Dortmund. Die Kiezkicker kämpfen sich mit einem spektakulären Treffer ins Spiel zurück, doch der Konter folgt prompt. Die Gründe für das 1:2.
Es war bis zum Ende spannend, doch der FC St. Pauli musste am Freitagabend ohne Punkte die Rückreise aus Dortmund antreten. Bei der 1:2 (0:1)-Niederlage hatte sich das Team von Trainer Alexander Blessin ordentlich verkauft, in der Schlussphase nach einem Traumtor von Eric Smith auf einen Punkt hoffen dürften, sich am Ende aber der individuellen Klasse der Dortmunder Offensive beugen müssen.
„Wir sind sehr traurig, wenn man kurz Schluss eigentlich einen Punkt in der Hand hat und dann doch mit null Punkten nach Hause fahren muss“, sagte St. Paulis Trainer Alexander Blessin knapp eine Stunde nach dem Spiel angesichts der Tatsache, ein Unentschieden letztlich doch noch aus der Hand gegeben zu haben. „Grundsätzlich haben wir eine gute Leistung gezeigt.“
Hatten die BVB-Anhänger noch vereinzelt gepfiffen, als Dortmunds Stadionsprecher-Legende Norbert Dickel die Mannschaftsaufstellung des FC St. Pauli vortrug, zeigte sich kurz nach dem Anpfiff, dass es zwischen den beiden Fanlagern keineswegs ein feindseliges Verhältnis gibt. In einem hübschen Wechselgesang „BVB – St. Pauli“ stimmten sich die Heimfans auf der immer wieder imposanten Südtribüne und die Kiezclub-Anhänger in einer Ecke der Nordtribüne in den ersten beiden Minuten auf das erhoffte Spektakel auf dem Rasen ein.
FC St. Pauli unterliegt Borussia Dortmund 1:2
Dass hier St. Paulis Rechtsaußen Oladapo Afolayan schon in der ersten Minute den ersten Torschuss des Spiels abgab, war letztlich nur eine statistische Randnotiz, zumal der Ball dann doch recht deutlich links am Tor vorbeiflog.
Dennoch zeigte die Szene, dass sich die St. Paulianer vor den 81.365 Zuschauern im natürlich ausverkauften Signal Iduna Park nicht nur auf das Verteidigen des eigenen Tores beschränken wollten, auch wenn sie sich bei Dortmunder Ballbesitz oft doch mit allen elf Spielern im hinteren Drittel des Spielfeldes aufhielten.
Nikola Vasilj muss früh eingreifen
Dabei zeigte Torwart Nikola Vasilj nach seinen beiden Nations-League-Niederlagen mit Bosnien-Herzegowina (1:2 gegen Deutschland und 0:2 gegen Ungarn) schon in der sechsten Minute eine Glanztat, als er gegen den frei vor ihm auftauchenden 40-Millionen-Stürmer Serhou Guirassy rettete und das frühe 0:1 verhinderte.
Neun Minuten später entschärfte Abwehrmann Hauke Wahl ein zugegebenermaßen eher schwaches Schüsschen von Donyell Malen kurz vor der Torlinie und leitete damit die beste Phase der Hamburger in der ersten Hälfte ein. Als plötzlich Afolayan im Strafraum freigespielt wurde, zögerte einen Tick zu lange mit dem Abschluss. Das reichte schon, damit Linksverteidiger Rami Bensebaini gerade noch mit einer Grätsche den Schuss blocken konnte (16.).
Abseitstor von Morgan Guilavogui
St. Pauli fasste immer mehr Mut, spielte nun phasenweise munter mit, selbst Abwehrchef Eric Smith traute sich mit Ball weit in die gegnerische Hälfte und, da ihn keiner Schwarz-Gelber so richtig angriff, schoss der Schwede einfach mal aus 20 Metern – allerdings zu zentral um BVB-Keeper Gregor Kobel wirklich zu gefährden (28.).
Doch Smith hatte nun Gefallen gefunden, servierte einen Freistoß mit rechts von halblinks weit nach hinten in den Dortmunder Strafraum, wo plötzlich Morgan Guilavogui auftauchte und den Ball über die Torlinie drückte und einen kollektiven Torjubel der in weiß gekleideten Kiezkicker auslöste (30.).
Ärger über aberkannten Führungstreffer
Doch bevor ein Tor wirklich zählt, muss es bekanntlich den Videocheck überstehen. Und der dauerte lange, sehr lange sogar. Doch dann kam VAR Benjamin Brand zum Schluss, dass Guilavogui im Abseits war und es somit weiter 0:0 stand. Ein typischer Fall von zu früh gefreut. Doch es war ganz offenbar hauchdünn. Und aus St.-Pauli-Sicht auch höchst umstritten, wie später Trainer Alexander Blessin betonte.
Mehrfach habe er sich die Szene angeschaut, erklärte er. „Für mich ist es nicht klar zu erkennen, wo Emre Can steht. Man kann also keine Linie ziehen. Und wenn es so unklar ist, darf man das Tor auch nicht aberkennen und darf der VAR nicht einschreiten“, sagte der Coach. „Can ist auf allen Bildern verdeckt. Daher hätte für mein Dafürhalten das Tor gegeben werden müssen.“
Trainer Blessin: „Das Tor hätte gegeben werden müssen“
Zudem stellte sich wieder einmal die Frage, ob der genaue Zeitpunkt des Abspiels, in dem Fall des Freistoßes von Smith, überhaupt so exakt zu bestimmen ist wie eine hauchdünne Abseitsposition. Laut Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck sei genau diese Festlegung beim Videocheck vorgenommen worden. „Darauf müssen wir uns eben als Schiris auf dem Feld verlassen“, sagte Jöllenbeck. Klar ist: eine St.-Pauli-Führung hätte die Statik des Spiels ebenso verändert wie die Stimmung auf den Rängen. Blessin hatte schon kurz zuvor ein Murren der BVB-Fans registriert.
