Hamburg. Obwohl der Hamburger Kiezclub seine Nachwuchs-Scoutingabteilung auflöste, sind manche Vereine sauer: „Jahrgang vorsätzlich zerstört.“

  • FC St. Pauli will seine Scouting-Abteilung aufgelöst und die Zusammenarbeit mit Jugendberatern gestoppt haben
  • Trotzdem braucht der Kiezclub aus Hamburg dringend Talente für den Nachwuchs
  • Mehrere Vereine aus der Hansestadt sind über die Methoden St. Paulis sehr verärgert

Am 12. November lädt der FC St. Pauli zu einer Infoveranstaltung ins Millerntor-Stadion. Im VIP-Bereich der Südtribüne können sich Viertklässler und deren Eltern über die „Leistungsklasse Fußball“ informieren, die der Kiezclub vor zwei Jahren gemeinsam mit dem Eimsbütteler TV (ETV) an der Ida-Ehre-Schule eingeführt hat. Wer das nötige Talent hat, um sich beim Sichtungstag am 14. Dezember zu beweisen, kann von der fünften Klasse an in vier zusätzlichen Trainingsstunden von St.-Pauli- und ETV-Trainern gefördert werden.

Die „Leistungsklasse Fußball“ ist für die Kiezkicker eine neue Möglichkeit, um Talente für das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) zu finden. Im Zuge des neuen Ausbildungskonzepts „Rebellution“ hat der Club laut eigener Aussage nicht nur die Zusammenarbeit mit Beratern von minderjährigen Spielern gestoppt, sondern auch die zuvor siebenköpfige Scoutingabteilung aufgelöst.

FC St. Pauli: Ex-Scout Gadet Yanda hat neue Jobbezeichnung

Der langjährige Nachwuchs-Chefscout Marco Feldhusen ist nicht mehr für den St. Pauli tätig, auch seine größtenteils als Minijobber angestellten Mitarbeiter Boris Leschinski, Daniel Domingo, Bodo Blank, Dario Bilic, Dennis Weinhauer und Gadet Yanda arbeiten nicht mehr für den Club – mit einer Ausnahme: Gadet Yanda, dessen offizielle Jobbezeichnung nicht mehr Scout, sondern Kaderplaner ist.

„Wir sind der Überzeugung, dass es zukünftig kein Scouting mehr braucht, wenn wir uns auf Hamburger Talente beziehen. Wir haben Stützpunkte, wir haben eine Auswahlsystematik“, hatte NLZ-Leiter Benjamin Liedtke im vergangenen Jahr im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“ gesagt. „Wir wollen die Talentsichtung ganz anders machen.“ Findet also tatsächlich kein flächendeckendes Nachwuchs-Scouting mehr bei St. Pauli statt? Das Abendblatt hörte sich hierzu bei verschiedenen Amateurclubs um.

Niendorfer TSV: „Das hat nichts mit Zusammenarbeit zu tun“

„Gerade von unseren Trainern im Jahrgang 2014 ist die Rückmeldung, dass sehr viele Spiele gescoutet werden“, sagt etwa Kai-Uwe Hesse, Koordinator der Jugend-Leistungsmannschaften beim Niendorfer TSV. Dies sei auch kein Problem, sondern erwarte man das sogar von einem NLZ – wenngleich dieses laut eigener Aussage nicht mehr scoutet. „Dass man aber sieben Spieler in einem Jahrgang aus einem Verein umwirbt – in einer Altersstufe, in der man auf dem Kleinfeld spielt – finden wir maximal überzogen. Das hat nichts mit Zusammenarbeit zu tun. Damit zerstört man vorsätzlich den kompletten Jahrgang eines Amateurvereins“, sagt Hesse.

Niendorf gilt in vielen Jahrgängen als drittstärkster Hamburger Club hinter dem HSV und St. Pauli, im Hamburger Vergleich gibt der NTSV überdurchschnittlich viele Talente aus seinen insgesamt 52 Jugendmannschaften an die beiden Proficlubs ab. Hesse, der hauptberuflich als „Bild“-HSV-Reporter arbeitet, stört allerdings das Vorgehen des FC St. Pauli. Der Bundesligist betreibt bewusst keine E-Jugend mehr, weshalb Kaderplaner Yanda zur D-Jugend eine komplett neue Mannschaft finden muss.

