Hamburg. 218 Neuanmeldungen binnen eines Jahres, mittlerweile gibt es 882 offizielle Fanclubs. Was die Fans bei Auswärtsspielen dennoch ärgert.

Für viele Tausend Fans des FC St. Pauli ist es wohl die reiseintensivste Woche der gesamten Saison. Am Dienstag ging es für die Anhänger des Kiezclubs rund 400 Kilometer zum DFB-Pokalspiel bei RB Leipzig (2:4), am Sonnabend steht dann ein 600-Kilometer-Trip nach Sinsheim zum Spiel bei der TSG Hoffenheim (15.30 Uhr/Sky) auf dem Programm. Mit Hin- und Rückreise kommt man da als Auswärtsfahrer schnell auf 2000 Kilometer, die man für seinen Club binnen fünf Tagen fährt.

Abschrecken lassen sich die St. Paulianer davon nicht, nach Dortmund fuhren beim jüngsten Bundesliga-Auswärtsspiel rund 8000, beim Pokal in Leipzig waren es rund 5000 – und auch am Sonnabend ist der Gästeblock natürlich wieder ausverkauft. „Auch in der Zweiten Liga hatten wir in der Regel volle Auswärtsblöcke. Trotzdem spürt man, dass das Interesse noch mal gestiegen ist. Das erste Auswärtsspiel in Augsburg war binnen Sekunden ausverkauft“, sagt Grant Helle, der wie sein Fanclubsprecherrats-Kollege Gerd Bitzer stark in der Fanszene verwurzelt ist.

FC St. Pauli: Große Fan-Euphorie nach dem Aufstieg

Im Millerntalk-Podcast bestätigen beide den Eindruck, dass rund um den Bundesligaaufstieg eine besondere Euphorie einsetzte, die bis heute anhält. „Nichts gegen Sandhausen, aber es ist einfach schöner, nach Dortmund zu fahren“, sagt Bitzer. „Man darf auch nicht vergessen, dass es für viele jüngere Fans die erste Bundesligasaison ist.“

Die Begeisterung schlägt sich auch in Zahlen nieder, in der inoffiziellen Auswärtsfahrertabelle der Bundesliga liegt St. Pauli mit durchschnittlich 4250 Fans nach den ersten vier Spielen auf Rang sechs, lässt damit auch eine Fan-Macht wie Eintracht Frankfurt (4060) hinter sich. „Die Südkurve hat ihre Busanzahl bei Auswärtsfahrten mindestens verdoppelt“, weiß Bitzer. Früher seien es oft nur drei Busse gewesen, mittlerweile mindestens sechs. Auch Sonderzüge, die in der Vergangenheit oftmals beim Saisonabschluss zum Einsatz kommen, dürfte es nun schon während der Saison geben.

Deutlich mehr Fanclub-Anmeldungen bei St. Pauli

Besonders spürbar ist der Anstieg bei der Anzahl der Fanclubs zu vernehmen, binnen eines Jahres gab es hier 218 neue Anmeldungen – eine Steigerung von rund 25 Prozent auf nun 882 offizielle Fanclubs. „Ich habe allein in dieser Woche vier oder fünf neue Anmeldungen aus Hamburg“, sagt Bitzer. Die Hürden, einen Fanclub zu gründen, sind niedrig. Mindestens fünf Personen braucht es, dazu einen an den Fanladen zu entrichtenden Jahresbeitrag von 30 Euro und das Anerkennen des Selbstverständnisses der eingetragenen Fanclubs.

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Fan-Hype bei St. Pauli: „Südkurve hat doppelt so viele Busse“

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Die Hauptmotivation, einen Fanclub zu gründen, liege oftmals darin begründet, einfacher an Tickets zu kommen. So sei am Ende des vergangenen Jahres etwa das Vergabesystem für Südkurven-Tickets dahingehend angepasst worden, dass fortan organisierte Fans bevorzugt wurden, sagt Bitzer. Und auch bei Auswärtskarten sei es von Vorteil, Fanclub-Mitglied zu sein, die Nachfrage ist schließlich meist höher als das Angebot.

Machtmissbrauch von Ordnern und Polizei ärgert die Fans

Die Begeisterung, den Club bei Auswärtsspielen zu begleiten, ist groß – die Ungewissheit, was einen in der fremden Stadt erwartet, allerdings auch. „Freiburg war zum Beispiel großartig“, sagt Bitzer nicht nur wegen des 3:0-Erfolgs. „Ich habe den ganzen Tag über nicht einmal die Polizei gesehen.“ Bei anderen Spielen habe man aber auch schlechtere Erfahrungen gemacht. „Früher war es noch nicht so, dass man am Bahnhof von einer Polizeikette empfangen wurde und nicht mal auf die Toilette gehen durfte“, erzählt Bitzer.

Nach dem Auswärtsspiel in Dortmund gab es beispielsweise Vorwürfe gegenüber Ordnern, die bei der Einlasskontrolle etwa den Intimbereich männlicher und weiblicher Fans nicht respektiert haben sollen. „Solche Vorfälle wie in Dortmund ärgern uns massiv“, sagt Bitzer. Auch Helle beklagt: „Man fühlt sich der Polizei und der Security dann meistens hilflos ausgesetzt.“ St. Paulis Fanhilfe-Organisation „Braun-Weisse Hilfe“ veröffentlichte im Anschluss an das BVB-Spiel ein langes Statement, der BVB teilte bisher lediglich mit, die Vorwürfe ernst zu nehmen und prüfen zu wollen.

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Konfrontative Zusammenstöße mit gegnerischen Fangruppen hingegen gebe es hingegen weniger, seitdem man Clubs wie etwa Hansa Rostock oder Dynamo Dresden, bei denen viele Fans dem rechten politischen Spektrum angehören, sportlich in unteren Ligen zurückgelassen hat. „Es gibt in der Ersten Liga deutlich weniger Clubs, die uns nicht wohlgesonnen sind. Trotzdem muss man wissen, dass wir polarisieren“, sagt Bitzer. „Im Kern ist die Erste Liga auswärts aber angenehmer als die Zweite.“ Und damit das so bleibt, nimmt man zur Unterstützung gerne auch Tausende Auswärtskilometer in Kauf.