Berlin. Der Bundesliga-Aufsteiger spielt in Berlin uninspiriert. Was Trainer Alexander Blessin im Anschluss kritisch sah.
Alexander Blessin hatte seine schwarze Cappy tief ins Gesicht gezogen, die Arme verschränkte der Trainer des FC St. Pauli vor seiner Brust. Zwei Spielsysteme, fünf Spielerwechsel – der 51-Jährige hatte alles versucht. Eine Lösung fand der Trainer des Aufsteigers im Gastspiel beim 1. FC Union Berlin allerdings nicht, mit 0:1 (0:1) ging auch das zweite Bundesligaspiel dieser Saison verloren. Das Tor des Abends erzielte Benedict Hollerbach.
Reicht die Kaderqualität der Kiezkicker für den Klassenerhalt? Während es bei St. Pauli am letzten Tag der Sommertransferperiode ruhig geblieben war und Wunschspieler Aljoscha Kemlein wie gewohnt auf der Berliner Ersatzbank Platz nehmen musste, erlebten die Union-Verantwortlichen einen durchaus turbulenten Deadline Day.
FC St. Pauli unterliegt 1. FC Union Berlin und bleibt ohne Punkt in der Bundesliga
Abgesehen vom serbischen Angreifer Andrej Ilic (24), der leihweise vom französischen Champions-League-Teilnehmer OSC Lille an die Spree wechselt, sorgte vor allem der unerwartet späte Abgang von Robin Gosens für Aufruhr. Der Linksverteidiger war eigentlich für die Startelf eingeplant, entschied sich aber wenige Stunden später für einen Wechsel zur AC Florenz, sodass Tom Rothe in die Anfangsformation rutschte.
Als um 20 Uhr auf dem Transfermarkt nichts mehr ging, begann das Spektakel im Stadion An der Alten Försterei. Gemeint ist damit allerdings nicht das Spiel, sondern die halbe Stunde bis zum Anpfiff, als sich die 22.012 Fans warmsangen und vor allem die Unioner Ultras mit einer aufwendigen Choreografie für die Atmosphäre sorgten, die die Hauptstädter schon in so vielen Heimspielen zum Erfolg tragen konnte.
„Fußball pur“, allerdings An der Alten Försterei zu selten von St. Pauli
„Fußball pur“ – so lautet das Motto der Köpenicker. Stehplätze, Holzkohlegrills, kein unnötiger Zipp und Zapp. Das ist das Versprechen. Statt Fußball pur spielte Union von Beginn an lange Bälle pur. Kombinationsfußball? Fehlanzeige. Stattdessen gab es an der Alten Försterei – wie von St.-Pauli-Coach Blessin erwartet – jede Menge Langholz. Die Kiezkicker wurden zu Kiezköpfern, zweite Bälle waren die Währung.
St. Pauli wiederum versuchte zumindest, von hinten mit Flachpassspiel nach vorne zu kommen. Nachdem Innenverteidiger Eric Smith zu Beginn noch zu Jackson Irvine in den Sechserraum schob und die Hamburger einen 4-2-Aufbau probierten, ließ sich Smith im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit doch weiter als eine Art Quarterback fallen.
Union macht ein typisches Union-Tor, Karol Mets im Pech
Bis zum letzten Spielfelddrittel kombinierte sich St. Pauli mitunter sogar ganz passabel durch. Die Ansätze waren gut, die finalen Pässe aber schlecht. Und so war die beste Chance der Hamburger im ersten Durchgang auch eher ein Zufallsprodukt, als der Ball nach einem Unioner Missverständnis im Strafraum zu Johannes Eggestein sprang, dessen Abschluss allerdings geblockt wurde (14.). „Wir hätten den Ball öfters mal vorne reinspielen müssen, die Flanken mal reinbringen, damit neue Situationen entstehen. An unserer Effizienz ist zu arbeiten“, sagte Eggestein.
Die Berliner wiederum begannen vor allem mit Distanzschüssen – Hollerbach schloss jedoch erst zu hoch (10.), Lucas Tousart dann zu schwach (26.) und kurz darauf zwar hart, aber zu unpräzise (33.) ab. Und gerade dann, als man dachte, dass St. Pauli sich in diesem uninspirierten Kampf auf Augenhöhe hineingearbeitet hat, machte Union ein typisches Union-Tor. Ein zunächst geklärter Eckball fiel Hollerbach im Rückraum vor die Füße, der sofort abzog. Nikola Vasilj war chancenlos, Karol Mets hatte den Schuss noch leicht mit der Hüfte abgefälscht.
Spielmacher Eric Smith muss mal wieder verletzt raus
Zu allem Überfluss musste kurz darauf auch noch Smith mit Adduktorenproblemen raus (38.). Für ihn kam Adam Dzwigala – und St. Paulis Offensivspiel in der Folge völlig zum Erliegen. Die Berliner verteidigten, grätschten und köpften alles weg. Auch nach dem Seitenwechsel strahlten die Gäste ungefähr so viel Gefahr aus wie Unions Ritter-Maskottchen „Keule“ – nämlich gar keine. „Uns hat im letzten Drittel die Überzeugung gefehlt, in die Box zu kommen. Es ist aber auch schwierig, da Lösungen zu finden“, sagte Blessin. „Das Tor hat uns ein bisschen aus dem Konzept gebracht, mit der Verletzung noch zusätzlich.“
Der Trainer reagierte, stellte nach einer Stunde von seinem präferierten 3-5-2-System in das 3-4-3 der vergangenen Zweitligasaison um. Folgerichtig kamen auch die Flügelspieler Elias Saad und Oladapo Afolayan, im Sturmzentrum musste Morgan Guilavogui, auf der Achterposition Robert Wagner weichen.
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Union ließ sich immer tiefer in die eigene Hälfte fallen, St. Pauli musste das Spiel machen. Es war allerdings bezeichnend, dass in Dzwigala ausgerechnet ein Innenverteidiger zu den gefährlichsten Abschlüssen kam (67./77.). Saad und Afolayan versuchten es immer wieder, in Eins-gegen-eins-Duelle zu gehen. Es blieb beim Versuch.
„Wir haben alles versucht“, meinte dann auch Philipp Treu. „Wir müssen uns nichts vorwerfen, das war über weite Strecken ein gutes Auswärtsspiel“, sagte der Rechtsverteidiger. Eine doch recht exklusive Meinung.
1. FC Union Berlin: Rönnow – Doekhi, Vogt, Leite – Haberer, Tousart (67. Schäfer), Khedira, Rothe (89. Querfeld) – Hollerbach (78. Skarke), Vertessen (67. Benes) – Siebatcheu (89. Jeong).
FC St. Pauli: Vasilj – Wahl, Smith (40. Dzwigala), Mets – Treu, Wagner (61. Saad), Irvine, Metcalfe, Ritzka (83. Boukhalfa) – Eggestein (83. Albers), Guilavogui (61. Afolayan).
Tor: 1:0 Hollerbach (34.). Schiedsrichter: Dankert (Rostock). Zuschauer: 22.012 (ausverkauft). Gelbe Karten: Hollerbach, Querfeld, Jeong – Guilavogui. Statistiken: Torschüsse: 10:8; Ecken: 5:4; Ballbesitz: 43:57 Prozent; Zweikämpfe: 79:83; Laufleistung: 125,3:124,8 Kilometer.