Hamburg. Auch der Kiezclub leidet unter der Pandemie. Präsident Oke Göttlich steht auf der Mitgliederversammlung zur Wiederwahl.

Die Anträge, veganes Catering im Millerntor-Stadion einzuführen und ein Golfkart zum schnelleren Abtransport Verletzter vom Spielfeld anzuschaffen­, die wurden wieder zurück­gezogen. Zwei Diskussionspunkte weniger also auf der zweiten ordent­lichen Mitgliederversammlung 2021 des FC St. Pauli an diesem Mittwoch von 19 Uhr an. Das könnte dem zeitlichen Ablauf der Zusammenkunft guttun. Denn ein quasi diktatorisches Abbrechen der Versammlung wie in der vergangenen Woche beim FC Bayern München ist dort natürlich keinesfalls vorstellbar.

Es könnte aber ausführlichen Gesprächsbedarf geben. Schon in einer internen Infoveranstaltung für die Mitglieder in der vergangenen Woche hatten Präsident Oke Göttlich und der für Finanzen zuständige Vizepräsident Carsten Höltkemeyer Teile der Bilanz für die Saison 2020/21 vorgestellt, erläutert und die Mitglieder teilweise erschreckt. Insgesamt 19 Millionen Euro beträgt demnach der Umsatzverlust durch Corona.

Auch der FC St. Pauli leidet unter der Pandemie

Zuschauereinnahmen, ausgefallene Veranstaltungen und Events sowie Einbußen bei der Rabauken-Fußballschule – praktisch alle Geschäftsbereiche waren betroffen. Vor einem Jahr hatte der Konzernumsatz bei 53,36 Millionen Euro gelegen. Das war schon ein Minus gegenüber den 55,11 Millionen Euro aus der Saison 2018/19. Wegen der pandemischen Lage hatte der Club bereits mit einem Umsatzminus von zehn Millionen Euro gerechnet. Das ist jetzt fast doppelt so viel geworden.

Der FC St. Pauli hat jedoch in Erwartung der weiter schwelenden Corona-Krise im vergangenen Geschäftsjahr bereits Konsequenzen gezogen. Durch Kurzarbeit, Gehaltsanpassungen bei Angestellten und auch Spielern, Verhandlungen und Gespräche mit den Sponsorpartnern sowie den Erstattungsverzicht zahlreicher Inhaber und Inhaberinnen von Dauerkarten konnten immerhin zwölf Millionen Euro eingespart werden. Das Eigenkapital ist dennoch von 14 Millionen auf 7,9 Millionen gesunken. Nur weil in den vergangenen Jahren erfolgreich gewirtschaftet wurde, steht der Club sogar noch verhältnismäßig gut da.

Präsident Oke Göttlich steht zur Wiederwahl

In der Messehalle B7 wird die Versammlung stattfinden. Eine Präsenzveranstaltung war dem Verein wichtig, weil nach den Berichten das Präsidium entlastet und neu gewählt werden soll (Einlass ab 17 Uhr). Am Dienstagabend war noch vorgesehen, die Versammlung unter 3G-Regeln nach einem detaillierten Schutz- und Hygienekonzept durchzuführen. Der Club appellierte jedoch an alle Mitglieder, auf 2G-Plus „upzugraden“. Die Versorgung mit Essen und Getränken vor Ort ist außerdem nur für Geimpfte oder Genesene möglich.

Zum ersten Mal in seiner nun siebenjährigen Amtszeit begrüßt Oke Göttlich (46) die Mitglieder als Präsident eines Tabellenführers. Seine Wiederwahl für vier Jahre erscheint schon deshalb nur als Formsache, weil es keinen Gegenkandidaten gibt. Die anschließende Wahl der Präsidiumsmitglieder Christiane Hollander, Carsten Höltkemeyer, Jochen Winand sowie der seit Juli kommissarisch amtierenden Esin Rager wird wohl eher ein routiniertes Durchwinken.

Seit November 2014 ist Göttlich im Amt. Platz vier in der Saison 2015/16 unter Trainer Ewald Lienen war in dieser Zeit das bislang beste Ergebnis. Statt oben anzuklopfen, steckte die Mannschaft meist im Abstiegskampf und verschliss Trainer. Vier Übungsleiter (Thomas Meggle, Olaf Janßen, Markus Kau­czinski, Jos Luhukay) mussten vorzeitig gehen, der Trainervertrag mit Lienen wurde ein Jahr vor Ablauf in den eines „Technischen Direktors“ umgewandelt. Erst mit der Verpflichtung von Andreas Bornemann als Sportchef in der Nachfolge von Geschäftsführer Andreas Rettig im Sommer 2019 sowie der Beförderung von Timo Schultz im Sommer 2020 vom U-19- zum Cheftrainer wurde der personelle Umbruch eingeleitet, der die Basis für den jetzigen Erfolg ist.

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FC St. Pauli: Geisterspiel-Frage erschwert wirtschaftliche Prognose

Abseits des Fußballplatzes war Göttlichs Wirken in Zusammenarbeit mit allen weiteren Gremien weitaus schneller erfolgreich. Nach dem Rückkauf seiner Merchandisingrechte 2016 und der Vermarktung 2019 einschließlich der Sponsorenakquise und -betreuung hat der Club seit Beginn der laufenden Saison auch noch die Produktion und Vermarktung seiner Ausrüstung in der eigenen Hand. Das Trikot der Eigenmarke DIIY hat sich bislang 22.000-mal verkauft, 25.000 Exemplare sind angeblich nötig, um die Gewinnschwelle zu erreichen. Sollte im Weihnachtsgeschäft klappen.

Alles eitel Sonnenschein also – wäre da nicht die Pandemie, die seit März 2020 die Arbeit aller Sportvereine vom kleinsten Amateurclub bis hinauf in den Fußball-Profibereich nachhaltig negativ beeinflusst. In ihren Berichten zur Lage des Vereins und seiner Abteilungen können die Clubverantwortlichen gar nicht anders, als auf die erschwerten wirtschaftlichen Bedingungen einzugehen. „Wir befinden uns in einer Krise, die wir nicht selbst verschuldet haben“, hat Göttlich mehrmals in den vergangenen Monaten klargestellt.

Dass nun angesichts der Infektionslage wieder Geisterspiele drohen, erschwert die wirtschaftliche Prognose für die Zukunft. In der Saison 2020/21 hatte St. Pauli laut „kicker.de“ in 17 Partien nur insgesamt 3226 Fans im Stadion. 381.777 waren es in der normalen Saison davor. Aktuell passierten bislang 103.003 Anhänger die Tore des Millerntor-Sta­dions. Wie viele noch dazukommen können, ist unklar (siehe Bericht auf der vorherigen Seite). Unter welchen Bedingungen das Topspiel gegen Schalke 04 am Sonnabend (20.30 Uhr/Sky und Sport1) also angepfiffen wird, entscheidet sich wohl am Donnerstag. Eine weitere Herausforderung – davon haben Göttlich und seine Mitstreiter zuletzt wahrlich genug gehabt.