Halle (Saale). Das erste Pflichtspiel unter dem neuen Trainer im DFB-Pokal wird in Halle erst nach Verlängerung gewonnen. Welche Baustellen es gibt.

Die Außenmauer des alten Kurt-Wabbel-Stadions überdauert alles. Höhen wie Tiefen des Halleschen FC, selbst, dass hinter ihr die eigentliche Spielstätte abgerissen und durch das Leuna-Chemie-Stadion ersetzt wurde. Alles egal. Vor allem vermitteln die denkmalgeschützten Torbögen eines: Wer herkommt, hat eine Festung zu erstürmen.

Das gelang dem FC St. Pauli am Freitagabend in der ersten Runde des DFB-Pokals reichlich glücklich. Erst nach Verlängerung besiegte der Bundesligist den Regionalligisten mit 3:2 (2:2, 2:2, 0:1). Cheftrainer Alexander Blessin fuhr sich nach seinem ersten Pflichtspiel über die Arme. „Den Fluch haben wir abgestreift“, sagte er. Nach vier Bundesliga-Aufstiegen gab es zuletzt viermal das Aus in Runde eins. Diesmal nicht, zugleich wurde ein erster Schwelbrand verhindert.

FC St. Pauli gewinnt im DFB-Pokal beim Halleschen FC erst nach Verlängerung

Aber dafür brannte es an allen anderen Ecken und Enden. Schon vor dem Anstoß, als die Fans der Saalestädter einen Jahresvorrat roter Pyrotechnik abfackelten. Angenehm bei 30 Grad Celsius im Schatten und absoluter Windstille. So schön anzusehen, dass Schiedsrichter Daniel Siebert gar nicht wegschauen wollte und den Anpfiff um vier Minuten hinauszögerte. Ein teures Vergnügen für den Viertligisten.

Hallescher FC v FC St. Pauli 1910 - DFB-Pokal
Anpfiff? Netter Witz der Fans des Halleschen FC. Tatsächlich verzögerte sich der Spielbeginn durch den roten Rauch um vier Minuten. © Getty Images | Oliver Hardt

Ein solches Inferno lieber hinter dem eigenen oder dem gegnerischen Tor zu entfachen, könnte allerdings eine Frage für den Idiotentest sein. Jedenfalls konnte von freier Sicht im HFC-Strafraum zu Spielbeginn keine Rede sein, und die Gastgeber hatten Glück, dass zumindest Torwart Sven Müller den Durchblick hatte und den Schuss von Morgan Guilavogui nach 16 Sekunden zur Ecke abwehren konnte.

Nikola Vasilj patzt vor dem überraschenden Gegentor

Dann wurde es wieder heiß, als der auffällige Guilavogui auch das zweite Privatduell gegen Müller verlor (10.) und Hauke Wahl den Nachschuss aus wenigen Metern unglücklich in die Arme des Keepers spitzelte. Im direkten Gegenzug die Szene der Hälfte. Langer Ball auf Torwart Nikola Vasilj, der von Cyrill Akono angelaufen wird und die Situation in gewohnt spielerischer Manier lösen will.

Was zuletzt gelang, ohne die Herzanfallrate zu steigern, misslang dem Bosnier diesmal. Der ehemalige Lübecker Akono luchst den Ball ab und schiebt ein (11.). „Dafür ist eine Mannschaft da, Niko jetzt aufzufangen, überhaupt keinen Vorwurf an ihn“, sagte Blessin. Vielmehr war der Fehler ein Sinnbild für den wackligen Spielaufbau der Hamburger gegen das Pressing. Genau, was Blessin erwartet hatte, als im Vorwege davon sprach, Halle sei „eklig zu bespielen“.

St. Pauli kommt erst in der zweiten Hälfte ins Spiel

Und zwar so richtig. Zwar gelang es den Gästen, sich aus der ersten Pressinglinie zu lösen. Im Anschluss mangelte es entweder an der Übersicht, die freien Räume zu bespielen, oder an der Genauigkeit. „Halle hat es sehr gut gemacht, wir waren allerdings auch nicht schnell genug in der Verlagerung, haben die Fenster nicht gesehen“, meinte Blessin. „Dass wir uns so schwertun, hätte ich nicht erwartet. Unser eigenes Pressing war auch nicht gut genug“, ergänzte Johannes Eggestein. Halle war nach einem Weitschuss von Joseph Richardson (38.), den Vasilj stark parierte, dem 2:0 jedenfalls näher als St. Pauli dem 1:1.

