Hamburg. Morgan Guilavogui wartet beim FC St. Pauli noch auf sein erstes Bundesligator. Nun kommt es gegen Wolfsburg zu einem besonderen Spiel.

Wie schnell sich Pläne im Profifußballgeschäft ändern können, hat Josuha Guilavogui in den vergangenen Tagen erlebt. „Ich hatte schon alles gebucht“, sagt der langjährige Kapitän des VfL Wolfsburg und schlägt lachend die Hände vor das Gesicht. „Mein Flug von Dubai nach Hamburg sollte eigentlich am Freitag gehen. Ich hatte mir schon vorgenommen, ein paar Bekannte zu treffen, das Spiel von St. Pauli im Millerntor-Stadion zu gucken und am Sonntag nach Wolfsburg zu fahren, weil ich noch immer viele Freunde dort habe.“

In den Vereinigten Arabischen Emiraten hatte der 34 Jahre alte Franzose in der vergangenen Woche mit anderen vereinslosen Spielern wie Ex-Bayern-Profi Bouna Sarr trainiert, ehe ein Anruf seines Beraters alles veränderte: Leeds United wollte ihn haben. Statt nach Hamburg ging es für ihn per Flugzeug nach Nordengland, wo er am Mittwoch einen Vertrag bis Saisonende unterschrieb, bereits das erste Training absolvierte und auch noch eine Wohnung besichtigte.

FC St. Pauli: Josuha Guilavogui hält am Sonnabend zu seinem Bruder

„Boah, ich habe riesigen Hunger. Ich hatte bisher keine Zeit, etwas zu essen“, sagt Guilavogui, als er am späten Mittwochabend in seinem Hotelzimmer in Leeds sitzt und im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“ zugeschaltet ist. Das Bundesliga-Heimspiel seines jüngeren Bruders Morgan (26) am Sonnabend (15.30 Uhr) gegen seinen Ex-Club kann Josuha Guilavogui jetzt nur noch im Liveticker verfolgen, um 13.30 Uhr tritt er mit Zweitligist Leeds bei Bristol City an. „Ich werde nach dem Spiel sofort gucken, wie es bei meinem Bruder steht“, sagt er.

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Josuha Guilavogui spielte viele Jahre für den VfL Wolfsburg in der Bundesliga. © WITTERS | LeonieHorky

Die Entscheidung, welcher Mannschaft er dabei die Daumen drücken soll, sei natürlich nicht leicht gewesen. „Es tut mir ein bisschen leid für Wolfsburg, aber Morgan ist nun mal mein kleiner Bruder. Die VfL-Fans können vielleicht akzeptieren, dass ich ausnahmsweise mal nicht für sie bin“, sagt Guilavogui. „Wolfsburg wird aber immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben, ich habe diesem Verein unglaublich viel zu verdanken.“

Die Anfangszeit in Wolfsburg sei kompliziert gewesen

2014 war er von Atlético Madrid nach Niedersachsen gekommen. Wie sein Bruder, den St. Pauli derzeit vom französischen Erstligisten RC Lens geliehen hat, war auch Josuha Guilavogui zunächst nur Leihspieler – und in der Anfangsphase ziemlich überfordert. „Die ersten Einheiten waren für mich sehr hart. Bei Atlético haben wir unter Diego Simeone auch hart gearbeitet, aber nicht so lange. Als wir dann zwei Tage vorm Spiel bei Dieter Hecking Pressing über den ganzen Platz trainiert haben, habe ich mich gefragt: Was ist das hier?!“, sagt Guilavogui und lacht. „Er meinte dann nur, dass wir Energie für das Wochenende tanken müssen.“

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Josuha Guilavogui: „Morgan muss sein Selbstvertrauen aufbauen.“

Millerntalk - Der FC St. Pauli - Podcast

In der schwierigen Anfangszeit beim VfL habe ihm der später tödlich bei einem Autounfall verunglückte Junior Malanda enorm geholfen, etwa die Trainer-Ansprachen auf französisch übersetzt. Auch seine Deutschlehrerin habe viel Druck gemacht. „Ich sollte schon nach einem Monat mein erstes Interview geben. Als ich etwas besser reingekommen bin, lief es überragend“, sagt Guilavogui. „Wir haben dann ein super Jahr gehabt, sind Vizemeister, Pokalsieger und Supercup-Sieger geworden.“

„Morgan muss ein Tor schießen, um Selbstvertrauen aufzubauen“

Sein rund siebeneinhalb Jahre jüngerer Bruder durchlebt derzeit eine ähnlich schwierige Anfangsphase, spricht die Sprache noch nicht und wartet nach vielversprechenden Testspielen weiterhin auf sein erstes Bundesligator. „Er muss jetzt sein erstes Tor schießen, um Selbstvertrauen aufzubauen“, sagt Josuha Guilavogui. „Morgan hat einen super Schuss, den er noch zu selten nutzt. Er muss da etwas egoistischer sein als Stürmer.“

Am vergangenen Freitag stand der Kiezkicker bei seinem Treffer in Dortmund (1:2) nur knapp im Abseits, auch am ersten Spieltag gegen Heidenheim (0:2) ließ er eine riesige Kopfballchance aus. „Jonny Burkardt, mit dem ich in Mainz zusammengespielt habe, hat mir damals eine Nachricht geschickt: Josh, dein Bruder muss an seinem Kopfballspiel arbeiten“, erzählt Guilavogui mit einem Grinsen. „Nein, Spaß beiseite, ich bin mir sicher, dass er bald treffen wird.“

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Diese Sicherheit hängt auch mit der Charakterstärke zusammen, die die beiden Brüder von ihrem Vater Paul mitbekommen haben. „Das Wichtigste, was uns unser Vater gegeben hat, ist unsere Erziehung. Wir haben früh gelernt, dass wir demütig und dankbar sein müssen“, sagt Josuha Guilavogui, der 2018 eine Stiftung gründete, mit der er ein Waisenhaus für 23 Kinder in Guinea betreibt. Als er vor eineinhalb Jahren in Wolfsburg verabschiedet wurde, spendete auch der VfL Geld, mit dem die Stiftung einen Schulbus kaufen konnte. „In Deutschland träumen Kinder davon, Profifußballer zu werden. In Afrika ist das oft anders. Da träumen Kinder davon, zur Schule zu gehen und etwas zu essen zu haben“, sagt Guilavogui.

Und wovon träumt der 34-Jährige selbst? „Ich bin dankbar für alles, was ich in meiner Karriere erleben durfte. Jetzt möchte ich eher etwas an die Gesellschaft zurückgeben“, sagt er. „Aber wenn ich mit Leeds noch mal in die Premier League aufsteigen könnte – dann wäre das auch für mich ein Traum.“