Hamburg. HSV-Finanzvorstand über die Bilanz 2023/24, ein neues Cateringkonzept, den Stadionnamen, Anteilsverkäufe, Kiew & die Kritik der Ultras.
Für Eric Huwer ging es am Dienstag nach Griechenland. Der Finanzvorstand des HSV ist bis Donnerstag auf einer Tagung, bei der es nicht weniger geht als um die Zukunft des Fußballs. In Athen treffen sich die Vertreter aller europäischen Clubs, um über Themen wie die Verteilung der Champions-League-Gelder oder auch den immer engeren Terminkalender zu debattieren.
Veranstalter ist die European Club Association (ECA), die Interessenvertretung der europäischen Fußballvereine. Huwer, der vor einer Woche am Tag seines zehnjährigen Dienstjubiläums seinen Vertrag im Volkspark vorzeitig bis 2029 verlängert hat, ist in Athen der HSV-Repräsentant. Zuvor traf sich der 40-Jährige mit dem Abendblatt, um über die vergangenen Dekade und die Zukunft des HSV zu sprechen.
Huwers Vision: ein schuldenfreier HSV
Herr Huwer, hat Ihr Sohn Santi schon sein erstes HSV-Trikot?
Ja, natürlich. Er hat die HSV-Erstausstattung vom Strampler bis zum Schnuller. Santi hat übrigens keinen Schnuller angenommen, bis ich ihm irgendwann einen HSV-Schnuller gegeben habe. Jetzt nimmt er nur noch den. Den Fischerhut Nils gibt es unter anderem auch für Babys – das ist mein persönlicher Favorit.
Ab wann würden Sie Ihren Sohn mit ins Volksparkstadion nehmen?
Er war schon bei zwei Heimspielen dabei. Das erste Mal gegen Nürnberg im Mai. Und zuletzt ist er hier gegen Paderborn in der Loge mit seinen Kopfhörern herumgekrabbelt. Bei meiner Vertragsverlängerung bzw. meinem zehnjährigen Dienstjubiläum war er auch dabei. Dadurch wurde es im Rahmen meiner Ansprache noch emotionaler. Er kennt das Stadion also schon sehr gut.
Ist das Volksparkstadion kinderfreundlich?
Absolut. Wir wollen aber mehr und arbeiten schon die ganze Zeit daran, den Familienblock aufzuwerten. Da machen wir viel mit unseren Partnern, wie der Hanse Merkur. Wir achten sehr auf das Thema Kinderfreundlichkeit. Und das wird wahr- und angenommen: In Kürze begrüßen wir unser 18.887. Mitglied im Kids- bzw. Teens-Bereich. Fast 20.000 Mitglieder unter 18 Jahren. Das ist bemerkenswert.
Zehn Jahre HSV ist auch eine bemerkenswerte Zahl für einen HSV-Verantwortlichen. Bei all den Ereignissen: Fühlt sich die Zeit auch wie zehn Jahre an?
Das war tatsächlich ein Thema, als ich die Mitarbeiter zum Crepes-Essen eingeladen habe. Was ich hier in zehn Jahren an Intensität erlebt habe, erlebst du woanders vielleicht in 20 Jahren nicht. Mein Kennenlerngespräch mit den damaligen Verantwortlichen war am Tag des Relegationsrückspiels in Fürth. Damals habe ich noch in München gearbeitet. Wir haben uns mittags im HSV-Mannschaftshotel in Herzogenaurach getroffen. Carl Jarchow, Joachim Hilke und ich. Das Spiel habe ich dann neben Benjamin Schmedes verfolgt, der damals noch Vorstandsreferent war. Mit dem Fanerlebnis in Fürth war ich dann sehr schnell angezündet. Wir haben seit meinem ersten Arbeitstag am 1. Oktober 2014 gemeinsam viele Herausforderungen gewuppt. Die Vision, die sich für mich früh entwickelt hatte, haben wir zu einem wesentlichen Teil schon umsetzen können. Natürlich war es indes nicht die Vision, sieben Jahre Zweite Liga zu spielen.
Was war denn die Vision?
