Hamburg. Warum der HSV Trainer Thioune freigestellt hat und wie Hrubesch seine Aufgabe angeht. Spekulation um Nachfolger Baumgart.
Am Montag überschlugen sich die Ereignisse beim HSV. Überpünktlich um 12.57 Uhr nahm Sportvorstand Jonas Boldt seinen Platz auf dem Podium des Presseraums in der 1. Etage des Volksparkstadions ein, um das nächste Trainer-Beben beim HSV zu erklären. Parallel ging der zu diesem Zeitpunkt bereits freigestellte Trainer Daniel Thioune in die Spielerkabine, um sich auf eigenen Wunsch von der Mannschaft zu verabschieden.
Ein stilvoller Abgang des einstigen Hoffnungsträgers, der sich nun in die lange Liste der gescheiterten Trainer in Hamburg einreiht. Sein Nachfolger wird der bisherige Nachwuchs-Chef Horst Hrubesch, der die verunsicherte Mannschaft für die letzten drei Saisonspiele der 2. Bundesliga stabilisieren soll, um die letzte Minimalchance auf den Aufstieg doch noch zu wahren.
Thioune ohne Führung beim HSV?
Letztlich habe laut Boldt ein schleichender Prozess zu dieser Entscheidung geführt, die der Vorstand einvernehmlich mit Sportdirektor Michael Mutzel traf. Bei Thioune habe zuletzt „eine klare Führung gefehlt", kritisierte Boldt.
Damit zieht der HSV die Konsequenzen aus der jüngsten Misserfolgsserie von fünf Spielen ohne Sieg. Es ist bereits der 18. Trainerwechsel in den vergangenen zehn Jahren beim HSV. Alleine in den vergangenen drei Jahren durften sich sechs verschiedene Übungsleiter in Hamburg ausprobieren – alle scheiterten. Hrubesch ist nun der siebte.
Boldt erklärt Thioune-Aus beim HSV
Um 13 Uhr erklärte Boldt seine Entscheidung auf einer Pressekonferenz. „Der Eindruck hat sich verfestigt, dass die Distanz zwischen Daniel Thioune und der Mannschaft zu groß geworden ist. Wir liefen Gefahr, die Saison auslaufen zu lassen und bei uns viel kaputtzumachen", sagte der Manager, der sich nun vorwerfen lassen muss, von seiner ausgegebenen Strategie Entwicklung abgekommen zu sein.
„Wir brechen den Weg nicht ab, wir gehen ihn weiter, leider eben mit einer Justierung auf einer wichtigen Position", entgegnete Boldt, der Thioune nach wie vor für einen „richtig guten Trainer" hält. „So schade es ist und so leid es uns tut, die Entscheidung ist alternativlos. Wir haben die vergangenen Tage festgestellt, dass die Dynamik schneller und dramatischer geworden ist. Es ist bedauerlich, dass es so gekommen ist. Wir sind alle enttäuscht."
Thioune-Aus nach Saisonende schon länger klar
Entwicklung und Ambition im Einklang zu halten sei nun die „große Herausforderung", sagte Boldt. „Ich habe nach wie vor die Geduld und kann verstehen, dass die Menschen da draußen einen typischen HSV-Mechanismus sehen. Es ging jetzt darum, nicht stur etwas durchzuziehen, nur um der Kontinuität wegen. Wir haben erkannt, dass es in die falsche Richtung geht."
Boldt kritisierte, Thioune sei in den vergangenen Wochen von seinem Weg abgekommen, weshalb eine Zukunft über die Saison hinaus aus seiner Sicht ohnehin nicht mehr vorstellbar war. „Die Grundentscheidung ist gereift, dass ein unbelasteter Start in die neue Saison gar nicht möglich ist", räumte der Manager ein. „Dass diese Entscheidung schon so klar war, sorgte dafür, dass wir es jetzt beenden mussten."
Denn Boldt deutete an, gespürt zu haben, dass Thioune seine Überzeugung aufgrund der negativen Ergebnisse verloren habe. „Man hat gemerkt, dass seine klare Führung auf der Strecke geblieben ist."
