Hamburg. Nationalspieler leiden zunehmend unter dem immer engeren Terminkalender. Fifa und Uefa ignorieren die Mahnungen. Das wird Folgen haben.

Vor gerade mal vier Wochen hat David Raum dem Abendblatt bei der Nationalmannschaft ein großes Interview gegeben. Thema war der immer engere Terminkalender mit immer mehr Begegnungen für Spieler wie den Leipziger, der mit dem Club und der Nationalmannschaft in den vergangenen drei Jahren immer mindestens 46 Pflichtspiele pro Saison bestritten hat. Raum, der in seiner Profikarriere bis dahin noch nie verletzt war, sprach über sein persönliches Fitnessgeheimnis und erklärte, dass die Grenze der Belastbarkeit für ihn noch nicht überschritten sei und es für ihn auch keine Obergrenze gebe.

Vier Wochen später reiste der 26-Jährige am Montag verletzt von der Nationalmannschaft ab. Wegen einer Sprunggelenksverletzung muss Raum sogar operiert werden und fällt womöglich bis zum Jahresende aus. Ob ein Zusammenhang besteht zu den vielen Spielen und wenigen Pausen, die Raum auch durch die EM und den neuen Champions-League-Modus hat, ist Spekulation. Mehr als auffällig ist in dieser Woche aber, wie viele Nationalspieler mit unterschiedlichen Blessuren aus dem DFB-Quartier ab- oder gar nicht erst dorthin angereist sind. Es sind fast alles Spieler, die sowohl bei der Europameisterschaft als auch in der Champions oder der Europa League dabei waren und sind. Der Münchner Jamal Musiala hat Hüftprobleme, Arsenal-Stürmer Kai Havertz Knieschmerzen. Leipzigs Benjamin Henrichs musste wegen Rückenbeschwerden abreisen, genauso wie Frankfurts Robin Koch.

Es ist keine Überraschung, dass die Körper der Nationalspieler Signale senden, weil sie eine Pause brauchen. Dabei ist es gar nicht nur die nur die Trainings- oder Spielintensität, die den Sportlern zu schaffen macht. Eine Trainingseinheit pro Tag und zehn bis 13 Kilometern Laufleistung alle drei bis vier Tage sind im Vergleich zu anderen Sportarten nicht viel. Vielmehr aber sind es die kurzen Regenerationsphasen, gepaart mit vielen Reisen und Hotelübernachtungen mit möglicherweise schlechtem Schlaf, die zunehmend kumulieren. Deutschlands Jungstar Florian Wirtz macht am Freitag in Bosnien sein 47. Pflichtspiel in diesem Kalenderjahr. Der 21-Jährige, vor zwei Jahren schon mal mit einem Kreuzbandriss aus der Bahn geworfen, gilt laut FIFPro als gefährdet für Verletzungen. Die Interessenvertretung der Profifußballer spricht bei 40 Spielen pro Saison von einer hohen Belastung, ab 55 Spielen von übermäßiger Belastung. Viele Topfußballer der Topclubs übertreffen diese Marke Jahr für Jahr.

Jürgen Klopp spricht von „völligem Wahnsinn“

Jürgen Klopp, der sich im Mai nach neun Jahren beim FC Liverpool wegen seines Energieverlusts verabschiedete und sich künftig in einem neuen Job bei Red Bull entschleunigen kann, bezeichnete den Terminkalender der Fifa und der Uefa vor wenigen Wochen als „riesengroßes Problem“ und „völligen Wahnsinn“. Auch Topstars wie Kevin De Bruyne von Manchester City sprechen von „bevorstehenden Problemen“ insbesondere durch die neue Club-WM im kommenden Sommer mit 32 Mannschaften. Zwischen dem Finale des neuen Fifa-Wettbewerbs und dem Beginn der neuen Saison liegen nur drei Wochen.

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die Verlockung, zu unerlaubten Mitteln zu greifen, für viele Fußballer künftig noch größer werden wird. Doping war in den vergangenen Jahren im Weltfußball kaum mehr als ein Randthema, es könnte aber zum Alltag werden, wenn die Uefa und die Fifa das Rad nicht langsam zurückdrehen. Der Gebrauch von Schmerzmitteln ist schon jetzt ein Problem. Bosniens neuer Nationaltrainer Sergej Barbarez, der an diesem Freitag gegen Deutschland sein Heimdebüt gibt, erzählte vor wenigen Monaten im Abendblatt-Podcast, dass schon zu seiner Zeit als Spieler vor rund 20 Jahren tonnenweise Aspirin-Tabletten geschluckt wurden.

Ein Ausweg aus dieser Situation ist nicht in Sicht. In dieser Woche treffen sich die Vereinsvertreter bei der Generalversammlung der European Club Association (ECA), der Interessenvertretung der Clubs, um auch über dieses Thema zu debattieren. Fifa und Uefa aber dürfte diese Veranstaltung kaum tangieren. Vermutlich müssten die Spieler erst in den Streik treten, ehe die großen Verbände reagieren. Wie sagte Kevin De Bruyne zuletzt treffend? „Geld regiert die Welt.“ Die Fußballer profitieren davon zwar wirtschaftlich am meisten. Gesundheitlich aber sind sie die Leidtragenden.