Dem Gewichtheber missglückte der zweite Versuch im Reißen. Er musste vor dem Stoßen aufgeben und konnte seinen Titel nicht verteidigen.
London. Matthias Steiner krümmte sich vor Schmerzen und schnappte entsetzt nach Luft, als die Hantelstange mit voller Wucht in seinen Nacken krachte. Unter der Last von 196 Kilogramm platzte der Traum des Gewichtheber-Stars von einem weiteren magischen Moment bei den Olympischen Spielen auf bittere Weise.
Statt aufs Siegertreppchen führte sein Weg ins Krankenhaus. „Er ist unterwegs in die Uniklinik. Er hat Schmerzen im Rücken. Er wird nun untersucht, um Verletzungen der Wirbelsäule auszuschließen“, sagte Bernd Wolfarth, leitender Arzt der deutschen Mannschaft in London.
Teamkollege Almir Velagic berichtete über einen niedergeschlagenen, aber gefassten Steiner: „Er hat zu mir gesagt: ’Halt Du die Fahne hoch, ich kann nicht mehr.’ Er war in der Verfassung von Peking“, sagte der 30-Jährige aus Steyer: „Wir haben zuerst gedacht, es sei viel mehr passiert. Dann habe ich Matthias gefragt: ’Ist alles noch dran?’ Er hat glücklicherweise ja gesagt. Es sieht oft schlimmer aus, als es ist. Als erfahrener Gewichtheber kriegt man das hin.“ Zuvor hatte Chef de Mission Michael Vesper leichte Entwarnung gegeben: „Er ist verletzt, aber nicht schwer.“
Als die Entscheidung fiel, war Steiner längst auf dem Weg in die Klinik. Gold holte der iranische Weltmeister Behdad Salimikordasiabi vor seinem Landsmann Sajjad Hamlabad. Bronze ging an den Russen Ruslan Albegow. Velagic wurde mit persönlicher Bestleistung (426 kg) Achter.
Im Finale der Königsklasse war 150-kg-Koloss Steiner beim zweiten Versuch im Reißen eingeknickt, die Hantel krachte ihm im Fallen ins Genick und zwang den „Goldjungen“ von Peking wenige Minuten später zur Aufgabe. Es war die dramatische Fortsetzung von Steiners Leidensweg, der in London eigentlich sein Ende finden sollte.
Monatelang hatte sich der gebürtige Österreicher Steiner nach seinem Einriss der Quadrizeps-Sehne im vergangenen September zurückgekämpft und sich gegen das drohende Karriere-Aus gestemmt. Wochenlang ging er an Krücken, hatte Schmerzen, Stunde um Stunde verbrachte er in der Reha. Alles für diesen einen Moment, in dem das Schicksal erneut zuschlug.
Der Superschwergewichtler riss das Gewicht nach oben und begann, die Beine zu strecken. Doch die Last war zu groß. Er geriet aus dem Gleichgewicht, die Hantelstange krachte ihm in den Nacken. Er zog blitzartig den Kopf unter der Stange weg, die ihm dann auf den Oberschenkel fiel und das rechte Bein hinunterrollte. Er blieb am Boden liegen, stand nach kurzer Behandlungszeit jedoch wieder auf, bevor Helfer vor ihm einen Sichtschutz gegen neugierige Blicke postieren konnten.
Doch alle Versuche hinter der Bühne, die Muskulatur mit Massagen zu lockern, schlugen fehl. Steiner ließ seinen dritten Versuch im Reißen und damit jegliche Medaillenchance verstreichen. Aus Sorge um die Gesundheit trat Steiner zum Stoßen nicht mehr an.
Dabei hatte der Wettkampf am Dienstag optimal begonnen. Im Reißen, seiner schwächeren Disziplin, korrigierte Steiner noch vor dem ersten Versuch um zwei Kilo nach oben und packte die erste Hürde problemlos. Zahlreiche deutsche Fans in der prallgefüllten Arena 3 des Londoner ExCel-Komplexes, darunter auch seine zweite Frau, die TV-Moderatorin Inge Steiner, bejubelten den geglückten Start des Sympathieträgers. Mit lauten Tritten brachten sie die auf Metallstreben gestützten Tribünen zum Scheppern und übertönten gar die lauten Schreie, die Steiner beim Heben ausstieß.
Um seine Form hatten Steiner und sein Trainerteam seit Wochen ein großes Geheimnis gemacht. Bei 424 kg lag seine bisherige Jahresbestleistung, aufgestellt bei der EM in Antalya. Zurückgezogen hatte sich Steiner in zwei Trainingslagern vorbereitet und sich dabei nach und nach an seine Bestform herangearbeitet. In London wollte er seine wahre Stärke demontrieren. Es folgte einer der schmerzhaftesten Momente seiner Karriere. (sid/abendblatt.de)