Hamburg. St. Paulis Trainer arbeitete einst gemeinsam mit Hoeneß, Beierlorzer, Klauß und Co. im RB-Nachwuchs. Wie er auf das Wiedersehen blickt.

Der Cottaweg im Leipziger Stadtbezirk Alt-West war vor zehn Jahren eine große Baustelle. Fußballplätze gab es schon, aber vor allem der Bau des heutigen Trainingszentrums mit der Nachwuchs-Akademie verlangte den Verantwortlichen von RB Leipzig einiges ab. In zwei Büro-Containern hatten die Nachwuchstrainer ihre Schreibtische – und ein großer Teil des heutigen Profifußballs seine Keimzelle.

Sebastian Hoeneß, Robert Klauß, Achim Beierlorzer und Alexander Blessin saßen täglich in diesen Containern zusammen, tauschten sich aus. Fünf Jahre zuvor war der Verein gegründet worden, RB hatte das Startrecht des SSV Markranstädt in der fünftklassigen Oberliga Nordost übernommen. Im Baustellen-Sommer 2014 feierte der Club gerade den Aufstieg in die Zweite Liga.

St. Paulis Blessin wurde bei RB Leipzig ausgebildet

Heute trainiert Hoeneß den VfB Stuttgart in der Champions League, ist Beierlorzer Sport-Geschäftsführer bei Jahn Regensburg, Klauß Cheftrainer bei Rapid Wien und Blessin empfängt am Sonntag (17.30 Uhr) mit dem FC St. Pauli in der Bundesliga jene Leipziger, bei denen auch seine Trainerlaufbahn von 2012 bis 2020 geprägt wurde.

„Wenn man die Karrierewege der einzelnen Trainer betrachtet, waren wir die beste Trainerschmiede Deutschlands. Unsere Trainer waren hochintelligente Typen, Achim Beierlorzer ist etwa Mathematiklehrer, Robert Klauß hat sein Abitur und Studium mit Auszeichnung bestanden. Alle haben die Informationen wie ein Schwamm aufgesogen“, sagt Frank Leicht.

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Frank Leicht ist seit Sommer 2021 Co-Trainer bei Philadelphia Union in der US-Liga MLS. © IMAGO/Icon Sportswire | IMAGO/Rich von Biberstein/Icon Sportswire

Der 52-Jährige, mittlerweile Co-Trainer beim MLS-Club Philadelphia Union, war von 2012 bis 2016 Leiter der Leipziger Nachwuchsabteilung. Leicht gab an Blessin und Co. die Ideen und Spielprinzipien weiter, die Sportchef Ralf Rangnick mit seinem Mentor Helmut Groß und Berater Wolfgang Geiger entwickelte.

Helmut Groß und Wolfgang Geiger spielten entscheidende Rollen

Groß hatte einst mit Professor Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule in Köln alle Tore aus Europas Top-5-Ligen untersuchen lassen. „Es gab zwei Haupterkenntnisse. Wenn man den Ball innerhalb von fünf Sekunden nach Ballverlust zurückerobert hat, war die Chance am größten, ein Tor zu erzielen. Das war das Prinzip des Gegenpressings“, sagt Leicht. „Die zweite Erkenntnis war, dass innerhalb von zehn Sekunden nach der Balleroberung die besten Chancen entstanden sind. Das war das Prinzip des schnellen Umschaltens mit viel Vertikalität.“

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Alexander Blessin hat diese zwei Prinzipien verinnerlicht. Auch beim FC St. Pauli setzt er auf ein defensiv stabiles 3-5-2-System, Pressingmomente und möglichst vertikales Umschaltspiel. „Die acht Jahre im Leipziger Nachwuchs waren für mich als Trainer schon prägend, auch wenn später noch andere Einflüsse dazukamen“, sagt Blessin, der unter Ralf Rangnick einst beim VfB Stuttgart gespielt hatte.

Blessin wollte erst Versicherungskaufmann werden

Nachdem der gebürtige Schwabe seine aktive Karriere 2012 beim Oberligisten SV Bonlanden mit einem Abstieg in die Landesliga beendet hatte, wollte Blessin eigentlich Versicherungskaufmann werden. Verhindert wurde dieser Plan, als ihn Rangnick anrief und einen Job im RB-Nachwuchs anbot.

„Ich habe meine ersten Schritte dort gemacht und bin Ralf Rangnick dankbar dafür, dass er mich damals in die Akademie geholt hat. Genauso muss ich in diesem Kontext auch Helmut Groß, Wolfgang Geiger und Frieder Schrof (langjähriger Akademieleiter, d. Red.) nennen, die mich ebenso über die Jahre begleitet haben. Insofern ist es natürlich kein ganz normales Spiel für mich.“ Dies dürfe und werde aber keine Rolle am Sonntag spielen, wenngleich RB „eine riesige Herausforderung“ werde, so Blessin.

