Hamburg. Der Angriff des FC St. Pauli ist der harmloseste der Bundesliga. Stürmertrainer Romeo Wendler gibt Tipps, wie es besser laufen kann.

Seinem Spitznamen als „Toreflüsterer“ macht Romeo Wendler im Gespräch wenig Ehre. Einmal auf Touren, kommt der 55-Jährige in einen regelrechten Redeschwall, in dem er lebhaft von seiner Passion spricht. Toreschießen ist die Leidenschaft Wendlers. „Du musst als Stürmer geil darauf sein“, sagt er und ist hörbar geil darauf.

Dem FC St. Pauli ist die Geilheit aufs Treffen keinesfalls abzusprechen. Die Quote fällt in der Bundesliga bislang allerdings mau aus. Gerade einmal fünf Tore gelangen in den bisherigen sieben Begegnungen. In Eric Smith wurde am Montag zumindest mit dem Traumtorschützen zum zwischenzeitlichen 1:1 in Dortmund verlängert. Was dem Schweden aus 27,31 Metern gelang, stellt bislang eine Ausnahme bei den Hamburgern dar.

FC St. Pauli stellt die schwächste Offensive der Bundesliga

Was nicht an der Anzahl der abgegebenen Torschüsse liegt. In dieser Statistik befindet sich der Kiezclub mit 86 Abschlüssen gleichauf mit RB Leipzig auf Rang zehn. Dumm nur: Lediglich 25,6 Prozent der Versuche landen tatsächlich Richtung Tor (17.), besagte fünf darin (18.). Einen singulären Grund für die gehemmte Offensive gibt es zwar nicht. Die Positionen, aus denen die Schüsse abgegeben werden, deuten aber tendenziell auf eine Abschlussschwäche hin. Im Schnitt feuert St. Pauli aus 15,63 Metern auf den Kasten, und damit ziemlich genau im Ligadurchschnitt. Es kommt jedoch zu wenig dabei heraus.

Romeo Wendler, Stürmertrainer
Romeo Wendler (53) ist selbstständiger Stürmertrainer. © Privat

Wie sich das ändern lässt, darauf hat Wendler eine simple Antwort: „Mehr Torschusstraining.“ Klingt platt, ist deshalb aber nicht falsch. „In vielen Clubs werden Abschlüsse in Form von Übungen trainiert, die ins taktische Konzept passen, bei denen viele Akteure beteiligt sind. Alles sinnvoll, aber das sorgt auch dafür, dass die einzelnen Spieler kaum aufs Tor schießen, sondern sich alles aufs Team verteilt“, sagt der Kroate. Bei einigen Vereinen kommen die Stürmer so auf 30 bis 50 Abschlussaktionen pro Woche.

Stürmertrainer Romeo Wendler rät Kiezkickern zu mehr Torschusstraining

„Wie soll das funktionieren? Wenn ich immer nur zehn Kilometer laufe, schaffe ich nicht plötzlich 20. Toreschießen ist nicht reine Kopfsache, sondern das Ergebnis von viel Arbeit“, sagt Wendler. Individualtraining mit 60 bis 90 Torschüssen täglich wie das, das er anbietet, sei im Profibereich mittlerweile unabdingbar.

Wendler, früher Torjäger in der Regionalliga, arbeitete in der recht ungewöhnlichen Position als Stürmertrainer unter anderem bei der TSG 1899 Hoffenheim, dem VfL Bochum und Dynamo Kiew. Inzwischen ist der in Gelsenkirchen lebende Vater zweier Töchter selbstständig. Zu seinen Klienten zählen unter anderem die Nationalspieler Timo Werner und Chris Führich. Zweitgenannter verbesserte sich zum Beispiel von neun Toren in drei Jahren auf 13 in einer Saison. Auch Marco Richter vom HSV arbeitete während seiner Zeit bei Hertha BSC mit Wendler. Vom FC St. Pauli buchte ihn mal der jetzige Münsteraner Etienne Amenyido. „Leider ist er zu oft verletzt, um sein Potenzial auszuschöpfen“, sagt Wendler.

St. Paulis Trainer Alexander Blessin war früher selbst Stürmer

Wie die Kiezkicker nun ihr Potenzial entfalten können, will sich der gebürtige Zagreber aus der Ferne nicht explizit anmaßen. Auf Wiederholungen und Automatismen zu setzen, sei aber ein guter Weg, kurzfristig eine Verbesserung zu erzielen. „Zusätzlich zum Teamtraining individuelle Einheiten absolvieren, in denen der Stürmer aus den Positionen und Situationen heraus abschließt wie im Spiel. Erst mal die Stärken weiter herausstellen. So eintönig das sein mag, wenn man dann immer wieder trifft, hebt das erst mal das Selbstvertrauen, man handelt im Spiel intuitiver, fühlt sich sicherer“, sagt Wendler. Tatsächlich erschien es gelegentlich so, als kommen die Abschlüsse des Aufsteigers zu zögerlich.

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Alexander Blessin (51) war früher selbst Bundesligastürmer. Seine Spieler konnten sich davon bereits überzeugen. © Witters | Tay Duc Lam

Einen Stürmertrainer beschäftigt St. Pauli nicht. Chefcoach Alexander Blessin ist jedoch selbst ehemalige Offensivkraft, hat ein besonderes Auge für seine Angreifer. Individuell arbeiten die meisten Spieler häufig nach einer Trainingseinheit, mitunter bis zu einer halben Stunde. Abhängig davon, welche Belastungssteuerung vorgesehen ist.

Videoanalysen helfen den Angreifern der Hamburger

Wendler empfiehlt, in diesen Momenten des Einzeltrainings auf längere Sicht besonders die Beidfüßigkeit zu schulen, weil sich dadurch nahezu doppelt so viele Abschlussmöglichkeiten und häufig bessere Winkel ergeben. Im Abschluss mit dem Fuß verbessern sich die meisten Spieler zudem schneller als bei Kopfbällen. Wendler rät auch dazu, sich Szenen der besten Stürmer der Welt und deren Verhalten in gewissen Situationen anzuschauen. Bei St. Pauli gibt es individuelle Videoanalysen, die vorrangig Clips des angesprochenen Spielers beinhalten.

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Im Verein hoffen sie alle, dass diese Ausschnitte bald wieder richtig geil sind.

Kurz notiert:
André Schubert (53), von 2011 bis 2012 Trainer bei St. Pauli, übernimmt interimistisch den Regionalligisten Hessen Kassel.
Beim Training am Montag fehlten Kapitän Jackson Irvine (31) und Karol Mets (31/beide Belastungssteuerung), Connor Metcalfe (24) trainierte individuell.