Hamburg. Am Dienstag spielte St. Paulis Kapitän noch in Japan, am Freitag soll er in Dortmund auf dem Platz stehen. Wie das funktionieren kann.

Als Schiedsrichter Ahmad Al Ali am Dienstag im Saitama-Stadion abpfiff, war die Erleichterung groß. In erster Linie bei der australischen Nationalmannschaft, die auswärts gegen das bis dahin gegentorlose und verlustpunktfreie Japan ein 1:1-Remis und damit einen wichtigen Punkt in der WM-Qualifikation holte. Aber auch beim FC St. Pauli war man froh, dass sich Kapitän Jackson Irvine offenbar keine Verletzung zuzog.

Wie bereits am vergangenen Donnerstag im Heimspiel gegen China (3:1) in Adelaide hatte der Kiezkicker 90 Minuten für die Socceroos auf dem Platz gestanden. Die große Belastung war mit dem Schlusspfiff in Saitama allerdings noch nicht vorbei, bereits am Freitagabend (20.30 Uhr/DAZN) soll Irvine mit St. Pauli im Bundesligaspiel bei Borussia Dortmund auf dem Platz stehen.

FC St. Pauli: Irvine vor dem Dortmund-Spiel im Reisestress

Wie sich der 31-Jährige in diesen Tagen fühlt, kann Prof. Dr. Tim Meyer gut nachempfinden. Wie Irvine flog auch der langjährige Mannschaftsarzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vor wenigen Tagen nach Australien. Allerdings nicht, um dort Länderspiele zu bestreiten, sondern für einen Sportmedizinkongress. „Reisen können immer Stress bedeuten. Wenn sie darüber hinaus auch noch mit einer Zeitumstellung verbunden sind, zehrt das besonders“, sagt Meyer, als ihn das Abendblatt per Videoanruf in Melbourne erreicht.

Von 2001 bis 2023 arbeitete der 56-Jährige für das DFB-Team, parallel zu seiner Tätigkeit als ärztlicher Direktor des Instituts für Sport- und Präventivmedizin in Saarbrücken. Auch heute sitzt Meyer noch in verschiedenen sportmedizinischen Arbeitsgruppen und Kommissionen von DFB, Uefa und des Deutschen Olympischen Sportbunds. Kurzum: Ein größerer Experte für Regeneration und Leistungsfähigkeit im Profifußball ist in Deutschland nur schwer zu finden.

Kaum Zeit zur Regeneration für St. Paulis Kapitän

Je nach Rush-Hour-Lage in Tokio könnte es Irvine in zwei Stunden vom Saitama-Stadion zu Tokios Flughafen geschafft haben, ehe ein etwa 15-stündiger Flug nach Deutschland auf ihn wartete. In Hamburg wird der Mittelfeldspieler erst am Donnerstag das Abschlusstraining mitmachen, ehe das Team nach Dortmund aufbricht.

„Der Spieler kann sich etwas müde und weniger leistungsfähig fühlen. Das ist für jemanden, der körperliche Höchstleistung bringen muss, nicht perfekt. Das bedeutet allerdings nicht, dass er automatisch gesundheitlich gefährdet ist“, sagt Meyer. „Wir wissen jedoch, dass es in der Bundesliga mitunter darum geht, wenige Zentimeter eher am Ball zu sein als der Gegner. Die kann eine solche Reisebelastung durchaus kosten.“

GES/ Fussball/ DFB Pressekonferenz Wolfsburg, 09.11.2021
Prof. Dr. Tim Meyer (56) war jahrelang Mannschaftsarzt der deutschen Nationalmannschaft. © Picture Alliance | Markus Gilliar

Und, ergänzt Meyer: „Unabhängig von Reisen gibt es den Zusammenhang, dass Verletzungen im ermüdeten Zustand eher eintreten. Aussagekräftige Studien dazu, ob sich Spieler nach langen Reisen eher verletzen, gibt es allerdings noch nicht.“

Beim BVB gab es mehr, aber dafür kürzere Länderspielreisen

Beim BVB waren 13 Profis in den vergangenen Tagen auf Länderspielreise, die meisten allerdings innerhalb von Europa. Lediglich Stürmer Serhou Guirassy (Guinea) und Verteidiger Ramy Bensebaini (Algerien) waren auf anderen Kontinenten unterwegs. Im Gegensatz zu Irvine mussten die Dortmunder Profis aber keine große Zeitverschiebung verkraften.

