Leipzig. Anders als noch beim 0:0 in der Bundesliga führten Fehler in der Hintermannschaft zur 2:4-Pleite. Offensiv sah es dagegen besser aus.
Wer sich in der Leipziger Red Bull Arena nicht auskennt, der kann sich in den von Tunneln durchzogenen Katakomben schnell verlaufen. Vom historischen Eingang des früheren Zentralstadions führen lange Gänge in ein Tiefgaragensystem und etliche Aufzüge zu verschiedenen VIP-Räumen und Logistikbereichen des neunstöckigen Prunkbaus.
Etwas verloren stand am Dienstagabend auch Alexander Blessin in der Leipziger Arena. Schiedsrichter Felix Zwayer hatte die zweite DFB-Pokalrunde bei RB Leipzig noch gar nicht abgepfiffen, da wusste der Trainer des FC St. Pauli bereits, dass sein Team gegen den Champions-League-Finalisten ausscheiden würde. Am Ende stand eine 2:4 (1:3)-Niederlage und die bittere Erkenntnis, dass wieder einmal mehr drin gewesen wäre.
FC St. Pauli liegt gegen RB Leipzig früh zurück
„Wenn man gegen Teams mit solcher Qualität die Tore so herschenkt, wird es sehr schwierig“, ärgerte sich Kapitän Jackson Irvine. „Strukturell waren wir gut, es lag vielmehr an individuellen Fehlern, die zu deren Chancen und Gegentoren geführt haben.“ Dennoch, betonte Irvine, habe die Moral gestimmt: „Man kann uns nichts vorwerfen in Sachen Charakterstärke, wir haben uns gut zurückgekämpft.“
Für Blessin war das Erlebnis torreicher RB-Heimsiege dabei nicht neu, sondern aus achtjähriger Tätigkeit im Nachwuchsleistungszentrum der Sachsen (2012 bis 2018) vielmehr alte Gewohnheit. Am anderen Ufer des Elsterbeckens, das Arena und Trainingszentrum trennt, hatte der 51-Jährige seine ersten Schritte als Trainer gemacht, in der Anfangszeit mit heutigen Trainergrößen wie Sebastian Hoeneß (VfB Stuttgart) und Robert Klauß (Rapid Wien) in zwei Baustellencontainern zusammengesessen und Taktikpläne ausgearbeitet.
Der Plan, den Blessin mit den Hamburgern am Dienstagabend auf den Rasen bringen wollte, sah ein 3-4-3-System mit Oladapo Afolayan als rechtem Flügelspieler, Johannes Eggestein als zentralen Stürmer und Morgan Guilavogui als linkem Flügelspieler vor. Danel Sinani, der noch am Sonnabend anstelle von Afolayan in der Bundesliga gegen den VfL Wolfsburg (0:0) begonnen hatte, blieb auf der Bank, Scott Banks mit Rückenproblemen gleich ganz in Hamburg.
Eric Smith sieht beim 0:1 schlecht aus
Anders als noch im Heimspiel rund fünf Wochen zuvor, als St. Pauli den Leipzigern ein 0:0 abtrotzen konnte, ging dieser Pokal-Abend früh spektakulär los. Bereits in der 12. Minute reichte ein herkömmlicher Körpereinsatz von RB-Angreifer Yussuf Poulsen aus, um St. Paulis Abwehrchef Eric Smith unter einem harmlosen Ball durchfliegen zu lassen. Den freien Ball verwandelte der nun völlig unbedrängte Leipziger humorlos aus rund sechs Metern Entfernung.
Nur fünf Minuten später schlug es erneut hinter dem machtlosen St.-Pauli-Torwart Nikola Vasilj ein, bei einer präzisen Flanke von Lutsharel Geertruida konnte Christoph Baumgartner ähnlich unbedrängt wie Poulsen zuvor einköpfen. Smith und Innenverteidiger-Kollege Hauke Wahl hatten den RB-Spielmacher aus den Augen verloren.
