Hamburg. Die individuelle Entwicklung von Talenten wird wichtiger als der Ergebniserfolg von Mannschaften, Mentoren begleiten einzelne Spieler.

„Rebellution“ – das klingt nach einer Wortkreation einer besonders fantasievollen Marketingabteilung. So etwas hat der FC St. Pauli zweifellos, und da mag es auch sein, dass der seltsame Name für das neue Ausbildungskonzept im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) des Vereins dort ersonnen wurde.

Wichtiger als der Name ist allerdings die Idee, die dahintersteckt und die der Club nun auch öffentlich vorgestellt hat. NLZ-Leiter Benjamin Liedtke (37) hat schon seit längerer Zeit dafür geworben, die individuelle Förderung von Spielern über den Erfolg von Mannschaften zu stellen. Dies wird der FC St. Pauli nun von der kommenden Saison an laut Mitteilung „mit einer in Deutschland einzigartigen Ausbildung in Ausbildungsleveln“ versuchen.

Nachwuchsligen: Kein Abstiege mehr für die NLZ-Teams

„Entscheidend für eine veränderte Nachwuchsförderung ist die Einführung der Nachwuchsligen U17 bis U19. Dort sind die Teams der NLZ dann gesetzt, es gibt keinen Abstieg mehr“, erklärte Liedtke dem Abendblatt schon im Frühjahr. Die konsequente Folge daraus ist, dass die Spieler jahrgangsübergreifend betreut werden. „Es geht um langfristige Entwicklungen und weniger um kurzfristigen Erfolg“, so Liedtke.

Um das zu erreichen, werden die traditionellen Mannschaftsbindungen aufgelöst. Statt eines verantwortlichen Cheftrainers für die unterschiedlichen Jahrgänge zwischen U12 und U19 werden bis zu acht Trainer für die unterschiedlichen Altersstufen zuständig sein. Dabei betreuen die Übungsleiter einzelne Spieler als „Mentoren“, idealerweise über mehrere Jahre hinweg. Die aktive Teilnahme der Spieler am Ausbildungsprozess, regelmäßiges Feedback zu den Spielern und deren Eltern sowie ein verbessertes Eingehen auf die individuellen Bedürfnisse der jungen Talente soll das Ziel sein.

FC St. Pauli fördert nicht Jahrgänge, sondern „Bereiche“

Im NLZ gibt es deshalb künftig drei „Bereiche“, in die die Jugendlichen eingeteilt sind: den Grundlagenbereich für die Altersgruppe U12/U13, den Aufbaubereich (U14/U15) sowie den Leistungsbereich (U16 bis U19). Aus diesen Bereichen werden Teams gebildet, die an den unterschiedlichen Wettbewerben teilnehmen. Cheftrainer, die die Mannschaften aufstellen, gibt es aber nicht, die Trainergruppen diskutieren gleichberechtigt, wer, wann, wo zum Einsatz kommt.

Das bedeutet nun aber nicht, dass Leistungsprinzipien aufgehoben wären. „Wir wollen schon jedes Spiel gewinnen“, sagt Liedtke, „die Besten sollen spielen.“ Dennoch könne man die Kaderplanung nun anders ausrichten: „Was ergibt für den einzelnen Spieler am meisten Sinn?“ So ist es auch möglich, dass sehr talentierte Spieler früher bei älteren Jahrgängen auflaufen, auch wenn sie mit der körperlichen Entwicklung möglicherweise noch Nachteile haben.

Acht neue Trainer kommen zum NLZ

Bisher galt dagegen oft, der Kräftigere spielt – und nicht der spielerisch Bessere und Kreativere, Handlungsschnellere. „Trainer suchen im Nachwuchsbereich oft Spieler oft aus, mit denen sie ihre ,Philosophie´ umsetzen können, um sich durch Erfolge zu profilieren“, kritisiert Liedtke das herkömmliche System, „aber die Spielidee muss sich an den Stärken der Spieler orientieren.“

Um das Mentoren-Prinzip durchführen zu können, hat der FC St. Pauli für das NLZ acht neue Trainer verpflichtet, insgesamt arbeiten dort 21 Übungsleiter, darunter zwei Frauen, in den drei Altersbereichen. „Diese Personalstruktur führt zu einem kleineren Betreuungsschlüssel mit mehr individueller Betreuung“, teilt der Verein dazu mit.

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Neben der verbesserten individuellen Förderung verspricht sich Liedtke davon auch eine größere Offenheit bei der Beurteilung der Möglichkeiten einzelner Spieler. Als Beispiel nennt er U-17-Welt- und Europameister Eric da Silva Moreira (18), der den Club gerade nach neun Jahren im NLZ für 1,5 Millionen Euro Ablöse Richtung Nottingham Forest verlassen hat.

„Bei uns hat er jahrelang nur Rechtsaußen gespielt, weil er Tore geschossen hat und besser als andere war“, erinnert sich Liedtke durchaus selbstkritisch: „Erst bei der Nationalmannschaft und dann beim Training der Profis wurde er zum Außenverteidiger umgeschult – darauf hätten wir auch früher kommen können.“