Hamburg. An der Kollau waren zwischen 1933 und 1938 jüdische Sportler der „Gruppe Schild“ aktiv. Die Hintergründe des Erinnerns.
Am Montag, so gegen 11 Uhr, soll es losgehen. Das erste Training des FC St. Pauli als Bundesligist nach 13 Jahren Abwesenheit von der deutschen Eliteklasse. Natürlich ist da vieles neu, allen voran der Trainer. Alexander Blessin (51) wird sich erstmals den Fans zeigen, nachdem er sich zuvor bei der Mannschaft vorgestellt hat.
Die ersten Zugänge Ben Voll und Robert Wagner werden aufdribbeln, der hintere Platz auf dem Trainingsgelände an der Kollau wird gerade grundsaniert und die Anlage ist nun mit Planen der aktuellen Sponsoren „geschmückt“, darunter auch der neue Ausrüster Puma.
FC St. Pauli: Einweihung der Gedenktafel mit prominenten Gästen
Und dann steht da gleich links am Publikumseingang Langenhorst eine wirklich große Tafel, unübersehbar und bewusst Aufmerksamkeit heischend. „Im Andenken an den ungebrochenen Lebenswillen der jüdischen Jugend in Hamburg in den Jahren 1933 bis 1938“ liest man da als Überschrift.
An diesem Sonntag um 11 Uhr wird die etwa zwei Meter große Tafel mit deutschen und englischen Texten sowie Archivbildern eingeweiht. Die Präsidiumsmitglieder Luise Gottberg und Jochen Wienand werden vom Verein dabei sein, Aufsichtsrat Sönke Goldbeck, geladene Gäste wie der Holocaust-Überlebende Ivar Buterfas Frankenthal. Der FC St. Pauli möchte an die Geschichte der Sportanlage erinnern, die von 1933 bis 1938 von jüdischen Vereinen ausgebaut und genutzt wurde.
Präsident Göttlich erwähnt „überragende Bedeutung des Sports“
„Diese Geschichte zeigt, welche überragende Bedeutung der Sport haben kann“, sagt Präsident Oke Göttlich, „wir danken der Historikerin Frauke Steinhäuser und dem Museum des FC St. Pauli für die wichtige Arbeit, um an jüdische Sportlerinnen und Sportler sowie ihre Vereine an der Kollaustraße zu erinnern.“
Angeregt wurde diese Erinnerung an ein vergessenes Stück Hamburger Sportgeschichte im Zusammenhang mit der bereits 2016 konzipierten Ausstellung „Hamburger Fußball zur Zeit des Nationalsozialismus“, die anlässlich der EM wieder in der Gedenkstätte St. Nikolai und im Geschichtsort Stadthaus zu sehen ist. „Dabei haben wir einen Hinweis gefunden, dass der Platz an der Kollaustraße von der jüdischen Sportgruppe Schild ausgebaut und genutzt wurde“, erzählt Christopher Radtke (37) vom FC St. Pauli Museum.
Sportgruppe Schild pachtete den Sportplatz
„Die Sportgruppe Schild war in ganz Deutschland aktiv, bot viele Sportarten an, auch Fußball“, erklärt Radtke, „in Hamburg war sie allerdings nicht sehr präsent, weil viele Juden in bürgerlichen Sportvereinen wie dem HSV, SC Victoria oder dem ETV Mitglied waren.“
Diese wurden ab 1933 allerdings aus diesen Vereinen gedrängt, unter dem Dach des „Vaterländischen Bundes jüdischer Frontsoldaten“ gründete sich deshalb in Hamburg im Juni 1933 auf Initiative von Alfred Cossen vom SC Victoria die Sportgruppe Schild. Dort trafen sich Menschen, die sich als Deutsche jüdischen Glaubens verstanden und in der Gesellschaft voll integriert lebten und leben wollten.
Jüdischer Verein hatte in der Spitze 1200 Mitglieder
Die Gruppe pachtete den Sportplatz an der Kollaustraße und bauten ihn mit Spenden aus der jüdischen Gemeinde aus. Auf 20.000 Quadratmetern entstanden zwei Plätze für Hockey, Fußball, Leichtathletik und (Feld-)Handball. Der Verein hatte in der Spitze 1200 Mitglieder, vor allem Kinder und Jugendliche. Im April 1936 baute die ebenfalls jüdische Gruppe Blau-Weiß an der Stelle des heutigen Baseballstadions ein weiteres Fußballfeld.
Es muss überall dort ein lebhaftes Treiben geherrscht haben, auch mit Wettkämpfen gegen Schild-Vereine aus anderen Städten, die existenzielle Bedrohung aber war immer präsent. Regelmäßig „besuchten“ Nazi-Trupps den Platz, schüchterten ein, die Notwendigkeit zur Emigration wurde immer klarer. „Gerade, weil unsere Jugend fortgehen muss, bauen wir einen Sportplatz“, sagte Helmuth Perlmann, ein Mitglied von Blau-Weiß, „sie soll bei Kampf und Spiel die Schwere und die Sorgen des Lebens vergessen.“
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Das gelang noch mehr oder weniger gut bis zu den November-Prognomen 1938. Danach wurde nicht nur der jüdische Sport vernichtet. Der FC St. Pauli und das FC St. Pauli Museum wollen auch Spieler und vor allem die Jugendlichen im NLZ über diesen Teil deutscher Geschichte zukünftig aufklären.
„Auch bei der Planung des neuen Trainingszentrums wollen wir die Erinnerung an die jüdischen Vereine auf jeden Fall berücksichtigen und einen Ort des Gedenkens schaffen“, verspricht Göttlich. „Kein Vergeben, kein Vergessen!“ appelliert der FC St. Pauli auf seiner Erinnerungstafel.