Die Vision war, wieder ins Handeln zu kommen und maximal selbstbestimmt zu agieren. In meiner Anfangszeit haben wir nur reagiert. Meine Aufgabe war es, nach der Ausgliederung ein professionelles Clubmanagement in das AG-Korsett zu bringen. Das war am Anfang sehr schwer, weil das Erbe aus dem Vereinskonstrukt wenig auf Risikovorsorge und nachhaltige Entwicklung ausgelegt war. Es gab viele akute Themen: Es war ein sanierungsähnlicher Zustand. Wir mussten den Stadionkredit refinanzieren. Wir hatten die Fananleihe, es kam der Abstieg dazu, später Corona und viel Druck. In der Zeit mussten wir Verträge abschließen mit dem Fokus auf die kurzfristig Liquidität, zulasten langfristiger Rentabilität und Qualität. Da standen die signing fees der Partner und die nächste DFL-Lizenzierung im Fokus. Das beherrschende Prinzip war die Hoffnung auf sportlichen Erfolg. Davon haben wir uns emanzipiert.
Sie haben augenscheinlich eine hohe Identifikation mit dem HSV. Wie war Ihre Verbindung in der Zeit davor?
Als Kind fand ich drei Clubs toll. Den 1. FC Saarbrücken, den VfL Bochum und den HSV. Das lag aber hauptsächlich an der Farbe Blau, meine Lieblingsfarbe. Und die Raute des HSV ohne Buchstaben und Zahlen war für mich das coolste Logo. Die Geschichte hinter dem Wappen mit dem Blauen Peter ist sensationell. Das hätte heute keine Marketingagentur besser entwerfen können.
Der HSV hat elf Jahre hintereinander ein Minus erwirtschaftet. Sie werden als Vorstand in Kürze voraussichtlich Ihr drittes Plus in Folge präsentieren. Gibt es da einen Zusammenhang?
Ich hoffe, dass ein gewisser Zusammenhang besteht (schmunzelt). Zwar muss die Marschrichtung von mir kommen, die Umsetzung ist indes dem gesamten Team zu verdanken. Das Plus kann ich bereits bestätigen, auch wenn die Prüfung noch nicht abgeschlossen ist. Dreimal in Folge positive Zahlen konnten im deutschen Profifußball seit 2021 nur der FC Bayern München, RB Leipzig und der SC Freiburg schreiben. Und die waren in der Bundesliga allesamt sportlich erfolgreich.
Was haben Sie als Vorstand verändert?
Der HSV wurde lange unter der Prämisse geführt: Maximaler sportlicher Erfolg unter Vermeidung der Insolvenz. Da verfolgen wir jetzt ein anderes Credo. Der wirtschaftliche Erfolg soll aber kein Selbstzweck sein. Wir halten uns da nicht dogmenhaft dran fest. Wir sind im laufenden Geschäftsjahr deutlich mehr ins Risiko gegangen, um unseren Ambitionen auch Taten folgen zu lassen. Wir würden ein negatives Ergebnis in Kauf nehmen, wenn wir unsere sportlichen Ziele dafür erreichen. Der sportliche Erfolg bleibt die Zielvorgabe, die wirtschaftliche Vernunft und nachhaltige Entwicklung flankieren.
Können Sie das Vorjahresergebnis noch einmal toppen?
Im vergangenen Jahr haben wir acht Millionen Euro Plus erwirtschaftet. In die Richtung kommen wir nicht, aber wir werden erneut ein positives Ergebnis präsentieren können.
Musste Ihr neuer Vorstandskollege Stefan Kuntz Sie überzeugen, bei Transfers finanziell mehr Risiko einzugehen?
Das war eine gemeinsame Entscheidung, auf die wir uns frühzeitig verständigt haben. Diese Transferperiode war mit sehr unterschiedlichen Spielertypen verbunden. Spieler mit Entwicklungspotenzial und Spieler mit Soforthilfe-Garantie.
Mit diesen Investitionen haben Sie sich auch selbst unter Druck gesetzt. Der Aufstieg ist die Erwartung.
Das ist die Idee dahinter. Natürlich baut das Druck auf. Aber mit den Möglichkeiten und der Gesundung, die wir uns erarbeitet haben, wollen wir nach vorne. Unser langfristiger Plan beinhaltet, ohne den Mund angesichts unserer Zweitligazugehörigkeit zu voll zu nehmen, mehr, als nur irgendwann den Aufstieg zu schaffen. Meine strategische Ausrichtung ist es, die Voraussetzungen zu schaffen, uns auch nachhaltig in der Bundesliga zu etablieren. Dieses Jahr steht aber nicht zuvorderst unter der Überschrift Entwicklung, ohne den Weg der wirtschaftlichen Vernunft zu verlassen.
