Hamburg. Warum der Trainer in Köln geliebt wurde und es beim HSV zunächst schwer hatte. Der Zweitligastart ist auch ein Neustart für Baumgart.

Am Sonntagmittag sorgte Steffen Baumgart für einen Lacher. Der HSV-Trainer stand im Hauptquartier von Hauptsponsor HanseMerkur auf der Bühne und wurde bei einem Talk mit Pressesprecher Philipp Langer vor 400 HSV-Fans gefragt, ob der Zweitligaauftakt beim 1. FC Köln am kommenden Freitag (20.30 Uhr) etwas Besonderes für ihn sei. Baumgart beantwortete die Frage nach seinem wahrscheinlich emotionalsten Ereignis in diesem Jahr mit einem einzigen Wort: „Ja“.

Eine Anwort, die den HSV-Fans gefiel. Der Trainer sagte das in seiner typischen Art, mit der er in Köln zweieinhalb Jahre geliebt wurde. Und das vom ersten Tag an. Schroff, aber authentisch. Das passte zur Domstadt.

Passt Baumgart so gut zum HSV wie nach Köln?

Dass Baumgart genauso auch zum HSV und zu Hamburg passt, ist nach einem halben Jahr noch nicht ganz klar. Nun kehrt der Trainer am Freitag erstmals nach seinem Aus im vergangenen Dezember wieder nach Köln zurück. Für Baumgart ist eines der emotionalsten Spiele seiner Trainerlaufbahn, daraus macht der Coach kein Geheimnis.

Schon beim Betreten des Rhein-Energie-Stadions werden die Gefühle in ihm hochkommen. Es ist der Ort, in dem Baumgart zweieinhalb Jahre fast schon auf Händen getragen wurde. Baumgart war der 1. FC Köln und der 1. FC Köln war Baumgart.

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Im Rheinland bildete der heute 52-Jährige eine Symbiose mit den Fans, beim HSV hatte er dagegen Anlaufschwierigkeiten. Bis heute wirken die Anhänger in Hamburg gespalten, ob Baumgart nun der richtige Trainer für den Aufstieg ist oder eben nicht. Das Abendblatt hat sich auf eine Ursachenforschung begeben mit dem Ziel, die Gründe dieser Beobachtung zu ermitteln.

HSV: Wie Baumgart Köln wachküsste

Um zu verstehen, warum Baumgart in Köln phasenweise verehrt wurde, muss man in den Geschichtsbüchern bis zum Moment seiner Verpflichtung im Sommer 2021 zurückblättern. Als der damalige Sportchef Horst Heldt den aufstrebenden Trainer vom Zweitligisten SC Paderborn an den Rhein holte, bewegte sich der FC am sportlichen Abgrund.

Zwar hatte Trainer-Urgestein Friedhelm Funkel, der im Saisonendspurt eine von Markus Gisdol verunsichert zurückgelassene Mannschaft übernahm, gerade so die Katastrophe verhindert und die Relegation gegen Holstein Kiel (0:1, 5:1) gewonnen. Doch nach einer enttäuschenden Spielzeit und einem Fußball, mit dem die Zuschauer auf eine harte Probe gestellt wurden, machte sich im Umfeld Unzufriedenheit breit.

Weil Köln einen Sündenbock für diese Fehlentwicklung suchte, musste nach Gisdol auch Heldt gehen. Es war ein früher Schock für Baumgart, der noch gar nicht richtig angefangen hatte und schon seine Vertrauensperson verlor. Doch der Coach wusste diese ungewöhnliche Situation recht schnell für sich zu nutzen. Durch Heldts Abgang entstand ein Führungsvakuum, das Baumgart ausfüllte. Mit seinem von Beobachtern als „positiv verrückt“ beschriebenen Auftreten küsste er einen gesamten Verein wach und erweckte Köln wieder zum Leben.

Köln liebte Baumgart: Spur führt zum Karneval

Baumgart emotionalisierte Spieler und Fans mit seiner Ansprache, unterhielt die Öffentlichkeit mit lockeren Sprüchen und verkörperte eine Aufbruchstimmung. Weil es anfangs auch sportlich lief, erreichte der neue Mann schnell Kultstatus in Köln. „In so einer Stadt kann ich doch nicht Schnarchnasenfußball spielen“, sagte Baumgart in der „Süddeutschen“ über seinen Powerfußball, mit dem er gleich im ersten Jahr in die europäische Conference League einzieht.

Als er dann auch noch die Karnevalsmentalität der Rheinländer nicht nur adaptierte, sondern in Baumgartscher Art einen draufsetzte, hatte sich der Eindruck endgültig verfestigt. Begleitet von einem auf ihn persönlich umgedichteten Karnevalssong des Schlagersängers Lorenz Büffel („Der Baumgart Marsch – Made in Colonia“) erschien Baumgart am 11. November im „Schweinhorn“-Kostüm mit Sonnenbrille und blonder Perücke zum Training.

