Hamburg. Im DFB-Pokal beim Viertligisten Hallescher FC muss die geplante Bundesligataktik angepasst werden. Auch der Gegner könnte überrraschen.
22:4 – in einem Punkt hat der Hallesche FC seinem Pokalgegner FC St. Pauli etwas weit voraus. Das genannte Ergebnis spiegelt die Zahl der neuen Spieler wider, die die beiden Clubs in diesem Sommer bisher verpflichtet haben. Ob dieser quantitative Vorsprung vor dem Aufeinandertreffen am diesem Freitagabend (18 Uhr/Sky) in der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals ein Vorteil für den Drittliga-Absteiger ist, darf bezweifelt werden. Zum Neustart in der Regionalliga Nordost musste der HFC sich vielmehr eine nahezu komplett neue Mannschaft zusammenstellen.
Hinzu kommt, dass neben Sportchef Daniel Meyer (44) auch Cheftrainer Mark Zimmermann (50) neu ist. So war es denn auch nicht so verwunderlich, dass es zum Start in die Saison ein wenig ruckelte. Unter den Anhängern machte sich nach dem 0:0 zum Auftakt beim Chemnitzer FC und noch mehr beim 1:1 daheim gegen den Aufsteiger VFC Plauen eine gewisse Unzufriedenheit breit. Schließlich soll der Betriebsunfall des Abstiegs nach zuvor zwölf aufeinander folgenden Spielzeiten in der 3. Liga möglichst umgehend wieder repariert werden.
FC St. Pauli: Blessin findet Halles Pressing „ekelhaft“
So war der jüngste 4:0-Auswärtssieg bei Rot-Weiß Erfurt denn auch ein vielumjubelter Brustlöser, der in der Tabelle den Sprung auf Rang vier bedeutete. „Die Mannschaft hat sich jetzt freigeschwommen. Wir wissen, dass es für den Gegner das Spiel des Jahres ist“, sagt St. Paulis Trainer Alexander Blessin. „Sie sind ekelhaft zu bespielen, weil sie hoch pressen. Im Zentrum spielen sie sehr mannorientiert.“
Einen leichten Vorteil für die Hallenser sieht Blessin darin, dass sie schon drei Pflichtspiele absolviert haben. „Sie sind etwas mehr im Rhythmus, aber der Unterschied ist nicht so groß, wie bei unserem zweiten Testspiel gegen Greuther Fürth (1:3, d. Red.), als wir noch im Grundlagenausdauer-Bereich gearbeitet haben. Da fehlte uns noch die Spritzigkeit. Da haben wir aufgeholt“, sagte er jetzt.
Blessin und Halle-Coach Zimmermann waren einst Teamkollegen
Nach dem Abgang von vergleichsweise prominenten Spielern wie Außenstürmer Erich Berko (29), Innenverteidiger Brian Behrendt (32) und Mittelstürmer Dominic Baumann (29) zog Halle fast ausschließlich ablösefreie Akteure oder Leihspieler an Land. Als neuer Führungsspieler wurde Jan Löhmannsröben (33) von Lok Leipzig zurück an die Saale geholt. Nicht weniger als zehn verschiedene Arbeitgeber hatte der Defensivspezialist in den vergangenen zehn Jahren, darunter Magdeburg, Kaiserslautern, Rostock und Münster.
Neuer Trainer in Halle ist der 50 Jahre alte Mark Zimmermann, der bis Sommer 2023 die zweite Mannschaft des 1. FC Köln coachte und seither ohne Verein war. „Wir haben mal bei den Stuttgarter Kickers in der Zweiten Liga zusammengespielt. Da waren wir Konkurrenten im Sturm“, erinnerte sich St. Paulis Blessin. Das war in der Saison 2000/2001, an deren Ende der FC St. Pauli in die Bundesliga aufstieg.
St. Pauli stellt sich auf viel Ballbesitz ein
Anders als in der kommenden Bundesliga-Saison, bei der St. Pauli vor allem auf eine kompakte Defensive, situativ hohes Pressing und schnelle Umschaltmomente setzen will, müssen die Kiezkicker ihre Taktik im Pokal anpassen. „Wir wollen dominant spielen“, sagte Blessin. „Wir sind der Bundesligist und wollen dementsprechend auch auftreten.“
Dennoch dürfte sich auch der Viertligist nicht ausschließlich hinten verstecken. „Sie werden ihre Art und Weise zu Hause nicht ändern und mutig spielen wollen. Darauf müssen wir eingestellt sein“, sagte Blessin. Und auch sein früherer Mitspieler Zimmermann betonte: „Wir wollen nicht darauf warten, dass sich St. Pauli uns zurechtlegt. Wir wollen auch mutig agieren und gegen den Ball die Nadelstiche setzen.“
Blessin dürfte im 3-5-2-System beginnen lassen
Obwohl St. Pauli dominanter auftreten muss als beispielsweise noch vor einer Woche beim 3:0-Testspielerfolg gegen Europa-League-Sieger Atalanta Bergamo, dürfte Blessin die taktische Grundordnung nicht verändern. Auch im Training ließ er Pressing und Gegenpressing auf Basis seines präferierten 3-5-2-Systems üben. Sollte dies in Halle nicht zum Erfolg führen, würde der 51-Jährige auf das 3-4-3 der vergangenen Aufstiegssaison umstellen, als sein Vorgänger Fabian Hürzeler in dieser Formation dominanten Ballbesitzfußball spielen ließ.
Genau 13.900 Karten wurden für das Spiel abgesetzt, 1400 St.-Pauli-Fans werden im ausverkauften Leuna Chemie Stadion dabei sein, gut 1000 Plätze bleiben leer und bilden in diesem als Sicherheitsspiel eingestuften Duell eine Pufferzone. Auch St. Paulis Pressesprecher Patrick Gensing riet den Hamburger Anhängern, „achtsam“ zu sein.
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Das Verhältnis der Fanlager ist angespannt, um es vorsichtig auszudrücken. Das bisher letzte größere Vorkommnis liegt ein knappes Jahr zurück. Nach St. Paulis 2:1-Sieg am 30. September im Berliner Olympiastadion in Berlin gegen Hertha BSC war ein Bus mit St.-Pauli-Fans, die auf dem Rückweg Richtung Leipzig waren, von gewalttätigen Anhängern des Halleschen FC auf einer Tankstelle in Dessau angegriffen worden. Die HFC-Anhänger waren ihrerseits auf der Rückreise von einem Spiel in Lübeck gewesen.