Wie Hrubesch die HSV-Aufgabe angeht
Am Freitag hatte Boldt dem Trainer am Tag nach dem enttäuschenden 1:1 gegen den Karlsruher SC noch den Rücken gestärkt. „Ich bin überzeugt, dass wir auf Strecke Erfolg haben, wenn wir die Ruhe bewahren“, sagte Boldt. Nun ist Thioune entlassen. Um 15 Uhr leitete Hrubesch sein erstes Training im Volkspark.
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Überzeugt werden musste das frühere Kopfballungeheuer nicht lange von seiner neuen Aufgabe. „Ich kenne viele Spieler und habe in dieser Saison neben einigen Trainingseinheiten mehrere Spiele als Teil der HSV-Delegation gesehen. Zunächst einmal geht es darum, die Köpfe der Spieler freizubekommen“, sagte Hrubesch auf hsv.de.
Der 70-Jährige sieht auch für die kurze Zeit seiner Tätigkeit noch viel Potenzial in der Mannschaft. Deshalb hat er schon einen klaren Plan, wie er die Aufgabe beim HSV angeht. „Zuletzt hat die Mannschaft leider oft unter Wert gespielt. Sie verfügt über eine andere Qualität, die wir jetzt in den verbleibenden Spielen auf den Platz bringen müssen. Ich werde viele Gespräche führen, reinhören und versuchen, ein paar Akzente zu setzen."
HSV: Folgt Baumgart auf Hrubesch im Sommer?
Hrubesch will vor allem an der fehlenden Leichtigkeit arbeiten, denn der HSV wirkte zuletzt nur noch verkrampft, als hätten die Spieler Angst vor dem Aufstieg. „Wir brauchen eine gute Mischung aus Lockerheit, Spaß und Zielstrebigkeit", sagte er. „Wir müssen alles daran setzen, den Mist, den wir verbockt haben, wieder geradezurücken. Dabei erwarte ich, dass unser gesamter Kader inklusive Trainer, Staff und Spieler alle Kräfte und alle Konzentration für die letzten drei Ligaspiele bündelt. Da nehme ich auch angeschlagene oder verletzte Spieler nicht aus."
Nach dem Saisonende wolle er ins zweite Glied zurückkehren – unabhängig vom Ausgang seiner Geschichte. „Ich bin nur für die letzten Spiele in dieser Saison Trainer. Danach kehre ich auf meinen Posten im Nachwuchsleistungszentrum zurück", sagte Hrubesch. Einer der Kandidaten, der dann übernehmen könnte, ist HSV-Fan Steffen Baumgart, der nach dieser Saison als Trainer des SC Paderborn aufhört und somit ablösefrei zu haben wäre. Gleichzeitig wird Thioune von der „Bild" als Baumgarts Nachfolger in Paderborn gehandelt.
Doch für etwaige Spekulationen ist es noch zu früh. Boldt wollte sich offiziell daher nicht zu dem Gerücht äußern. „Wir haben selbstverständlich noch keine Gespräche mit Kandidaten geführt", sagte er lediglich. Für Boldt und Mutzel stehen nun Sondierungsgespräche an, wie es im Sommer weitergehen soll. In jedem Fall steht der HSV vor dem x-ten Neuanfang in den vergangenen Jahren.
HSV: Thioune konnte Boldt nicht überzeugen
Zunächst einmal wurde die Mannschaft am Montagmorgen über den Trainerwechsel informiert. Die Führungsspieler wurden von Boldt persönlich angerufen. Bereits am Freitag hatten sich die Club-Verantwortlichen mit dem Mannschaftsrat ausgetauscht. Im Anschluss reifte bei Boldt und Mutzel der Eindruck, dass Thiounes Zeit beim HSV abgelaufen ist. Boldt deutete an, dass die Zweifel an Thioune bereits vor ziemlich genau einem Monat beim 3:3 in Hannover reiften, als der HSV eine 3:0-Führung verspielte.