Dass Irvines Länderspieltrip nicht in Australien, sondern in Tokio endete, sieht Sportmediziner Meyer als Vorteil. „Die Rückreise aus Japan dürfte für ihn etwas einfacher sein, weil sie kürzer ist und weniger Zeitzonen überschreitet. Westflüge sind außerdem in der Regel besser zu tolerieren“, sagt er.

Ausreichend Schlaf spielt bei Regeneration große Rolle

Wichtig sei, dass der Kiezkicker die Flugzeit in seine nächste natürliche Schlafperiode eingliederte. Weil die Partie gegen 21.30 Uhr japanischer Zeit abgepfiffen wurde, war dies allerdings eine Herausforderung. Einen Langstreckenflug ausschließlich tagsüber zu bestreiten, sei laut Meyer nicht zu empfehlen, da man so am wenigsten Schlaf bekomme.

Entscheidend könne darüber hinaus auch die Sitzplatzwahl im Flugzeug sein. „Es ist keine Frage, dass der Reisestress durch eine bequeme Position, in der man gut schlafen kann, gemindert wird. In der Economy-Class ist es aufgrund der Enge und aufrechteren Sitzhaltung nicht so einfach, mehrere Stunden zu schlafen“, sagt Meyer. „Die Ansteckungsgefahr in Flugzeugen ist derweil deutlich geringer, als viele denken, weil es mittlerweile eine gute Durchlüftung und hervorragende Filtersysteme gibt.“

Studie zeigt Infektionsrisiko auf langen Reisen

Die klimatische Umstellung – in Tokio waren am Dienstag 27 Grad Celsius – sei ebenfalls nicht automatisch ein Problem. Eine Erkältung setze schließlich immer einen Erreger voraus, erklärt der Mediziner. Dennoch sei die Gefahr, sich auf langen Reisen einen Infekt einzufangen, durchaus gegeben.

„Es gibt eine interessante Studie aus dem Rugby, wo südamerikanische, afrikanische, neuseeländische und australische Teams gegeneinander spielen und dementsprechend auch viel reisen müssen. Da zeigt sich, dass nach Reisen von der Heimat weg mehr Infektionen auftreten. Ein plausibler Grund dafür ist, dass man in ein anderes Erreger-Reservoir kommt, als man es zu Hause gewohnt ist und dafür etwas anfälliger ist“, sagt Meyer.

Mehr zum Thema

Abgesehen von ausreichend Schlaf gibt es weitere Maßnahmen, die zur besseren Regeneration beitragen. Viele Profis nutzen spezielle „Regenerationshosen“, die wahlweise auf Massagefunktionen oder Kompression setzen. Darüber hinaus sei auch die Flüssigkeitszufuhr entscheidend, sagt Meyer: „Es gibt keine reisespezifische Ernährung für Fußballspieler. Im Flugzeug muss man aber unbedingt – auch wenn man keinen Durst verspürt – viel trinken, weil die Luft in der Kabine sehr trocken ist.“

Sollte Irvine all das beachten, dürfte einem Einsatz am Freitagabend nichts im Wege stehen. Gleiches gilt für Innenverteidiger Eric Smith, der wegen Adduktorenbeschwerden gar nicht erst zur schwedischen Nationalelf aufbrechen, am Dienstag aber wieder fast in vollem Umfang im Teamtraining mitmischen konnte.