Der Bayer turnt im olympischen Finale völlig überraschend zu Silber. Mitfavorit Hambüchen dagegen enttäuscht und landet nur auf Platz 15.
London. Favorit Fabian Hambüchen patzte, Außenseiter Marcel Nguyen verblüffte alle. Mit seinem sensationellen zweiten Platz ist der Barren-Europameister aus dem Schatten des Turnchampions getreten und hat dank einer unglaublichen Aufholjagd die erste Medaille eines deutschen Mehrkämpfers seit 1936 geholt.
76 Jahre nach dem Olympiasieg von Alfred Schwarzmann in Berlin musste der 24 Jahre alte Unterhachinger gestern vor 16 500 Zuschauern in der ausverkauften North Greenwich Arena mit 91,031 Zählern nur dem haushohen Favoriten Kohei Uchimura (Japan/ 92,690) den Vortritt lassen. Dritter wurde der US-Amerikaner Danell Leyva mit 90,698 Zählern. Hambüchen stürzte dagegen nach drei schweren Schnitzern auf Rang 15 ab und turnte mit 87,765 Punkten sogar drei Zähler weniger als noch in der Qualifikation.
Völlig ungläubig rannte der Sensationszweite nach seinem Coup in die Arme von Cheftrainer Andreas Hirsch. Als das Ergebnis auf der Anzeigetafel zu sehen war, nahm ihn sein Heimcoach auf die Schulter. Nguyen schaute nur fassungslos in die Menge.
Der Bayer war mit dem Vorhaben angetreten, nicht auf die Konkurrenz zu schauen und sich allein auf seine sechs Geräte zu konzentrieren. Er startete mit dem letzten Platz am Seitpferd nur mäßig, steigerte sich aber von Gerät zu Gerät und bewies bei seinen schwierigen Übungen am Barren und Reck Nervenstärke. Der Lohn: Vor den abschließenden beiden Durchgängen rangierte er überraschend auf dem dritten Platz und krönte seine Leistung mit einer Supershow am Boden.
Nachdem im Vorfeld der Spiele die gesamte mediale Aufmerksamkeit auf Hambüchen und Vizeweltmeister Philipp Boy gerichtet war, ging Marcel Nguyen ganz ruhig und beharrlich seinen lange unbemerkten Weg. Für die einzigen Schlagzeilen hatte er im Mai mit dem Gewinn seines zweiten Europameistertitels am Barren gesorgt.
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Für Hambüchen begann der Wettkampf nach fehlerfreiem Durchgang am Boden dagegen mit einem krassen Fehler bei der Schere in den Handstand am Pferd, der von den Kampfrichtern hart bestraft wurde. Ein Protest der Mannschaftsleitung wurde von der Jury abgelehnt. Platz 22 im Zwischenklassement war die Folge. Zwar gaben sich Freundin Caroline, Vater Wolfgang und Onkel Bruno Hambüchen die größte Mühe, ihn ständig mit "Faaaabi"-Rufen anzutreiben, doch der Mitfavorit zeigte erstmals während der Spiele Schwächen.
Kurz suchte er vor dem Sprung den Blickkontakt zum Vater im Zuschauerblock 105 der Arena, und man sah ihm schon im Gesicht an, wie sehr er vor seinen starken drei Geräten unter Druck stand. Nach dem Sturz beim Jurtschenko war der Wettkampf für ihn faktisch gelaufen. Nach der Ernüchterung muss Hambüchen seine ganze Konzentration auf das Reckfinale am Dienstag legen.
Die olympischen Kunstturnwettbewerbe werden heute mit der Mehrkampfentscheidung bei den Frauen fortgesetzt. Einzige deutsche Teilnehmerin ist Vizeeuropameisterin Elisabeth Seitz aus Mannheim.