Guilavogui erzielte sein erstes Pflichtspieltor für die Kiezkicker
RB-Stadionsprecher Tim Thoelke tanzte in seinem roten Sakko im Kreis, über die Boxen dröhnte zu rot-weiß flackernden Flutlichtern Leipzigs Torhymne „Freed vom Desire“ und die meisten der 40.478 Fans sangen lautstark mit (0:2/17.).
Wer nun dachte, dass die Leipziger Fußballparty einfach so weitergehen würde, sah sich aber getäuscht. Mit der ersten Torchance kamen die Kiezkicker plötzlich wieder auf 1:2 heran, nach einem Eggestein-Dribbling traf Guilavogui mit einem präzisen Flachschuss und der leichten Hilfe von RB-Torwart Maarten Vandevoordt ins lange Eck (28.).
Poulsen macht kurz nach dem 1:2-Anschluss das dritte RB-Tor
Zwei Minuten lang schienen die RB-Fans beeindruckt, dann blockte Andre Silva einen verunglückten Smith-Befreiungsschlag, legte Baumgart zu Poulsen quer und schoss der Leipziger das 1:3 (30.) – St. Paulis in den vergangenen Wochen und Monaten noch so stabile Abwehr wurde brutal bestraft.
Bevor es zur Halbzeitansprache in die Kabine ging, diskutierte Blessin intensiv mit Assistent Peter Nemeth, Wechsel oder grundsätzliche Systemanpassungen blieben beim Seitenwechsel aber aus. Dennoch war St. Pauli zu Beginn der zweiten Halbzeit deutlich gefährlicher. Eggestein (52.), Karol Mets (54.) und Robert Wagner (57.) verfehlten das Ziel noch knapp, dann fälschte Lukas Klostermann einen Smith-Schuss so ab, dass sich dieser über Vandevoordt zum erneuten Anschluss ins Tor senkte (2:3/58.).
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Auf einmal schien tatsächlich wieder alles offen, Guilavogui und Afolayan kamen zu weiteren Chancen. Beendet wurde die Drangphase jedoch – natürlich – von einem erneuten Abwehrfehler, als der eingewechselte Antonio Nusa gemütlich zwischen Wahl, Smith und Wagner durchspazieren und das 2:4 erzielen konnte (80.). Kein Kiezkicker war ernsthaft in den Zweikampf gegangen – und Trainer Blessin verständlicherweise bedient.
„Wir haben ein, zwei individuelle Fehler zu viel gemacht. Wenn man in Leipzig vier Gegentore bekommt, wird es extrem schwer zu gewinnen“, fasste St. Paulis Mittelstürmer Eggestein das Spiel treffend zusammen. „Im Ballbesitz aber können wir mit der Leistung zufrieden sein. Wir haben uns viele Chancen erarbeitet. Heute war es defensiv nicht ganz so stimmig“, sagte er weiter.
RB Leipzig: Vandevoordt – Klostermann, Orban, Bitshiabu (69. Lukeba) – Geertruida, Kampl (90.+2 Gebel), Vermeeren (69. Haidara), Henrichs – Baumgartner (69. Nusa) – Silva (76. Elmas), Poulsen.
FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas (87. Ritzka), Irvine, Wagner (81. Boukhalfa), Treu – Afolayan (81. Sinani), Eggestein (87. Albers), Guilavogui (90.+1 Ahlstrand).
Tore: 1:0 Poulsen (12.), 2:0 Baumgartner (17.), 2:1 Guilavogui (28.), 3:1 Poulsen (30.), 3:2 Smith (59.), 4:2 Nusa (80.).
Schiedsrichter: Zwayer (Berlin); Gelbe Karten: - Saliakas; Zuschauer: 40.478; Statistik: Torschüsse: 9:16, Ecken: 3:7, Ballbesitz: 48:52 Prozent, Zweikämpfe: 72:77.