Hamburg. Einige Anhänger des Millerntorclubs hatten in der Corona-Krise das richtige Näschen und etwas Mut. Wie sich dieser jetzt auszahlte.
Es waren – trotz aller politischen Zugeständnisse – wirtschaftlich harte Zeiten für den deutschen Profifußball, als die Corona-Pandemie 2020 wie ein Flächenbrand über das Land zog und im Anschluss an einen wochenlangen Lockdown für etliche Monate nur Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit oder mit einer massiv reduzierten Zuschauerzahl zuließ.
FC St. Pauli litt unter Corona und entwickelte kreative Ideen
Auch der FC St. Pauli, der selbst zu mäßigen Zweitligazeiten durchweg die selbst auferlegte Maximalzahl von 15.500 Dauerkarten absetzte, litt unter der Situation. Er nahm staatliche Coronadarlehen in Anspruch und schaffte es trotz allem, keine betriebsbedingte Kündigung gegenüber seinen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auszusprechen.
In den zahlreichen, von der Krise geprägten Meetings entstanden aber auch einige kreative Ideen. Dabei ging es auch darum, die unmittelbaren finanziellen Folgen abzumildern. Unter der Führung des damaligen wirtschaftlichen Geschäftsführers Bernd von Geldern (jetzt Union Berlin) wurde dabei das sogenannte „Erstattungskaufhaus“ gegründet.
Der FC St. Pauli erfand ein „Erstattungskaufhaus“
Ziel war es dabei, die Dauerkarten-Inhaber davon zu überzeugen, auf eine zeitnahe finanzielle Erstattung ihres Tickets, das bei den „Geisterspielen“ praktisch wertlos geworden war, zu verzichten, das vorab gezahlte Geld weiter dem Verein zu überlassen und stattdessen pro Spiel oder für die ganze Saison einen von mehreren, unterschiedlichen Gutscheinen zu erhalten.
Es gehörte nicht nur eine ausgeprägte Vereinsliebe dazu, sich auf einen solchen Gutschein-Deal einzulassen, sondern auch eine gehörige Portion Optimismus und Mut. Man könnte auch sagen: Verrücktheit.
Bundesliga-Aufstieg war bei Corona-Ausbruch weit entfernt
Zur Erinnerung: Der FC St. Pauli hatte die im März 2020 unterbrochene und dann bis in den Spätsommer ohne Zuschauer beendete Saison 2019/2020 unter Trainer Jos Luhukay als Tabellen-14. beendet und hatte sich so gerade eben den Klassenverbleib gesichert. Und auch mit dem auf Luhukay folgenden St.-Pauli-Idol Timo Schultz lief es anfangs gar nicht gut.
Sich zu diesem Zeitpunkt also für einen Gutschein für eine Europapokalkarte zu entscheiden, war schon reichlich unvernünftig. Genau dies taten aber 443 Personen als Ausgleich für ein zwangsweise verpasstes Zweitligaspiel. Sie müssen noch ein bisschen warten, vielleicht auch ganz, ganz lange.
Am 12. Mai stand der Bundesligaaufstieg fest
Für 164 damalige Dauerkarten-Inhaber aber war der 12. Mai dieses Jahres noch mehr als für alle anderen St.-Pauli-Fans ein ganz großer Feiertag. Der 3:1-Heimsieg gegen den VfL Osnabrück stellte die Rückkehr in die Fußball-Bundesliga sicher. Und jene 164 Personen hatten sich seinerzeit einen Gutschein für eine Dauerkarte gesichert, die für die erste Bundesligasaison nach der Coronazeit gilt.
Zu den Glücklichen gehörte auch Andre Krüger aus Ahrensburg. Wobei der 58 Jahre alte Veranstaltungstechniker gar nicht von Glück sprechen möchte: „Der Aufstieg war ja längst überfällig, rein statistisch betrachtet.“ Krüger ist seit 1986 regelmäßiger Gast am Millerntor, hatte also die Bundesliga-Aufstiege 1988, 1995, 2001 und 2010 hautnah miterlebt. Die 13 Jahre Zweitklassigkeit seit dem Abstieg 2011 waren so gesehen in der Tat ungewöhnlich lang.