„Ich durfte das rosa Schwein wieder herausholen und da war noch ein Horn dran“, sagte Baumgart in seiner einfachen und zugleich unterhaltsamen Art. Der Trainer verstand schnell, dass vielen Kölnern ein kreatives Karnevalsoutfit wichtiger als ein Sieg gegen den FC Bayern ist. Er präsentierte sich volksnah und wusste, wie er Sympathiepunkte sammelt.

Vier Monate später verloren Baumgart und der 1. FC Köln 0:3 in Stuttgart. Weil Baumgart trotzdem sein Versprechen einlöste und sich beim Rosenmontagsumzug bestens gelaunt mit einer Geißbock-Strickmütze passend zum rot-weiß-roten Outfit präsentierte, wurde er von den Massen gefeiert. Der Trainer wird später sagen, „Pippi in den Augen“ gehabt zu haben. Keine Frage: Baumgart und Köln, das passte einfach.

Baumgart zeigt sich für Köln-Doku authentisch

Es gibt viele weitere Geschichten, die veranschaulichen, wie Baumgart mit der rheinländischen Mentalität harmonierte. So tanzte er ohne Hemmungen mit Clubikone Funkel auf einer Karnevalssitzung des 1. FC Köln im Maritim-Hotel. Und auch bei der vereinsinternen Doku 24/7 gewährte Baumgart den Kameraleuten Zugang zur bei Fußballern eigentlich heiligen Kabine.

Er zeigte keine Berührungsängste und ließ sich selbst bei seinen für Außenstehende zum Teil als wahnsinnig rüberkommenden Mannschaftsansprachen filmen, in denen er jeden einzelnen Spieler anschrie. Er ließ sich zu Hause in seiner Wohnung in Köln-Widdersdorf filmen, wie er gesperrt am Fernseher ein Spiel seiner Mannschaft verfolgte. Sein Hund Jory stieg dem schreienden Baumgart dabei auf die Schultern. Das Video ging viral.

Baumgart wurde auch beim HSV kurzzeitig gehypt

Bei den Fans kamen solche Bilder gut an. Doch irgendwann nutzte sich der Baumgart-Effekt ab. Es lief sportlich nicht mehr und der beliebte Trainer musste gehen, als der FC zur Winterpause auf einem Abstiegsplatz stand. Die Trennung im Dezember 2023 soll auch einige Spieler des 1. FC Köln mitgenommen haben. Die Mehrheit der Mannschaft pflegte eine enge Bindung zu ihrem Chef. Eine Beziehung, die Baumgart in Hamburg erst noch aufbauen muss.

Als der HSV den inzwischen 52-Jährigen im Februar 2024 verpflichtet, sind viele im Umfeld des Clubs felsenfest vom Aufstieg überzeugt. Anfangs wird der Trainer auch in Hamburg gehypt, seine traditionelle Schiebermütze sorgt für Rekordzahlen im Fanartikelverkauf. Es wirkt, als wollte jeder dabei sein, wenn Baumgart in Hamburg Geschichte schreibt und den Beginn einer Ära einleitet.

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Doch nachdem die Siege ausbleiben, ebbt die Euphorie schneller ab als eine Sturmflut am Fischmarkt. Plötzlich spürt der über Jahre als Kulttrainer angesehene Baumgart zum ersten Mal richtig Gegenwind, der im stürmischen Hamburg durchaus etwas rauer ausfallen kann. Der HSV-Coach zieht sich in den folgenden Wochen in der Öffentlichkeit immer mehr zurück, weil das Zusammenspiel mit Fans und Medien nicht so harmoniert, wie er es in Köln gewohnt war.

Nach dem verpassten Aufstieg ist kurzzeitig nicht klar, ob es für Baumgart weitergeht beim HSV. Doch der neue Sportvorstand Stefan Kuntz spricht dem Fußballehrer schnell das Vertrauen aus. Der Coach, der mitten in der Saison verpflichtet worden war, soll in Hamburg eine faire Chance bekommen, um seinen Fußball in der Vorbereitung einzustudieren. Seine erste Vorbereitung als HSV-Trainer wird dadurch eine Art Neustart – sowohl für die seit sechs Jahren auf den Aufstieg wartenden Hamburger als auch für ihn persönlich.

Baumgart bleibt sich, seiner Art und seinem Fußball in jedem Fall weiterhin treu. Bei einem Hüttenabend im Trainingslager in Österreich sang er vor der Mannschaft einen Schlagersong. Er schreit auch beim HSV im Training weiterhin seine Spieler so an, wie er es am liebsten macht. Und etwas mehr Worte als ein „Ja“ fand er dann auch beim Talk am Sonntag bei der HanseMerkur noch über seine Rückkehr nach Köln. „Köln ist einfach etwas Besonderes“, sagte Baumgart. Hamburg und der HSV sollen es nun bei seinem Neustart ebenso werden.