Hamburg. Beim 0:0 gegen den VfL Wolfsburg überzeugen die Hamburger über weite Strecken. Doch ein Treffer daheim bleibt ihnen weiter verwehrt.
Am Ende des Regenbogens soll ein Topf voller Gold vergraben sein oder allerlei anderes Glück vom Himmel regnen. Doch wenngleich das Millerntor-Stadion am Sonnabendnachmittag regebogenverhangen war, um Kevin Behrens („schwule Scheiße“) einen frostig-farbigen Empfang zu bereiten, Anfang oder Ende des bunten Halbovals vermag der FC St. Pauli partout nicht zu finden.
Weil die Torlos-Serie daheim auch gegen den VfL Wolfsburg kein Ende fand. Stattdessen sprang beim 0:0 – das muss man so sagen – nur wieder ein Punkt für die Mannschaft von Cheftrainer Alexander Blessin heraus. Da das Motto des Tages aber „Mehr Liebe und weniger Kevin B.“ lautete, überschütteten die Fans des Kiezclubs ihr Team nach Schlusspfiff trotzdem mit einer großen Portion Herzlichkeit für die engagierte Leistung, die mehr als ein Unentschieden verdient gehabt hätte.
FC St. Pauli nur 0:0 gegen den VfL Wolfsburg
„Insgesamt würde ich es nicht als verlorenes Spiel betrachten, weil wir dafür zu stark in der Leistung waren. Im Ballbesitz haben wir heute deutlich dominanter spielen können und uns im Vergleich zu den anderen Spielen verbessert“, sagte Stürmer Johannes Eggestein. „Das Ergebnis ist aber zu wenig.“
Blessin zeigte ganz viel Liebe für Danel Sinani, brachte den Luxemburger völlig überraschend für Oladapo Afolayan ins Spiel. Der zuvor erst in drei Partien für insgesamt 30 Minuten eingesetzte 27-Jährige hätte sich schon in der 17. Minute per Kusshand auf Vorlage von Eggestein bedanken können. Doch Sinani wollte den Ball zu liebevoll bezirzen, anstatt einfach mal – was explizit nur im Fußball in Ordnung ist – draufzuhauen. In der Konsequenz grätschte ihn Denis Vavro als letzter Mann im Strafraum noch. „Im Training macht Jojo die blind. Dann will er mannschaftsdienlich spielen und legt ihn auf Danel raus. Das war schade“, sagte Blessin.
Ansonsten lief mehr über die linke Seite von Philipp Treu und Morgan Guilavogui als über Sinanis rechte. Aber es lief. St. Pauli bestimmte das Spiel, hatte schon durch einen Fernschuss von Eggestein aus gut 20 Metern die erste Gelegenheit (15.) gehabt, die Kamil Grabara aber ausputzte.
St. Pauli mehr als 300 Bundesliga-Minuten ohne Heimtor
Was Wolfsburg dagegen veranstaltete, hatte wenig mit Liebe für den Ball (anfangs nur 37 Prozent Besitz) zu tun und schon gar nichts mit Liebe fürs Spiel. Gähnend einfallslos wurde versucht, lang und weit das Mittelfeld zu überspielen, um Turbo-Angreifer Mohamed Amoura zu bedienen. St. Paulis Defensive schnitt den Algerier allerdings von der Ballzufuhr ab. Ein am Tor vorbeiziehender Schlenzer von Joakim Maehle war alles (31.), was die Gäste zustande brachten.
Nach einer halben Stunde waren die Kiezkicker dann seit fünf Stunden beziehungsweise 300 Minuten Bundesliga-Fußball am Millerntor ohne Treffer. Warum die Serie bereits so lange andauert, wurde in der 41. Minute ersichtlich, als Jackson Irvine nach ansehnlicher Vorarbeit durch Carlo Boukhalfa, Eggestein und Guilavogui aus 14 Metern frei abzog, aber an Grabara scheiterte. Es fehlt den Gastgeber an Durchschlagskraft.
Nikola Vasilj pariert doppelt gegen Mohamed Amoura
Den Gästen aber ebenso. In der Nachspielzeit fischte Nikola Vasilj einen Kopfball von Jonas Wind nach einer Ecke aus dem Winkel. Ansonsten passierte in der ersten Halbzeit zeitweise auch jede Menge gar nichts.
Was sich nach Wiederanpfiff schlagartig änderte. Nach beinahe fatalem Fehlpass von Hauke Wahl musste Vasilj zum ersten Mal gegen Amoura ausputzen (46.), einen Topsprint des 24-Jährigen später gewann der bosnische Nationalkeeper auch das zweite Duell (48.). Bei aller Liebe zum Regenbogen, nun trieben es die Wölfe den Platzherren doch ein wenig zu bunt.
Kiezkicker vergeben Chance um Chance
Zum Äußersten trieben es dagegen die St. Paulianer mit der Reißfestigkeit der Geduldsfäden (welche Farbe haben die eigentlich?) ihrer Anhänger. Frei nach dem einstiegen Werbeslogan des Hauptsponsors des VfL: Das Warten aufs erste Tor dauerte an und dauerte an und dauerte an und dauerte an ...
Erst ging Eggestein komplett frei auf dem Weg zum Tor aber sowas von das Benzin aus (58.), dann vergab Sinani seine Großchancen zwei (63.) und drei (65.). „In der zweiten Halbzeit waren wir ein bisschen zu destruktiv, haben zu viele Rückpässe gespielt“, sagte Blessin.
Inzwischen könnte man die Glaubhaftigkeit mathematischer Zufallsverteilung infrage stellen, weil doch irgendwann mal einer reingehen müsste. Man kann aber auch über einen Mangel an wenigen Prozenten Abschlussqualität sprechen, die auf diesem Niveau entscheidend sind. Vier Heimspiele in Folge ohne eigenen Treffer sind Bundesliga-Negativrekord.
Kevin Behrens wird eingewechselt und ausgepfiffen
Gut nur, dass sie Wolfsburg auch fehlten. Beziehungsweise, dass Vasilj die Extraprozentpunkte im Tor brachte. In der Schlussphase rettete er abermals (81.), ausnahmsweise nicht gegen Amoura, sondern diesmal Tiago Tomás. Ganz spät kam dann tatsächlich sogar noch Behrens in die Partie, was ein vorzügliches Pfeifkonzert hervorrief.
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Das Ende des Regenbogens in Form des Siegtreffers fand der Stürmer erwartungsgemäß nicht mehr. Zumindest das dürfte für Glücksgefühle beim FC St. Pauli sorgen.
FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas, Sinani (66. Afolayan), Irvine, Boukhalfa (87. Wagner), Treu – Eggestein (82. Banks), Guilavogui.
VfL Wolfsburg: Grabara – Fischer (67. Kaminski), Vavro, Koulierakis, Maehle – Baku, Özcan, Gerhardt, Tomás – Wind (78. Majer), Amoura (89. Behrens).
Schiedsrichter: Reichel (Sindelfingen). Zuschauer: 29.546 (ausverkauft). Gelbe Karten: – Kaminski (2), Maehle, Majer. Statistiken: Torschüsse: 15:9; Ecken: 7:6; Ballbesitz: 51:49 Prozent; Zweikämpfe: 83:75; Laufleistung: 118,7:111,3 Kilometer.