Dass die Mannschaft zum Zeitpunkt seiner „Wette“ dem Abstieg in Liga Drei näher war als der Bundesliga, spielte für ihn denn auch keine Rolle. „2000 haben wir uns erst am letzten Spieltag vor dem Abstieg gerettet – Marcus Marin sei Dank. Und nächste Saison ging es dann hoch“ erinnert Krüger sich. „Nach Luhukay konnte es sowieso nur besser werden.“
Die Europapokal-Variante hielt er schlicht für nicht sonderlich attraktiv. Zumal sich der Freundeskreis, mit dem er zusammen auf der Haupttribüne sitzt, schon in den spätern 1980ern versprochen hat, beim ersten Europapokal-Auswärtsspiel der Clubgeschichte dabei zu sein – egal wo das Spiel stattfindet. Andre Krüger ist eben durch und durch St. Paulianer, was man auch hören kann: Mit seiner Band „Weltniveau“ hat er natürlich auch einen St.-Pauli-Song aufgenommen.
Andere Fans, die nicht ganz so optimistisch waren, sicherten sich sogenannte „Follow-your-team“-Karten für den DFB-Pokal. Rund 200 dieser Gutscheine waren damals geordert und sind inzwischen teilweise schon genutzt worden.
Die 164 Dauerkarten entsprechen weniger als 40.000 Euro
Die 164 Gratis-Dauerkarten für die vor drei bis vier Jahren großzügigen und gleichzeitig weitsichtigen Fans machen nach Vereinsangaben ein finanzielles Gesamtvolumen von weniger als 40.000 Euro aus. Diese Summe ist angesichts von mehr als zehn Millionen Euro an Ticketeinnahmen in einer Saison eher eine Marginalie für den Verein, dem seinerzeit jeder einzelne finanzielle Erstattungsverzicht für „Geisterspiele“ für die Liquidität guttat.
Natürlich stand bei der Idee der Corona-Gutscheine eine deutlich spektakulärere Aktion von vor nunmehr 19 Jahren Pate. In der größten wirtschaftlichen Existenzkrise, als der in der drittklassigen Regionalliga spielende FC St. Pauli vor der Insolvenz und dem Verschwinden in den Niederungen des Amateurfußballs stand, gehörte der Verkauf von lebenslangen Dauerkarten zu den zahlreichen „Retteraktionen“.
2005 drohte dem FC St. Pauli der totale Absturz
1910 Euro für einen Steh- und 3910 Euro für einen Sitzplatz waren dafür zu zahlen. Verdammt viel Geld für die z befürchtende Aussicht, jahrelang Oberliga-Fußball gegen Niendorf, Buchholz, Victoria oder den HEBC zu sehen zu bekommen, um einmal die Highlights zu nennen.
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Doch die Nachfrage übertraf damals die Erwartungen. Die ersten 250 lebenslangen Dauerkarten waren in Windeseile abgesetzt, also erhöhte der von Theaterchef Corny Littmann geführte Verein das Kontingent um weitere 100 auf 350. Die Sparda-Bank gewährte den Interessenten sogar ein zinsloses Darlehen.
St. Paulis lebenslange Dauerkarten waren Vorbild
Heute können die 350 damaligen Optimisten auf fast zwei Jahrzehnte Profifußball zurückblicken und sich nach 2010/11 auf die zweite Erstligasaison seit dem Erwerb freuen. Dass es für die dazu auch noch jedes Jahr ein aktuelles Trikot gibt, ist noch ein hübscher Nebeneffekt. Auf den müssen die 164 glücklichen Gutschein-Einlöser dieses Sommer hingegen verzichten.