Am Sonntagabend gab es schließlich das entscheidende Gespräch zwischen Boldt und Thioune. Darin konnte der Trainer wohl nicht mehr überzeugend vermitteln, dass er die Mannschaft noch erreicht. Nach Abendblatt-Informationen soll Thioune die Entscheidung seiner Beurlaubung sportlich aufgenommen haben. Gerüchte, der Coach hätte den Verantwortlichen seinen Rücktritt angeboten, weist der HSV auf Nachfrage vehement zurück. "Daniel ist ein Kämpfer, er ist der Letzte, der aufgeben würde", ergänzte Boldt offiziell.
HSV will mit Hrubesch noch aufsteigen
Fakt ist dagegen, dass parallel zur Entscheidungsfindung über Thiounes Aus am Wochenende bereits Gespräche mit Hrubesch stattfanden, wie die Club-Ikone mitteilte: „Irgendwann haben wir dann auch über Traineralternativen gesprochen." Boldt ergänzte: „Horst hat die Brisanz erkannt."
Thioune selbst soll bereits am Freitag erste Zweifel geäußert haben. Der 46-Jährige wirkte nach dem Rückschlag des KSC-Spiels, das er zuvor als „All-in-Spiel“ bezeichnet hatte, angeschlagen. „Er war natürlich angeschlagen nach dem Karlsruhe-Spiel, hat aber nicht proaktiv Signale gesendet, aufhören zu wollen", sagte Boldt über Thioune. „Ich habe ihm gesagt, dass er sich nicht emotional von dem Spiel leiten lassen darf."
Nun will der HSV mit Hrubesch die letzte Chance wahren, den rechnerisch noch möglichen Aufstieg doch noch zu schaffen. Möglicherweise über den Umweg Relegation. „Ich würde Horsts Engagement nicht nur auf drei Spiele begrenzen, sondern auf mögliche fünf", sagte Boldt. „Er kann es auf seine positive Art schaffen, nicht viel nachzudenken, sondern zu machen. Das ist das, was wir jetzt brauchen."
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Thioune wollte, dass Co-Trainer Polzin bleibt
Die beiden Co-Trainer Merlin Polzin und Hannes Drews werden ihre Aufgaben beim HSV auch nach dem Trainerwechsel fortführen. Beide Assistenten hatten bereits ein erstes Gespräch mit Hrubesch. Der Verbleib von Polzin kommt überraschend, da er als enger Vertrauter Thiounes gilt und mit ihm zusammen vor dieser Saison aus Osnabrück zum HSV gewechselt war.
Doch nach Abendblatt-Informationen hat sich auch Thioune dafür ausgesprochen, dass Polzin weitermachen soll. Der 30 Jahre alte gebürtige Hamburger genießt beim HSV eine hohe Wertschätzung. "Merlin hat sehr viel zu den Inhalten beigetragen, von denen ich überzeugt bin", sagte Boldt.
Thioune sollte beim HSV etwas entwickeln
Thioune hatte erst im vergangenen Sommer als Nachfolger von Dieter Hecking beim HSV übernommen. Als Ablöse überwiesen die Hanseaten rund 500.000 Euro an Liga-Rivale VfL Osnabrück. Mit dem 46-Jährigen und seiner variablen Spielweise sahen die Club-Verantwortlichen den optimalen Trainer für das vermeintlich neue Ziel Entwicklung.
Ex-Supporters-Chef Horn schimpft über Thioune-Aus:
Doch gerade die Entwicklung der Mannschaft war in der Rückrunde rückläufig. Mit nur zwei Siegen aus den jüngsten zwölf Zweitligaspielen belegen die Hamburger Platz elf der Rückrundentabelle. Auf dem Relegationsplatz steht der HSV (52 Punkte) wohl nur noch, weil Verfolger Holstein Kiel (50) drei Spiele weniger absolviert hat.
Letztlich scheint der Aufstieg im Volkspark trotz aller Bekenntnisse zu Thioune eine höhere Priorität zu genießen als der Faktor Entwicklung. Und so kam es am Ende wie so häufig beim HSV: Der Trainer wurde entlassen.