Als sich beide Teams schon damit abgefunden zu haben schienen, dass es torlos in die Pause geht, führte ein eher harmlos wirkender BVB-Angriff zum 1:0 für das Heimteam (43.). Ein wenig zu unbedrängt durfte Nationalspieler Pascal Groß aus dem rechten Halbfeld flanken, im Strafraum kam der aufgerückte Bensebaini ebenfalls zu unbehelligt zum Kopfball und zirkelte das Spielgerät im hohen Bogen ins hintere Toreck. Vasilj reckte sich vergebens.
St.-Pauli-Fans zünden Feuerwerk, das Team legt nach
Plötzlich wirkte St. Paulis Defensive ein wenig orientierungslos und erlaubte Dortmunds Mittelfeldmann Julian Brandt, direkt vor dem Tor frei zum Kopfball zu kommen. Dass dies nicht dessen Kernkompetenz ist, war in dieser Situation St. Pauli Glück. Der Ball flog über das Tor. Ein 0:2 zur Pause wäre schon eine schwere Hypothek gewesen, um die fünfte Saisonniederlage im siebten Bundesligaspiel zu vermeiden.
Technische Probleme bei Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck ermöglichten nach dem Seitenwechsel beiden Teams eine längere Verschnaufpause. Die Funktechnik war in den Streik getreten und musste ausgewechselt werden, was einige Minuten in Anspruch nahm. Mit entschuldigenden Gesten nahm Jöllenbeck schließlich seinen Dienst wieder auf, um direkt danach das Spiel wieder zu unterbrechen. Im Fanblock des FC St. Pauli wurden einige pyrotechnische Blinker gezündet.
Eric Smith gleicht spektakulär aus
St. Pauli überstand nach etwas mehr als einer Stunde eine Dortmunder Doppelchance innerhalb einer halbe Minute, als zunächst Vasilj erneut gegen Guirassy per Fuß rettete und dann auf der Torlinie mitansah, wie erst Guirassy und dann am hinteren Pfosten Malen die scharfe Hereingabe des eingewechselten Jamie Gittens knapp verfehlten.
Und so hatte St. Pauli, als die letzte Viertelstunde anbrach, immer noch die Chance, mit einem Lucky Punch einen Punkt zu retten. Und tatsächlich schien es genauso zu kommen, als der eingewechselte Scott Bank mit einem beherzten Sprint über die rechte Seite für Gefahr sorgte und der zunächst abgeblockte Flankenball genau auf den Fuß von Eric Smith kam. Dessen Dropkick aus rund 28 Metern landete zum 1:1 (78.) im Dortmunder Kasten. Und diesmal überstand der Treffer auch den Videocheck. Afolayan hatte zwar wohl im Abseits gestanden, aber hatte Torwart Kobel nicht wirklich entscheidend irritiert. „Den Ball hätte er niemals gehalten“, legte sich Afolayan später fest.
Serhou Guirassy entscheidet die Partie
Die Freude der Braun-Weißen aber währte erneut nicht lange, denn Gittens entwischt dem gerade eingewechselten Adam Dzwigala, flankte mustergültig auf den Kopf von Guirassy, der diesmal ohne Probleme per Kopf das 2:1 für den BVB erzielte. Als in der Nachspielzeit Dzwigala über das Dortmunder Tor schoss, war die Niederlage der Hamburger besiegelt. „Man kann so etwas nicht immer eins zu eins verteidigen, da hätte Adam Unterstützung haben müssen“, nahm Blessin den eingewechselten Dzwigala in Schutz. „Direkt davor war er in zwei Zweikämpfen gegen Gittens sofort da. Bei Manos hatte ich das Gefühl, dass er nicht mehr so griffig im Anlaufen war“, begründete Blessin die Auswechslung von Manolis Saliakas, der für Dzwigala hatte Platz machen müssen.
„Es wäre mehr drin gewesen, vielleicht wäre auch Glück nötig gewesen beim Abseitstor. So viele Chancen hatten wir zwar nicht, dafür aber Hochkaräter, daraus kann man auf jeden Fall ein Tor machen“, sagte Mittelstürmer Johannes Eggestein.
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Borussia Dortmund: Kobel – Ryerson, Anton, Schlotterbeck, Bensebaini – Can (69. Nmecha), Groß (46. Gittens) – Sabitzer, Brandt (90.+5 Wätjen), Malen (76. Beier) – Guirassy.
FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas (82. Dzwigala), Irvine, Wagner, Treu – Afolayan (88. Sinani), Eggestein (88. Albers), Guilavogui (69. Banks).
Tore: 1:0 Bensebaini (43.), 1:1 Smith (78.), 2:1 Guirassy (83.). Schiedsrichter: Jöllenbeck (Freiburg). Zuschauer: 81.365 (ausverkauft). Gelbe Karten: Gittens (2), Brandt (2) – Smith. Statistiken: Torschüsse: 21:10; Ecken: 7:1; Ballbesitz: 73:27 Prozent; Zweikämpfe: 69:41; Laufleistung: 114,1:122,6 Kilometer.