Hamburger Verein fühlt sich als „großer Kiosk“ behandelt

„Durch das Vorgehen des FC St. Pauli haben wir ein Jahr vor der Wechselfrist in der Mannschaft und der Elternschaft extreme Unruhe. Das Thema ist eigentlich nur: Wer wechselt 2025 zu St. Pauli?“, sagt Hesse. „Aus unserer Sicht ist die Kommunikation stark ausbaufähig. Wir haben den Eindruck, für den Kaderplaner des FC St. Pauli sind die Hamburger Amateurvereine ein großer Kiosk, bei dem er sich nach Belieben und zu seinen Regeln bedienen kann. Wenn wir teilweise die Aussagen des FC St. Pauli und die unserer Eltern, deren Kinder umworben werden, übereinanderlegen, kann in einigen Fällen einer nicht die Wahrheit erzählen.“

Auch vom USC Paloma wechseln überdurchschnittlich viele Talente zum HSV oder zu St. Pauli, die in der Theorie unterschiedliche Herangehensweisen haben, sich in der Praxis aber offenbar nicht sonderlich unterscheiden. „Sowohl vom HSV als auch vom FC St. Pauli sind nach wie vor Scouts auf unserer Anlage. Einen Unterschied in der Herangehensweise beider Clubs sehe ich nicht“, sagt Palomas Vorsitzender Dirk Rathke. „Gadet Yanda ist Dauergast bei unseren Jugendspielen. Ich kann das aus Sicht des FC St. Pauli, der ja weiterhin die besten Hamburger Spieler zu sich holen möchte, auch nachvollziehen. Dass er mittlerweile offiziell Kaderplaner heißt, ändert nichts daran, dass er die Spieler scoutet.“

Ausbildungsentschädigungen für Amateurclubs gestiegen

Durchschnittlich seien es bei Paloma zwischen zwei und fünf Spielern, die pro Jahr ins NLZ wechseln. Der Amateurverein erhält dafür eine Ausbildungsentschädigung. Bei C-Jugendlichen sowie D-Jugendlichen des älteren Jahrgangs liegt diese zu entrichtende Entschädigung für Bundesligisten beispielsweise bei 3000 Euro sowie 400 Euro pro Spieljahr ab Vollendung des sechsten Lebensjahrs. Dass der DFB die Sätze erst kürzlich anhob, sieht Rathke kritisch. Er fürchtet, dass die Clubs somit noch früher scouten werden, um die Ausbildungsentschädigung möglichst gering zu halten.

St. Paulis NLZ-Leiter Liedtke hatte im vergangenen Jahr betont, dass man erst ab der U 12 auf Spieler zugehe. „Da läuft es ganz klassisch. Wir fragen bei den Vereinen an, ob wir den Spieler mal ansprechen und einladen dürfen“, sagte Liedtke. Dieses Vorgehen ist auch durch Verbandsvorgaben standardisiert. Paloma-Chef Rathke hat dennoch andere Erfahrungen gemacht. „Leider wird der Verein häufig nicht als Erstes über das Interesse informiert, sondern in der Regel erst der Spieler und dessen Eltern. Wenn wir davon erfahren, ist der Wechsel meistens schon fix“, sagt er.

ETV-Nachwuchskoordinator Hölscher verteidigt St. Pauli

Der FC St. Pauli wollte sich auf Nachfrage derzeit nicht zu den Vorwürfen äußern. Dafür verteidigt ETV-Nachwuchskoordinator Jasper Hölscher den Kooperationspartner. „Die Zusammenarbeit mit dem FC St. Pauli funktioniert sehr gut. Es ist angenehm, in Kaderplaner Gadet Yanda nur noch einen festen Ansprechpartner zu haben“, sagt Hölscher.

Insgesamt verfolge man eine ähnliche Philosophie, bei der die Entwicklung der Spieler im Mittelpunkt stehe. „Wenn einer unserer Spieler so gut ausgebildet ist, dass er für den FC St. Pauli interessant wird, empfinden wir das als Auszeichnung. Wenn der Spieler gut genug ist, kann er wechseln“, sagt Hölscher. „Ich habe den Eindruck, manchen Vereinen geht es mehr um den Gewinn von Meisterschaften und die Egos der Trainer als um die beste Entscheidung für den Spieler.“

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Das sieht Niendorfs Nachwuchs-Chef Hesse wenig überraschend anders. Der 56-Jährige findet dabei auch nicht alles schlecht, sondern lobt etwa die Trainerschulungen, die der FC St. Pauli mit Yul Wiegand für Hamburger Amateurclubs in unteren Jahrgängen anbietet. „Die haben einen klaren Mehrwert für die Vereine und die Trainer. Inhaltlich ist das top“, sagt Hesse.

Einer, der mehrere Perspektiven kennt, ist Loïc Favé. Der aktuelle U-21-Trainer des HSV coachte einst beim ETV, ehe er unter Timo Schultz auch als Profi-Co-Trainer bei St. Pauli tätig war. „Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass wir in Hamburg die Amateurvereine noch besser ins Boot holen könnten und Konzepte entwickeln sollten, um diese Vereine besser in der Ausbildung von Spielern zu unterstützen“, sagt Favé. Das ist wohl ein Eindruck, den sämtliche Seiten teilen können.