Hamburg. Die Kiezkicker überzeugen am Millerntor gegen den Champions-League-Teilnehmer. Woran die deutliche Leistungssteigerung lag.

Eine Viertelstunde wiegten die Fans des FC St. Pauli ihre Gegenüber in Sicherheit. Das Konstrukt RB Leipzig ist, nun ja, freundlich formuliert nicht sonderlich beliebt beim Kiezclub. Aber der Provokation schien in den vergangenen Jahren Genüge geleistet zu sein... So könnte auch ein guter Witz beginnen.

Aber über die Sachsen können die Hamburger Anhänger nun mal gar nicht lachen, und entrollten daher nach ebenjener Viertelstunde dann natürlich doch ein tribünenlanges Banner mit der Aufschrift: „Egal ob Fan oder Funktionär – RB Leipzig: Feind des Fußballs!“

Bundesliga: FC St. Pauli spielt Unentschieden gegen RB Leipzig

Ein bisschen ironisch, dass sich beide Mannschaften am Sonntagabend im Millerntor-Stadion freundschaftlich 0:0 trennten. Noch ironischer, dass speziell die Kiezkicker, auch noch ziemlich genau nach 15 Minuten, aufdrehten, als hätten sie dosenweise Energydrink intus. Aber sagen wir angesichts der sensiblen Beziehung St. Paulis zu dieser Art von Getränken lieber, die Gastgeber wirkten wie entkorkt.

„Es wahr ein Wahnsinnsspiel, wir haben alles reingehauen. Ich war selten in einem Stadion, wo es so laut war. Ich stand auf dem Feld und habe gedacht: Wow“, sagte Philipp Treu. „Jetzt kann man sagen, dass wir in der Bundesliga angekommen sind.“

Alexander Blessin stellt das System auf ein 3-4-3 um

Im 3-4-3, das Cheftrainer Alexander Blessin ebenso wie die Außenstürmer Elias Saad und Oladapo Afolayan erstmals in einem Pflichtspiel von Anfang an aufbot, spielte der Aufsteiger schwindelig. Mutiges Pressing, voller Einsatz, Sicherheit am Ball, halsbrecherisches Umschalttempo – das war ohne Zweifel das beste St. Pauli der bisherigen Saison. „Ich bin sehr glücklich, von Anfang an gespielt zu haben. Ich glaube, ich kann dem Team ein komplett anderes Element bieten“, sagte Afolayan.

Dass bei allen knallenden Korken keine Schampuslaune aufkam, lag an den fehlenden Umdrehungen in Richtung Tormaschen. Der wirbelnde Saad scheiterte aus dem Strafraum an RB-Keeper Péter Gulácsi (17.), Jackson Irvine bei der folgenden Ecke mit einem Kopfball der Marke „muss er machen“ (18.), Johannes Eggestein per Fernschuss an Gulácsi (18.), dann köpfte wieder Irvine, diesmal knapp am Gehäuse vorbei (35.). Afolayan und Eggestein vergaben noch die Art von Doppelchance, die bei gestandenen Bundesligisten zu einem sicheren Tor führt (42.).

Leipzig bieten sich kaum Räume

Nichtsdestotrotz: Die Systemfrage dürfte bis auf Weiteres beantwortet sein. Nicht nur spielten die Braun-Weißen, wie schon in den bisherigen Partien nach der jeweiligen Umstellung, bei Weitem besser auf als im 3-5-2, sie können so auch ihre nominell besten Akteure auf den Platz stellen und standen noch dazu defensiv weitgehend stabil.

Leipzigs hoch veranlagten Offensivkünstlern boten sich jedenfalls kaum Räume. Die erste richtige Chance der Gäste in der 60. (!) Minute vereitelte Torwart Nikola Vasilj gegen Christoph Baumgartner meisterhaft, und im direkt im Gegenzug hätte auch Afolayan per abgefälschtem Schuss schon wieder zur Führung treffen können (61.). Kurz darauf, war Vasilj zudem gegen Loïs Openda auf dem Posten (67.).

Spiel gegen Champions-League-Teilnehmer ein Augenöffner für St. Pauli

Von einem Erweckungserlebnis in der neuen alten Zweitliga-Formation zu sprechen, wäre vermutlich etwas pathetisch und hochgegriffen. Zumindest war die Leistung des Liganeulings aber ein Augenöffner für: Alle Zweifler, dass Blessin nicht stur „sein“ System spielen lässt; Blessin selbst, was mit Saad und Afolayan in der Startelf möglich ist; und nicht zuletzt die Mannschaft, wie viel sich mit einem mutigen Auftreten auch in der Bundesliga erreichen lässt.

„Die Devise ist, erst mal defensiv gut zu stehen. Da haben sie auch richtig gut gearbeitet“, sagte Treu über Afolayan und Saad. „Offensiv helfen sie uns extrem, weil sie auch mal zwei Spieler ausspielen können. Was sie heute gespielt haben, war Wahnsinn.“

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Bei aller bis dato teils berechtigter Kritik und schwacher statistischer Werte, die laufstärkste Mannschaft war St. Pauli ligaweit ohnehin schon. Gegen Leipzig ging die Energie nicht merklich aus. Naturgemäß entwickelte der gastierende Champions-League-Teilnehmer in der Schlussphase mehr Drang nach vorn. Vasilj war an diesem Abend jedoch Klassenbester.

Überhaupt: Erstklassig war dieses Spiel der Hamburger. In der Bundesliga können sie mithalten. Kein Witz. Sogar länger als eine Viertelstunde.

„Was man bemängeln kann, ist die Ausbeute. Wir hätten die eine oder andere Situation besser ausspielen können“, sagte Blessin. „Die Leistung an sich stimmt mich aber sehr positiv. Wir wollten nach dem Spiel in Augsburg eine Reaktion zeigen.“

FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith, Mets – Saliakas (69. Dzwigala), Irvine, Boukhalfa (82. Metcalfe), Treu – Afolayan (89. Banks), Eggestein (69. Guilavogui), Saad.
RB Leipzig: Gulácsi – Geertruida, Klostermann, Orbán, Raum (74. Henrichs) – Baumgartner (61. Nusa), Haidara (61. Vermeeren), Seiwald, Simons – Šeško (74. Silva), Poulsen (61. Openda).
Schiedsrichter: Hartmann (Wangen). Zuschauer: 29.251. Gelbe Karten: Treu, Saad – Haidara (2). Statistiken: Torschüsse: 15:10; Ecken: 3:1; Ballbesitz: 38:62 Prozent; Zweikämpfe: 88:82; Laufleistung: 121,9:117,0 Kilometer.