Hamburg/Berlin. Union Berlins Präsident spricht vor dem Spiel gegen St. Pauli über wirtschaftliche Diskrepanzen, Investoren und seine eigene Zukunft.
Ob Nikola Vasilj eine Nasenklammer eingepackt hat, ließ sich vor der Abreise des FC St. Pauli in die Hauptstadt nicht herausfinden. Möglicherweise gefällt dem Torhüter aber auch, was ihn an diesem Freitag im Auswärtsspiel bei Union Berlin im Stadion An der Alten Försterei (20.30 Uhr/DAZN und Liveticker auf abendblatt.de) erwarten wird.
„Die Rauchschwaden von den Holzkohlegrills ziehen immer noch auf den Platz, sodass es manchmal stinkt. Die Gegner und viele neue Spieler haben sowas noch nie erlebt. Manchmal hat der Torwart 45 Minuten lang Bratwurstgeruch in der Nase“, sagt Union-Präsident Dirk Zingler und grinst, als er im Abendblatt-Podcast „Millerntalk“ zugeschaltet ist. „Das ist schon sehr speziell.“
St.-Pauli-Gegner Union setzt auf besondere Stimmung im Stadion
Die Alte Försterei, eröffnet im Jahr 1920, ist ein Unikat. Mit den modernen Arenen vieler anderer Bundesligisten hat die Spielstätte nicht viel zu tun. 22.012 Menschen fasst das Stadion, 18.395 davon haben Stehplätze. Union spielt derzeit mit einer Sondergenehmigung, die DFL-Regularien verlangen mindestens 8000 Sitzplätze. Die Ausbaupläne zur Erweiterung sind bereits fertig, geplant sind künftig die geforderten 8000 Sitzplätze und 32.000 Stehplätze auf zwei Rängen.
„Den Stehplatzcharakter werden wir uns bewahren, obwohl wir an den Tickets auf der Gegengerade nur neun Euro im Schnitt verdienen und damit einen Wettbewerbsnachteil in Kauf nehmen. Die Kraft dieses Stadions entsteht nicht aus dem Preis der Sitze, sondern durch die Stehplätze“, sagt Zingler. Für den 60 Jahre alten Baustofflogistik-Unternehmer, der die Köpenicker in seiner mehr als 20-jährigen Amtszeit von der Oberliga bis in die Champions League führte, wäre der Erfolg ohne die Alte Försterei nicht möglich gewesen.
Union-Boss Zingler legt Wert auf regionale Verbundenheit
Und, darauf legt Zingler besonders viel Wert, auch die lokale Verbundenheit war ein bedeutsamer Erfolgsfaktor. „Dieser regionale Charakter ist ganz, ganz wichtig. Ich bin ein großer Anhänger davon, in der strategischen Führung eines Vereins Leute von vor Ort zu haben“, sagt der Union-Boss. „Du kannst gern Bilder von zufriedenen Menschen nach China verkaufen, darfst dein Produkt aber nicht nach China ausrichten. Fußball findet im Stadion statt, nicht im Fernsehen. Wenn du damit erfolgreich bist, kannst du das gern skalieren.“
Wie der FC St. Pauli macht sich auch Union Berlin Gedanken darüber, wie und ob sich die wirtschaftliche Kluft zu den Bundesliga-Topclubs schließen oder zumindest verkleinern lässt. Zingler will sich mit der Beantwortung dieser Frage aber nicht unglücklich machen. „Ob der FC Bayern eine oder drei Milliarden Umsatz macht, ist mir doch egal. Die machen so viel, weil sie schon ganz viele Jahre besser sind als wir. Als wir vor 20 Jahren gegen St. Pauli gespielt und im Container Jack Daniels getrunken haben, hatten die Bayern längst den Europapokal der Landesmeister gewonnen. Darüber soll ich mich jetzt aufregen? Wie verlogen ist das denn“, sagt er.
Zingler wird auch kritisch gesehen
Die gesamte Diskussion sei „sinnlos“, findet Zingler. „Wir sind mit 40 Millionen Euro Umsatz in die Bundesliga aufgestiegen. Inzwischen sind wir bei 160 Millionen. Das finde ich anständig und bin nicht eine einzige Sekunde traurig darüber, dass andere Vereine mehr einnehmen als wir.“ Auch externe Investoren bei der DFL findet Zingler nicht schlecht: „Der Begriff Investor wird immer besetzt, als wäre das Teufelswerk, so ein dummes Zeug.“
Der Präsident weiß, dass er mit seinen Aussagen mitunter aneckt. Auch bei Union gibt es intern Stimmen, die Zingler und dessen selbstbewusstes Handeln und Auftreten kritisch sehen. Beeinflussen lässt er sich davon aber nicht, mindestens bis Sommer 2025 bleibt er im Amt.
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„Wenn mir der Aufsichtsrat das Vertrauen für eine weitere Amtszeit geben würde, werde ich mich hinsetzen und überlegen“, sagt Zingler. „Aber wir haben noch ganz, ganz viel vor, und es macht unheimlich viel Spaß in Köpenick in der Alten Försterei Profifußball für die Menschen zu organisieren, ihnen etwas zu geben, sie glücklich zu machen und manchmal auch zum Heulen zu bringen.“