Hamburg. Julia Möhn und ihre Organisation haben harte Forderungen an die Proficlubs. Inwiefern der Kiezclub als Vorbild dient.
Der FC St. Pauli kann viel. So lassen sich die Worte von Julia Möhn ganz stark verknappt zusammenfassen. „St. Pauli ist auf jeden Fall das glänzende Beispiel, wenn es um die diverse Besetzung von Spitzenpositionen im deutschen Profifußball geht“, sagt Möhn. Drei von fünf Mitgliedern des Präsidiums sind weiblich, vier von sieben des Aufsichtsrats. Der Kiezclub kann also gar nicht so viel mehr nach oben schaffen. Aber der „Fußball kann mehr“ (FKM). So heißt zugleich die gemeinnützige Netzwerkorganisation, die sich für Geschlechtergerechtigkeit und Diversität einsetzt, und deren Geschäfte Möhn seit Anfang des Jahres leitet.
Doch was genau kann der Fußball denn mehr? „Wir haben erst während der EM gemerkt, wie verbindend der Sportsgeist sein kann. Etwas, das wir nicht mehr so oft finden in der Gesellschaft. Im Moment haben wir aber den Eindruck, dass der Profifußball in Deutschland diese Wirkkraft nicht in dem Maße entfaltet, wie er es könnte“, sagt Möhn im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“ über den FC St. Pauli.
FC St. Pauli ein Vorbild für „Fußball kann mehr“
Genau das zum Positiven verändern, haben sich die 52-Jährige und ihre teils prominenten Mitstreiter – gleich mehr dazu – vorgenommen. Als gGmbH nicht in ausschließlich aktivistischer Weise, „sondern, indem wir mit den Menschen und den Clubs reden. Denn nur das hilft, um Veränderungen anzustoßen“, sagt Möhn, die sich gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen hauptamtlich darum kümmert, eine Werksstudentin hilft zusätzlich.
Im Beirat treten bekannte Gesichter für die Belange von FKM ein. Unter anderem Ex-HSV-Vorständin Katja Kraus, Olympiasiegerin Almuth Schult, Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb, aber auch Werder-Bremen-Legende Marco Bode, Thomas Hitzlsperger und sogar Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Doch keine Sorge, kriegstüchtig soll FKM Gott sei Dank nicht gemacht werden, wenngleich die in Hamburg ansässige Organisation für ihre Belange in den Kampf zieht.
Nur sechs von 84 Positionen im Topmanagement sind weiblich besetzt
In der vergangenen Saison durch die Diversitätsstudie „Lage der Liga“, die die Besetzung von Führungsgremien der 36 Proficlubs (32 beteiligten sich) untersuchte. Die Befragung lieferte vor allem zwei relevante Ergebnisse: ein wenig überraschendes und ein überraschendes. Das Erwartbare: Nur sechs von 84 Positionen im Topmanagement sind von Frauen besetzt.
Viel spannender ist allerdings, welche Vereine in der Ebene unterhalb des Vorstands eine nahezu paritätische Quote aufweisen. In der SV Elversberg, dem 1. FC Kaiserslautern und FC Bayern München nämlich drei Vereine aus grundsätzlich verschiedenen Spektren. „Das hat uns gezeigt, dass es keine Blaupause gibt, sondern dass eine größere Teilhabe von Frauen möglich ist, egal nach welchem Leitclub man sich richtet“, sagt Möhn.
Julia Möhn: „Du kannst nicht sein, was du nicht sehen kannst“
Ein sehr gutes Vorbild aus Sicht der langjährigen Journalisten ist – logisch – der FC St. Pauli. Mit am wichtigsten an den weiblich dominierten Gremien bei den Hamburgern findet Möhn die dadurch entstehende Sichtbarkeit. „Du kannst nicht sein, was du nicht sehen kannst“, zitiert sie die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Marian Wright Edelman. „Vielen Frauen kommt der Gedanke gar nicht, sich für einen Aufsichtsratsposten zu bewerben, weil es kaum Amtsträgerinnen gibt“, sagt Möhn.
Auch der Weg ehemaliger Profifußballerinnen in Management- und Trainerpositionen hinein sei wesentlich schwieriger als für Ex-Profifußballer. Neben alten Seilschaften gibt es einen Hauptgrund dafür: Geld. „Die Ausbildung kostet, das können sich viele Spielerinnen nicht leisten. Dafür vergeben wir Stipendien“, sagt Möhn. FKM berät zudem Vereine; klärt auf, welche Potenziale in diverseren Personalstrukturen schlummern; setzt sich für Quoten ein.
FKM-Geschäftsführerin lobt FC St. Pauli
Beim FC St. Pauli ist man da einige Jahre voraus. Man kann viel – aber nichts Unerreichbares. „Die leben dort nicht in einem anderen Kosmos und machen etwas total Verrücktes“, sagt Möhn.
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Der Autor Ronny Galczynski stellt am Sonntag (16 Uhr) im FC-St.-Pauli-Museum im Millerntor-Stadion seine Biografie „Geduld – Sabr“ über den früheren St.-Pauli-Nachwuchsspieler Fousseni Alassani vor. Ehrengast ist unter anderem Holger Stanislawski.