Das fiel nach Wiederbeginn dennoch. Blessin, der diese Begegnung sowie die ersten beiden in der Bundesliga zur Vorbereitung zählt, verzichtete auf einen Systemwechsel vom 3-5-2 auf ein 3-4-3 zu Gunsten der Wirbelwinde Oladapo Afolayan und Elias Saad, die auf den ersten Blick logische Lösungen gewesen wären. Er sprach in der Kabine stattdessen an, schneller ins Gegenpressing zu kommen und die Angriffe sauberer auszuspielen.

Ausgleich wird von Halle postwendend beantwortet

Die Hartnäckigkeit zahlte sich aus – denn die Idee Guilavogui war bereits von vornherein eine gute. Der in beinahe jeden guten Angriff involvierte Franzose legte für Sturmpartner Johannes Eggestein auf, der mühelos einschob (48.). Brand gelöscht? Eher ein Strohfeuer auf braun-weißer Seite.

Die Kiezkicker entwickelten viel zu wenig Effektivität. Sie wirkten gefangen zwischen dem für die Bundesliga notwendigen Umschaltfußball und dem gegen ein klassentieferes Team geforderten Ballbesitzspiel. Stattdessen ließen sie sich erneut von Akono überlaufen und überspielen, die starke Hereingabe von links in die Mitte verwandelte Marius Hauptmann im Rücken von Philipp Treu (62.).

Dzwigala und Ritzka drehen die Partie für St. Pauli

Nun brachte Blessin Afolayan und Saad, nahm den Systemwechsel vor. Es brachte: das ganz späte Glück. Ehrlicherweise kam das aber durch die Einwechslung von Adam Dzwigala, der zwei Minuten vor Ablauf der Nachspielzeit zum schmeichelhaften 2:2 ausglich. Blessin hatte ihm gesagt, in der Schlussphase als Sturmspitze zu agieren. Der Pole lieferte. „Glücklicherweise ist der Ball vor meinen Füßen gelandet, das Gefühl danach war natürlich großartig“, sagte Dzwigala bescheiden. Blessin, früher selbst Stürmer, lobte weitaus überschwänglicher: „Den hätte nicht mal ich gemacht.“

Hallescher FC v FC St. Pauli 1910 - DFB-Pokal
Jubeltraube um den späten Ausgleichsschützen Adam Dzwigala (28). © Getty Images | Oliver Hardt

Dennoch hielten die Sachsen-Anhalter weiter dagegen. „Es war nötig, dass wir bis zum Schluss an uns geglaubt haben. Aber das spricht absolut für unseren Zusammenhalt“, sagte Hauke Wahl. „Für unsere Entwicklung kann diese Partie noch ganz wichtig werden“, glaubt Eggestein. Denn letztlich ging noch alles gut aus.

Spät gingen Halle die Kräfte aus. Eine Treu-Flanke nutzte in Lars Ritzka ein zweiter Joker zum Siegtreffer (110.). Die Hallenser Mauer hielt St. Paulis spätem Sturmlauf schließlich nicht mehr stand. Die des Kurt-Wabbel-Stadions steht dagegen weiter wie eine Eins.

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Hallescher FC: Müller – Berger, Löhmannsröben, Landgraf – Hauptmann, Stierlin (72. Inaler), Kulke (80. Zaruba), Weber – Richardson (87. Halangk) – Akono (95. Vujanic), Friedrich (80. Wosz).
FC St. Pauli: Vasilj – Wahl (71. Dzwigala), Smith, Mets – Stevens (71. Ritzka), Wagner (81. Boukhalfa), Irvine, Metcalfe (71. Saad), Treu – Eggestein, Guilavogui (71. Afolayan).
Tore: 1:0 Akono (11.), 1:1 Eggestein (48.), 2:1 Hauptmann (62.), 2:2 Dzwigala (90.+4), 2:3 Ritzka (110.). Schiedsrichter: Siebert (Berlin.) Zuschauer: 14.000 (ausverkauft). Gelbe Karten: Kulke, Halangk, Löhmannsröben – Guilavogui, Irvine, Blessin, Boukhalfa. Statistiken: Torschüsse: 11:14; Ecken: 7:8; Ballbesitz: 32:68 Prozent; Zweikämpfe: 102:101.