Es steht aber auch nicht unter der Überschrift Transfereinnahmen. Wird es künftig wieder verstärkt um Transfererlöse gehen? Ihre aktuelle Transferpolitik sieht nicht danach aus.
Die Transfer- und TV-Erlöse gehen abermals zurück. Das wollen wir wieder ändern, hierin liegt der größte Hebel. Wir können nicht dauerhaft und unbegrenzt durch den kommerziellen Bereich die sportliche Risikofreude kompensieren. Langfristig sollen sich Gehalts- und Transferaufwendungen einerseits und TV- und Transfererlöse andererseits die Waage halten. Situative Mehrinvestitionen in die Kaderentwicklung und kurzfristige Erfolgswahrscheinlichkeiten leisten wir uns, um unsere Ziele schneller zu erreichen. Diese unternehmerische Beinfreiheit haben wir gewonnen.
Sie haben viel investiert in die Stadionmodernisierung. Gibt es noch weiteren Investitionsbedarf?
Den gibt es. Mit den 25 bis 30 Millionen Euro, von denen wir 20 Millionen Euro als Darlehen aufgenommen haben, haben wir erheblich aufgeholt. Der HSV hat mit Blick auf das Thema Stadionmodernisierung viele Dinge lange aufgeschoben. Jetzt sind wir auch da vor der Welle. Ich bin sehr stolz auf die Geschäftsstelle, dass wir bei laufendem Betrieb so zeitlich und diszipliniert die Mittel verwendet haben. Bauprojekte überschreiten auch mal zeitliche und wirtschaftliche Budgetgrenzen. Jetzt geht es nach vorne gerichtet darum, wie wir nachhaltig besser werden, zum Beispiel beim Thema Catering. Wir sind unseren Fans aus meiner Sicht ein besseres Angebot schuldig. Da gedenken wir eine achtstellige Summe in den Public- und Hospitalitybereich zu investieren. Die Topanbieter aus diesem Bereich haben großes Interesse an uns, weil sie sehen, dass das Volksparkstadion funktioniert. Wir werden natürlich auch mit unserem aktuellen Partner Aramark sprechen.
Ein neues Cateringkonzept für rund zehn Millionen klingt nach viel Geld. Worauf können sich die Fans freuen?
Wir wollen in alle Kioskbereiche investieren, die Hospitality-Bereiche, in die Digitalisierung der Kassensysteme, in die Produktvielfalt. Es soll schneller, bequemer und besser werden. Da kommt man schnell auf einen hohen Millionenbetrag. Wir haben uns während unser US-Tour im Winter 2022 nicht umsonst in Los Angeles das SoFi-Stadium angeschaut. Ich habe von dem NFL-Spiel der Chargers gegen Kansas City nichts gesehen, weil ich mit dem Stadionverantwortlichen durch die Arena gegangen bin und mir die Prozesse angeschaut habe. Das war beeindruckend. Auch wir wollen weiter in die Zukunft investieren. Die DNA des HSV liegt im Stadionerlebnis. Da ist das Thema Catering auch eine essenzielle Komponente.
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass es eine erneute Abstimmung über mehr Anteilsverkäufe gibt?
Das ist zunächst mal ein Thema des e.V.-Präsidiums, mit dem wir gerade eine gute und enge Zusammenarbeit haben. Am Ende geht es darum, die Mitgliederinteressen zu respektieren und nicht wieder emotionale Gräben aufreißen zu lassen. Mein Weg ist es nicht, die Mitglieder vor alternativlose Entscheidungen zu stellen. Ich habe immer gesagt, dass meine Vision ein schuldenfreier HSV ist. Auf dem Weg sind wir. Mein Wunsch ist es, dass wir meine Vision noch in meiner jetzt verlängerten Amtszeit kommunizieren können. Darauf ist unser Handeln ausgerichtet.
Und das geht auch ohne den Verkauf von weiteren Anteilen?
Das ist möglich, aber es dauert länger und wir haben vielfältige Investitionsbedarfe. Ich kann nur meinen Satz von der Mitgliederversammlung wiederholen: Mach die wichtigen Dinge dann, bevor sie dringend werden. Mit dem Rücken zur Wand hat man immer eine schlechte Verhandlungsposition. Wir wollen weiter in und um das Stadion investieren, den Frauenfußball weiter entwickeln, den steigenden Nachhaltigkeitsverpflichtungen mit Überzeugung nachkommen und müssen aufpassen im Kerngeschäft sowie im Nachwuchs den Anschluss nicht weiter zu verlieren. Das will ich im Zweifel lieber mit Partnern machen, die sich klar zum HSV und 50+1 bekennen und nicht mit geliehenem teuren Geld. Multiclub ownership oder Private-Equity-Partner schließe ich für den HSV aus.
