzherren war. Blessins Mannschaft stand abermals sicher in letzter Linie, fand vor allem nach dem Führungstreffer eine gute Mischung aus Pressing und Absicherung. Als der ohnehin immer beherzte Manolis Saliakas einmal einen Angriff der Hoffenheimer mit letztem Einsatz klärte, hätte er eigentlich umgehend einen Werbevertrag für Doppelherz einstreichen müssen. Stattdessen gab es immerhin ein High-Five von Blessin.
Nikola Vasilj rettet die Kiezkicker mehrfach
Zur Not gab es auch immer noch Vasilj. So wie beim Abschluss von Marius Bülter aus spitzem Winkel (43.), den der Bosnier aufhielt und dafür sorgte, dass das 1:0 in die Halbzeit gerettet wurde. Aus der heraus war es erneut Afolayan, der seinen Startelfeinsatz mehr als rechtfertigte, indem er sein immenses Tempo ausspielte und auf den kaum minder flinken Morgan Guilavogui in der Mitte ablegte. Die England-Frankreich-Kombination endete am Pfosten (47.).
Mal wieder bei Vasilj endete der direkt anschließende Fernschuss von Florian Grillitsch (48.). Die Partie nahm nun gewaltig Fahrt auf, lange Bälle waren das Mittel der Wahl, vor allem bei den Gästen, aber Hoffenheim schaltete blitzschnell um, sodass St. Paulis Verteidiger mehrfach ihre Höchstgeschwindigkeit aus den Waden herauskitzeln mussten. „Es war immer jemand da, der noch geklärt hat. Niemand hat geschlafen“, lobte Irvine. Für die Chronisten: Beidseitig resultierte das in Chancen für Haris Tabaković (54./54.) und Guilavogui (55.).
Philipp Treu verletzt sich
Zwischenzeitlich musste Philipp Treu angeschlagen ausgewechselt werden. Was der Grund dafür war, ließ sich initial nicht erkennen. Sein Vertreter Lars Ritzka fügte sich direkt mit einem Distanzschuss ein, der allerdings am Tor vorbeiging (63.).
Und dann wurde alles lang. Die Bälle aus der Abwehr heraus; die Pausen, die sich Vasilj (Blessin: „Er hat uns den Sieg festgehalten“) nach der x-ten Parade wie der gegen Tom Bischof (75.) nahm, um etwas Zeit zu gewinnen; die verdammte Schlussphase, in der St. Pauli fast nur noch hinten hineingedrängt war.
St. Pauli übersteht brenzlige Schlussphase
Blessin hatte dies natürlich längst erkannt, stellte nun auf ein 3-5-2 um, indem er Robert Wagner brachte und Afolayan auswechselte. „Im dritten Spiel der Woche gingen uns langsam die Körner aus, aber wir haben alles reingeworfen“, meinte Blessin. Entlastung brachte all das kaum. Hinten drin, tief drin, hoffen, bangen. Tabaković köpft vorbei, da wäre selbst Vasilj machtlos gewesen (85.). Was soll hier in Sinsheim so witzig sein?
Vielleicht die Grimassen, die Blessin an der Seitenlinie vor Anspannung schnitt. Vielleicht, dass ausgerechnet die TSG-Fans ihre Mannschaft zum Ende hin lautstark feierten. Auf jeden Fall, wie sich die Minen der St. Paulianer nach dem Kontertor durch Andreas Albers (90.+3) und dem danach heiß ersehnten Schlusspfiff im kalten Stadion entspannen. Es gab zwar keinen Grund, über Hoffenheim zu lachen, aber reichlich Gründe, um als Letzte zu lachen.
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TSG 1899 Hoffenheim: Baumann – Chaves (85. Kadeřábek), Stach, Nsoki – Gendrey (85. Bruun Larsen), Grillitsch, Bischof, Prass (66. Jurásek) – Kramarić – Hložek (46. Tabaković), Bülter (66. Berisha).
FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas (88. Dzwigala), Boukhalfa, Irvine, Treu (50. Ritzka) – Afolayan (80. Wagner), Eggestein (88. Albers), Guilavogui.
Tore: 0:1 Afolayan (19.), 0:2 Albers (90.+3). Schiedsrichter: Stegemann (Niederkassel). Zuschauer: 26.199. Gelbe Karten: – Guilavogui (3), Blessin. Statistiken: Torschüsse: 13:6; Ecken: 7:2; Ballbesitz: 72:28 Prozent; Zweikämpfe: 106:102; Laufleistung: 121,6:125,4 Kilometer.