Beierlorzer und Blessin trainierten gemeinsam die U17

Auch Achim Beierlorzer erinnert sich genau an die Saison 2014/15, als er bei RB die U17 mit Co-Trainer Blessin von Frank Leicht übernahm. „Wir hatten damals beispielsweise mit Ermedin Demirovic, Jeff Chabot, Vitaly Janelt und vielen anderen starken Spielern einen tollen U-17-Jahrgang“, denkt Beierlorzer zurück. „Die Zusammenarbeit mit Alex war top, wir sind damals auch Freunde geworden und immer noch in Kontakt. Er ist eine großartige Persönlichkeit.“

Achim Beierlorzer
Achim Beierlorzer steht mittlerweile beim Zweitligisten Jahn Regensburg unter Vertrag. © DPA Images | Armin Weigel

Die Leipziger Spiel-DNA sei jedem Neuankömmling sofort vermittelt worden. Das galt einerseits für die Spieler, andererseits aber auch für die Trainer. „Als ich damals von Fürth nach Leipzig gekommen bin, gab es drei integrative Maßnahmen. Ich war sofort eine Woche lang bei den Profis dabei. Und im Trainingslager mit der U17 gab es dann jeweils für drei Tage Besuch von Helmut Groß und Wolfgang Geiger, die als Trainer-Trainer und Mentoren fungiert haben“, erinnert sich Beierlorzer.

RB-Prinzipien in allen Teams fest verankert

Zwar habe man in Sachen Grundformation keine Vorgaben bekommen, die Prinzipien – Gegenpressing und Umschaltspiel – waren aber in Stein gemeißelt. So lange die Intensität stimmte, war es egal, ob der Nachwuchs mit Dreier-, Vierer- oder Neunerkette spielte. „Diese sehr intensive Spielweise zog sich durch alle Teams. Ich fand es sehr wertvoll, wie diese Philosophie an die Spieler weitergegeben wurde“, sagt Beierlorzer.

Als der heute 56-Jährige im Februar 2015 zum Interimstrainer der Leipziger Profis befördert wurde und dafür Robert Klauß der neue Chefcoach an Blessins Seite in der U17 wurde, fiel die Umstellung allen leicht. Man kannte sich und die Spielidee schließlich schon aus den Büro-Containern. „Wir haben immer viel miteinander diskutiert, häufig auch kontrovers. Auf den ersten Blick waren manche Ansätze vielleicht zu radikal, sie haben aber immer zum Nachdenken angeregt“, erinnert sich Robert Klauß. „Damals war Leipzig einer der ersten Clubs, bei dem schon in der U17 und U19 mit großen Staffs gearbeitet wurde. So haben wir früh gelernt, wie man einen ganzen Trainerstab mit Videoanalysten, Athletiktrainern und Co. führt.“

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Robert Klauß (r.) qualifizierte sich mit Rapid Wien für die Uefa Conference League. © imago/GEPA pictures | IMAGO/GEPA pictures/ Armin Rauthner

Blessin hätte Co-Trainer in Mainz werden können

Insofern habe man sich auch kaum umstellen müssen, als man in den Profibereich wechselte. Beierlorzer coachte später in Regensburg, Köln und Mainz, Klauß kam über Nürnberg nach Wien – und Hoeneß schaffte es über Hoffenheim nach Stuttgart. „Vor zehn Jahren war uns Nachwuchstrainern natürlich nicht bewusst, wo unsere Wege einmal hinführen würden. Grundsätzlich hat man aber schon gemerkt, dass in Leipzig sehr viel Wert darauf gelegt wurde, auch Trainer auszubilden“, sagt Klauß.

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Blessin selbst wechselte erst 2020 beim belgischen Club KV Oostende in den Profibereich, nachdem er mehrere Jahre als Cheftrainer der U17 und U19 in Leipzig Erfahrungen sammelte. Zuvor gab es auch die Idee, Co-Trainer von Beierlorzer in Mainz zu werden. Doch selbst Beierlorzer riet ihm damals, seinen eigenen Weg zu gehen.

Obwohl mittlerweile alle bei großen Proficlubs arbeiten und teilweise Konkurrenten sind, halten die früheren Trainerkollegen nach wie vor Kontakt. Klauß fachsimpelte mit Blessin zuletzt bei einer Trainertagung, mit Leicht trifft sich der St.-Pauli-Coach immer, wenn dieser über Weihnachten aus Philadelphia zu Besuch ist. Das Cottaweg-Containerdorf besteht weiter.