Stichwort Stadion: ist der Verkauf der Namensrechte ein aktuelles Thema?
Es gibt immer wieder Anfragen. Und es ist ein Thema, bei dem wir immer wieder an Reizpunkte zur wirtschaftlichen und damit hier sportlichen Ambition geraten. Stand jetzt fehlen uns bis zu fünf Millionen Euro jährlich für das Namensrecht. Das schränkt uns erheblich ein. Wir sind gesprächsbereit, aber auch im engen Austausch mit unserer Fankultur. Idealerweise kriegen wir das übereinandergelegt mit einem Partner, der sich nachhaltig zum HSV und Hamburg bekennt, denn das Stadion ist viel mehr als nur die Spielstätte von 17+ Partien die Saison: Es ist Wahrzeichen, Heimat und die emotionalste Begegnungsstätte der Stadt.
Sie haben als Vorstand jetzt auch schon gespürt, dass Sie bei den Fans schnell zur Zielscheibe von Kritik werden können. Beim Thema Ticketpreise oder der Stadionvermietung wurde es vonseiten der Ultras auch persönlich. Hat sie das getroffen?
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Wir reden viel von Partizipation und Mitbestimmung. Dazu gehören auch andersartige Meinungen. Beim Thema Dynamo Kiew waren wir der Meinung, dass wir eine größere Verantwortung haben, die sich in den Gesprächen mit Wladimir Klitschko konkretisiert haben. Der Krieg in der Ukraine darf nicht zur Gewohnheit werden. Wir bekennen uns zur Ukraine. Uns ist bewusst, dass in der Fanszene von Dynamo Kiew ein paar unsägliche Anhänger unterwegs sind und da bin ich froh, dass unsere Fanszene ein Gespür dafür hat und die moralische Aufsichtsrolle übernimmt. Kiew haben wir aber nicht aufgrund einer wirtschaftlichen Bereicherung gemacht, sondern aus der Haltung heraus.
Wird Kiew zum Minusgeschäft, wenn die Zuschauerzahlen so bleiben wie gegen Rom?
Unsere Erwartung war nicht so viel größer. Das war in der Europa League zu antizipieren. Meine Prognose: Wir werden am Schluss daher ohne Gewinn und Verlust dastehen.
Zum aktuellen Geschäftsmodell zählen offenbar auch die vielen neuen Partnerschaften. Spüren Sie ein neues Interesse am HSV durch Sponsoren?
Absolut, ja. Die Marke HSV ist intakt. Das sehen auch die Part ner. Sie sehen auch, dass wir Wort halten. Die Anzahl der Partner ist aber nicht entscheidend, sondern die Qualität. Wir haben es geschafft, nicht nur neue Partner zu finden, sondern auch bestehende auf eine neue Ebene zu bringen. Beispiele sind die HanseMerkur, Mercedes Benz oder die Helm AG, aber zuvor auch Hapag Lloyd und die Sparda Bank. Wir reden auch bewusst von Partnern und nicht von Sponsoren, weil es um Mehrwerte für beide Seiten geht, um ein Miteinander und es keine Einbahnstraße ist.
HSV: Huwer hofft auf Rekord in Merchandising
Wird es wieder einen Rekord im Merchandising geben?
Wir haben das Rekordjahr 2022/23 noch einmal getoppt und kommen auf einen Umsatz von 17 Millionen Euro. Das ist ein tolles Ergebnis und geht auf verschiedene Maßnahmen zurück. Wir hatten eben auch drei super Trikots. Es ist derzeit noch zu früh zu prognostizieren, ob wir die Zahl in der Saison 24/25 noch einmal übertreffen können.
Welches der aktuellen HSV-Trikots würden Sie ihrem Sohn kaufen?
(Überlegt lange): Mir gefallen alle drei Stories hinter den Trikots. Die Geschichte des Auswärtstrikots mit dem Fischershirt und dem Shanty Chor hat schon richtig Spaß gemacht. Von daher: Shanty für Santi, das passt (lacht).