Hamburg. Der neue Chefcoach des FC St. Pauli muss zum Trainingsstart auf diverse Spieler verzichten. Auf einer Position fehlt gar ein Trio.

Ganz am Ende seiner ersten Trainingseinheit holte die Vergangenheit den neuen St.-Pauli-Cheftrainer dann doch noch einmal ein. Ein Fan im Trikot von Royale Union Saint-Gilloise hatte auch die mehr als 20 Minuten lange Medienrunde abgewartet, postierte sich am Rande des Trainingsrasens und wurde von Alexander Blessin entdeckt.

„Gutes Trikot, wo hast du das her“, fragte der 51 Jahre alte Coach den jungen Mann im weißen Shirt des belgischen Pokalsiegers und Vizemeisters. „Ich war bei drei Spielen, auch gegen Liverpool“, antwortete der Fußball-Anhänger und bekam natürlich das erwünschte Autogramm.

St. Paulis neuer Trainer entdeckt Fan im Trikot des Ex-Clubs

Ansonsten aber zählt für Alexander Blessin nur noch der FC St. Pauli. Als er um 11.35 Uhr zur ersten Einheit gemeinsam mit dem Immer-noch-Co-Trainer Peter Németh (51) und dem ebenfalls frisch von Saint-Gilloise verpflichteten Torwarttrainer Sven Van Der Jeugt (43) den Trainingsplatz an der Kollaustraße betrat, hatten sich rund 250 Neugierige versammelt und wollten die erste Übungseinheit des Bundesliga-Aufsteigers unter dem neuen Coach erleben.

Fan-Andrang wie einst bei „Fußballgott“ Alex Meier

Es war ein Andrang, der für St.-Pauli-Verhältnisse schon als gigantisch zu bezeichnen ist. Manche „Kiebitze“ erinnerten sich daran, dass es nach der Verpflichtung von Stürmer und „Fußballgott“ Alex Meier im Januar 2019 ähnlich voll gewesen war. Damals hatte St. Pauli die Zweitliga-Hinrunde als Vierter abgeschlossen und ließ seine Anhänger – letztlich vergeblich – vom Aufstieg träumen.

Jetzt ist die Bundesliga, 13 Jahre nach dem jüngsten Abstieg, wieder Realität, und Blessin hat als Nachfolger von Aufstiegstrainer Fabian Hürzeler (31) die Mission angetreten, dass erstmals seit 1996 auch der Klassenverbleib in der höchsten Liga gelingt.

St. Paulis erstes Pflichtspiel am 16. August

Die Grundlagen dazu sollen in den kommenden fünfeinhalb Wochen bis zum Pokalmatch beim Halleschen FC am 16. August gelegt werden. Von einem Auftaktgeplänkel konnte daher auch keine Rede sein. In den rund 75 Minuten am Montagvormittag ging es intensiv zur Sache.

„Nach den ersten 20 Minuten, gerade im kurzen Bereich, mussten die Jungs ein bisschen blasen. Da leidet dann ein bisschen die Qualität“, stellte Blessin schon mal fest, fügte dann aber milde hinzu: „Es war aber sehr engagiert, weshalb ich mit der ersten Einheit sehr zufrieden war.“ Am späten Nachmittag ließ er ein zweites Training folgen. Auch an diesem Dienstag hat er dasselbe Programm vorgesehen.

Vier Trainingseinheiten an den ersten beiden Tagen

Angesichts dieser Belastung fehlten ein paar Aufstiegsspieler. Außenverteidiger Philipp Treu (23) wirkt nach seinem Wadenbeinbruch zwar wieder sehr agil, machte aber ebenso wie der zuletzt erkältete Innenverteidiger Hauke Wahl (30) nur die anfänglichen Aufwärm- und Passübungen mit. Danach spulten die beiden Leistungsträger ein Laufprogramm ab. Auch Außenverteidiger Manolis Saliakas übte lediglich individuell.

Unerfreulicher ist, warum Stürmer Maurides nur im Fitnessraum arbeitete. Wie das Abendblatt erfuhr, ist der Brasilianer mit Übergewicht aus dem Urlaub zurückgekehrt. Zu den Planungen mit dem 30-Jährigen, der zuletzt kaum gespielt hatte, sagte Blessin etwas schwammig: „Bei Maurides ist es immer so eine Sache. Da müssen wir uns Gedanken machen und zusammensetzen, wie der Verlauf des Werdegangs ist. Da müssen wir abwarten, und ich muss mir ein konkretes Bild machen.“ Dass ein Transfer bevorstehe, dementierte er: „Über Wechsel ist noch gar nicht gesprochen worden. Ich habe noch nicht viel von ihm gesehen. Dieses Beschnuppern braucht ein bisschen Zeit.“

Maurides mit Übergewicht zurückgekehrt

Wegen der Knieprobleme, die er schon bei den Länderspielen mit Bosnien-Herzegowina im Juni hatte, fehlte zudem noch Stammtorwart Nikola Vasilj (28), auch Stellvertreter Sascha Burchert (34) setzte leicht angeschlagen aus. Ebenso ist Keeper Sören Ahlers (26) noch nicht wieder einsatzbereit, sodass aus dem Profikader lediglich Neuzugang Ben Voll (23) als Schlussmann zur Verfügung stand und den neuen Torwarttrainer Sven Van der Jeugt erlebte – neben den Nachwuchstorhütern Kevin Jendrzej (19) und Ronny Seibt (18). Keinen Zweifel ließ Blessin daran, dass nach Voll und Mittelfeldspieler Robert Wagner (20) alsbald weitere Zugänge kommen sollen.

Die Spielweise werde man in der Bundesliga derweil anpassen müssen, man werde weniger Ballbesitz haben. „Wir wollen mehr über die Umschaltmomente kommen und eine saubere Balance finden. Den Gegner über 90 Minuten zu jagen, wird nicht gehen, das will ich auch nicht. Man muss auch mal eine ruhige Kugel spielen“, sagte Blessin.

Neuer Torwarttrainer Van der Jeugt in Aktion

Einen Trend gibt es bereits in der Kapitänsfrage. „Ich werde Eindrücke sammeln und Gespräche mit den Jungs führen. Die Frage ist aber auch, ob man überhaupt etwas ändern muss“, sagte Blessin. Sein Vorgänger Hürzeler hatte vor der vergangenen Saison Jackson Irvine zum alleinigen Kapitän sowie Hartel und Eric Smith zu dessen Stellvertretern bestimmt.

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Auch die drei weiteren Mitglieder des Mannschaftsrats hatte er auserkoren: Hauke Wahl, Sascha Burchert und Karol Mets. Es ist also denkbar, dass es auch diesmal keine teaminterne Wahl geben wird, zumal eine Abstimmung wohl keine größere Veränderung ergeben würde. Ein längeres Gespräch mit Irvine habe er bereits geführt, berichtete Blessin. Weitere Einzeltermine sollen vor allem im Trainingslager (15. bis 25. Juli) in Scheffau (Österreich) folgen.

Jackson Irvine dürfte St. Paulis Kapitän bleiben

Auch wenn Blessin am Montag noch einmal an seine Station in Belgien erinnert wurde, ist seine Aufbruchstimmung zu spüren. „Es gibt nichts Schlimmeres, als in der Vergangenheit zu leben“, sagte er auch in Bezug auf St. Paulis Aufstieg. „Wir wollen ein neues Kapitel aufschlagen.“ Die erste Seite ist bereits gelesen.