Die deutschen Frauen um Anschütz-Thoms, Beckert und Mattscherodt haben sich Team-Gold geholt. Anni Friesinger stürzte im Halbfinale.

Richmond. Es war das Bild dieser Olympischen Spiele, zumindest aus deutscher Sicht. Und es war der Moment, in dem sich das ganze Pech einer Saison, Verletzungen, Krankheiten und Rückschläge in das Gegenteil verkehrten. Das sportliche Drama im Mannschafts-Wettbewerb der Eisschnellläuferinnen hatte einen Namen: Anni Friesinger-Postma. Und, um es vorwegzunehmen, es gab ein Happyend - ein goldenes, zum Schluss allerdings ohne sie. Mit zwei Hundertstelsekunden Vorsprung besiegten die Erfurterinnen Stephanie Beckert (21) und Daniela Anschütz-Thoms (35) mit der Berlinerin Katrin Mattscherodt (28) im Finale Japan, dank eines fantastischen Endspurts. Es war in Vancouver das erste Gold für eine Sportlerin der Hauptstadt.

Nach vier von sechs Runden hatten die späteren Olympiasiegerinnen noch einen Rückstand von 1,72 Sekunden, einen eigentlich unaufholbaren. Aber Beckert, die zuvor schon zwei Silbermedaillen gewonnen hatte, führte das Team Schritt um Schritt zum Gold. Die deutschen Frauen verteidigten damit ihren Titel von den Spielen 2006 in Turin.

Eine Stunde zuvor, im Halbfinale gegen die USA, war Sportgeschichte geschrieben worden. Anni Friesinger hatte schon in der vorletzten der sechs Runden erste Probleme, dem Tempo ihrer Mitläuferinnen Beckert und Anschütz-Thoms zu folgen. Im Bemühen, den Anschluss zu finden, verkrampfte sich die Muskulatur ihres linken Oberschenkels. In der vorletzten Kurve jedenfalls konnte die zweimalige Olympiasiegerin nur noch mit Mühe einen Sturz vermeiden. Friesinger kämpfte weiter, gegen die Schmerzen, gegen die drohende Niederlage.

Die Amerikanerinnen lagen fast eine Sekunde zurück, als Friesinger ihr Missgeschick passierte. Jetzt holten sie Zehntelsekunde um Zehntelsekunde auf. Auf den letzten Metern verließen die 33-Jährige endgültig ihre Kräfte. 50 Meter vor dem Ziel stürzte Friesinger, ihre beiden Kolleginnen nahmen den Fall ihrer Schlussläuferin mit Entsetzen wahr.

+++ ANNI FRIESINGERS BAUCHPLATSCHER AUF DEM ZDF-VIDEO +++

Aber sie gab nicht auf, rutschte auf dem Bauch liegend, platt wie eine Flunder, vom Schwung der vergangenen fast 2300 Meter getrieben, über die Ziellinie. Alles schien aus. Dann wagte sie doch noch einen verstohlenen Blick auf die Anzeigetafel gegenüber. Dort war Erstaunliches zu lesen: Mit 23 Hundertstelsekunden waren die Deutschen, im wahrsten Sinne des Wortes, ins Finale gerutscht. Gewertet wird die Schlittschuhspitze der dritten Läuferin. Und da lag Friesinger, die ihre Beine mit einem Scherenschlag noch nach vorn geschwungen hatte, knapp vor der aufrecht über die Linie laufenden Amerikanerin Nancy Swider-Peltz jr. Ein Lächeln huschte ihr übers Gesicht, sie weinte vor Freude. Sie habe in diesem Moment Erleichterung gefühlt, „unendliche Erleichterung“, sollte sie später sagen.

„So etwas habe ich noch nie erlebt“, gestand Bundestrainer Markus Eicher nach dem Lauf, „das Glück ist zu uns zurückgekehrt. Das war einen bewundernswerte Energieleistung von Anni.“ Friesinger hatte bei ihren vierten und letzten Olympischen Spielen die ersehnte Medaille gewonnen, ihre insgesamt fünfte. Im Endlauf aber war sie nur noch Zuschauerin. Katrin Mattscherodt ersetzte sie.

Der dritte Platz im Team war in Vancouver ohnehin für die 28 Jahre alte Berlinerin vorgesehen. Bundestrainer Eicher setzte auf sie, weil er den Einsatz Friesingers nach Platz 14 über 1000 Meter und Rang neun über 1500 Meter für zu riskant gehalten hatte. Als Mattscherodt jedoch über 5000 Meter wegen Verlassens der Bahn disqualifiziert worden und nebenbei auch eine schwache Zeit gelaufen war, änderte der Coach seine Meinung. Friesinger, sagte Eicher, hätte ihn zudem im Training überzeugt. „Im Nachhinein“, sagte er, „haben wir alles richtig gemacht.“