Hamburg. Der Bundesliga-Aufsteiger hat seine Spielweise radikal umgestellt. In welchem Bereich der Trainer noch Nachholbedarf sieht.

Das Gefühl, mit dem die Spieler des FC St. Pauli ihren freien Sonntag genießen konnten, dürfte ein beruhigendes gewesen sein. „Wir konnten als Team sehen, was wir für ein Potenzial haben und was möglich ist“, sagte Trainer Alexander Blessin, nachdem seine Kiezkicker den amtierenden Europa-League-Sieger Atalanta Bergamo am Freitagabend mit 3:0 zurück in die Lombardei geschickt hatten. Wenngleich der Sieg beim letzten Test der Sommervorbereitung etwas zu deutlich ausgefallen war, verdeutlichte er doch, dass die Kiezkicker vor der Bundesliga keine Angst haben müssen.

Entscheidend für diese Erkenntnis waren die vergangenen fünf Wochen, in denen Blessin das Team taktisch umkrempelte, um künftig auch gegen andere Topteams bestehen zu können. Bereits bei seinem Amtsantritt war der 51-Jährige davon überzeugt, dass die Kaderqualität nicht ausreicht, um wie in der Zweiten Liga unter seinem Vorgänger Fabian Hürzeler in einem 3-4-3-System auf Ballbesitzfußball zu setzen.

FC St. Pauli: Blessins Pressingfußball funktioniert bereits

Stattdessen verfolgte Blessin vom ersten Tag an die Vision eines 3-5-2, bei dem es keine Schande ist, auch mal dem Gegner den Ball zu überlassen. Situationsabhängig lässt sich St. Pauli in einen tiefen und kompakten 5-3-2-Abwehrblock fallen – oder setzt auch auf aggressives Angriffspressing im vorderen Drittel. „Im hohen Pressing vorne haben wir uns deutlich verbessert“, sagte Stürmer Johannes Eggestein, der die Pressingmomente mit seinem Sturmpartner Morgan Guilavogui einleiten soll.

Bei einem Pressingerfolg – unabhängig von der Höhe des Ballgewinns – sollen sich die Spieler schnell nach vorne orientieren. „Wenn wir den Ball erobern, suchen wir auch schnell den tiefsten Spieler, um schnell zum Abschluss zu kommen“, sagte Eggestein. Dabei sind auch Risikopässe ausdrücklich erwünscht, die Kiezkicker sehen in der gegnerischen Unordnung bei Umschaltmomenten mehr Chancen als beim geordneten Spielaufbau aus der Abwehrkette heraus.

Irvine und Smith als Sechser im Spielaufbau

Kommt es doch zu ruhigeren Momenten im eigenen Ballbesitz, verändert sich St. Paulis Grundformation. Der zentrale Innenverteidiger Eric Smith rückt dann zu Jackson Irvine in den Sechser-Raum auf, die äußeren Schienenspieler schieben ebenfalls bis auf Höhe der Mittellinie hoch. Das Aufrücken der Schienenspieler geschieht dabei auch häufig asymmetrisch, wodurch wahlweise Philipp Treu oder Fin Stevens jeweils etwas höher oder tiefer als ihr Gegenüber stehen.

Nachdem in der vergangenen Saison häufig von den Innenverteidigern über die Schienenspieler aufgebaut wurde, hat sich der Ablauf mittlerweile verändert. Wenn möglich, sollen die Abwehrspieler den eigenen Ballvortrag mit einem tiefen Ball durch das Zentrum auf die Stürmer Eggestein und Guilavogui einleiten. Die Angreifer wiederum sollen dann auf nachrückende Mittelfeldspieler klatschen lassen, um die nächste Ebene zu erreichen. So lautet zumindest die Theorie.

Vertikale Pässe durch das Zentrum birgen auch Risiken

In der Praxis hakte es bei diesem Ablauf bei St. Pauli gegen Bergamo noch am meisten. „Die Sechser müssen gleich nacharbeiten, damit wir zu diesem Ablageball kommen. Das Problem war, dass die Innenverteidiger nicht gleich mit nachgegangen sind. Da hatten wir ein paar Ballverluste, bei denen wir zu breit standen“, sagte Blessin. „Wenn wir in der nächsthöheren Ebene sind, müssen wir schneller hinter die Abwehrkette kommen.“

Zudem bemängelte der Trainer einige „dumme Abspielfehler“, die Bergamo zwar nicht mit Toren bestrafte, sich mit schnellem Umschaltspiel aber einige Großchancen herausspielen konnte. Vor allem die Innenverteidiger Karol Mets und Hauke Wahl müssen sich bei vertikalen Pässen durch die Mitte extrem konzentrieren, selbst kleine Ungenauigkeiten können teuer werden.

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„Das Spiel durch das Zentrum ist nach wie vor eine gute Variante, auch wenn der Gegner so hoch Mann gegen Mann presst“, sagte Eggestein. „Wir dürfen es aber nicht übertreiben und müssen auch mal die Tiefe suchen, um die richtige Balance hinzubekommen. Wir haben das eine oder andere Mal zu viel Mut gehabt. Das wird eigentlich bestraft, gerade in der Bundesliga wird es Mannschaften geben, die im Zentrum sehr scharf sind und auf die Balleroberung gehen.“ Denn dummerweise macht sich immer auch der Gegner taktisch Gedanken.