Hamburg. Boldt und Mutzel erklären, warum sie an Trainer Thioune festhalten. Was stattdessen die Gründe für die Krise sind.
Wie ernst die Lage beim HSV ist, erkennen aufmerksame Beobachter immer an der Anzahl der Medienvertreter, die am Tag nach einem Spiel im Volkspark aufdribbeln. Am Freitag, dem Tag nach dem enttäuschenden 1:1 gegen den Karlsruher SC und dem fünften sieglosen Spiel in Folge, waren es 14 an der Zahl – ausgerüstet mit genauso vielen Aufnahmegeräten sowie vier Kameras.
Es dauerte mehr als eine Stunde, bis auch der vom HSV angekündigte Michael Mutzel vor die längst aufgebauten Kameras trat, um die Situation des Clubs – verbunden mit dem drohenden Nicht-Aufstieg – zu analysieren. Diese turnusmäßige Frage-Antwort-Runde mit dem Sportdirektor ist längst zur Routine geworden. Doch diesmal war etwas anders, denn auch Sportvorstand Jonas Boldt schaute überraschenderweise vorbei.
Nachdem Mutzel über den „Genickbruch" gegen Karlsruhe (das Gegentor direkt nach Simon Teroddes Führungstreffer), die Stimmung in der Kabine („ein paar Häufchen Elend") und den besorgniserregenden mentalen Zustand der Mannschaft („Der Kopf spielt auf jeden Fall eine Rolle. Es ist zu viel Druck auf dem Kessel.") referiert und Trainer Daniel Thioune den Rücken gestärkt hatte, sprach auch Boldt zu den Medienvertretern – wenn auch nicht vor der Kamera, zum Ärger der anwesenden Fernsehteams.
Boldt beklagt fehlende Leistungskultur beim HSV
Wie gewohnt brauchte Boldt nicht lange, um warm zu werden. „Uns fehlt eine Leistungskultur und Mut, da gebe ich den Kritikern recht. Dieser Zustand ist auch über Jahre gewachsen", legte der Manager den Finger in die Wunde. „Deswegen haben wir uns bewusst im Sommer für den Schritt Entwicklung entschieden. Das fängt bei mir an, geht bei Michael (Mutzel), dem Trainer (Thioune) und der Mannschaft weiter und hört im Nachwuchs auf."
„Nur so", davon ist Boldt überzeugt, „bekommt man eine Kulturveränderung in den Club und nur so kann man es schaffen."
Das mit dem Schaffen ist jedoch so eine Sache. Den Aufstieg wird der HSV in dieser Saison wohl erneut nicht schaffen. Ein immer realer werdender Zustand, der Boldt aber nicht von seinem Weg abbringt. „Diese Kulturveränderung kann nicht von heute auf morgen vonstatten gezogen werden, das ist vollkommen klar."
HSV und das Problem mit den Führungsspielern
Tatsächlich setzte der HSV im vergangenen Sommer nicht nur auf den Faktor Entwicklung und Trainer Thioune, sondern auch auf neue sogenannte Säulenspieler, die der Mannschaft zu mehr Stabilität im Endspurt verhelfen sollten. Doch spätestens drei Spieltage vor dem Saisonende und nach nur zwei Punkten in der Woche der Wahrheit gegen Sandhausen (1:2), Regensburg (1:1) und eben Karlsruhe ist klar: Der HSV bricht erneut in der wichtigsten Phase der Saison ein.
Ist der Plan, auf die neu verpflichteten Führungsspieler wie Sven Ulreich (32), Klaus Gjasula (31), Toni Leistner (30) und Simon Terodde (33) zu setzen, schon wieder gescheitert? "Nein", sagt Boldt. „Man muss alles kritisch hinterfragen. Das ist mir aber zu einfach. Natürlich haben wir Spieler geholt, die stabilisieren sollen und müssen. Ich finde, das haben sie auch zum Großteil der Saison getan. Gegen Karlsruhe haben alle Spieler, die auf dem Platz waren – egal ob jung oder alt – nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben."
Deshalb kommt der Sportvorstand zu dem Urteil: „Die Säulen, die wir als solche definiert haben, haben ihre Arbeit getan. Am Ende stehen sie aber nicht alleine auf dem Platz. Jeder hat seine Möglichkeit, sich an ihnen zu orientieren und sich in ein Spiel hineinzukämpfen. Das haben wir schon besser hinbekommen in dieser Saison. Momentan funktioniert die Mannschaft nicht so wie in der Hinrunde."
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Boldt hält an HSV-Coach Thioune fest
An den Führungsspielern liegt es nach Ansicht von Jonas Boldt also genauso wenig wie am Trainer, dem der Manager weiterhin den Rücken stärkt. „Wir haben mit dem Trainer eine sehr, sehr gute Hinrunde gespielt", erinnert sich Boldt. „Die Leistungen der vergangenen Wochen waren nicht das, was wir abrufen können. Ob das immer nur am Trainer liegt oder ob ein Wechsel auf dieser Position die Kultur beim HSV verbessern würde, wage ich zu bezweifeln."
Eine Einschätzung, die Mutzel teilt. „Es ist einfach, in so einer Phase mit dem Finger auf den Trainer zu zeigen. Das ist normal, wir wollen es aber nicht machen", stellt sich der Sportdirektor schützend vor seinen Trainer. „Wir haben die ganze Saison als Gruppe zusammengehalten und nicht einzelne in die Ecke gestellt. So halten wir es auch weiter."
HSV weiter mit Boldt, Thioune und Mutzel
Mutzel und Boldt sind weiterhin überzeugt von Daniel Thioune, der öffentlich zunehmend in die Schusslinie gerät. Wohl wissend, dass sich der Aufsichtsrat vor der Saison mit der Club-Führung darauf verständigt hat, auch bei einem erneut verpassten Aufstieg mit dem Trio Boldt, Mutzel und Thioune weiterarbeiten zu wollen.
„Wir haben bewusst gesagt, einen Weg gemeinsam zu gehen. Dieser Weg ist nicht, dass alles in sich zusammenfällt, wenn wir nicht aufsteigen", stellt Boldt klar. „Es liegt natürlich im Anspruch unseres Naturells, dass wir die Spiele gewinnen und am Ende in der Tabelle oben stehen wollen. Wir müssen trotzdem einkalkulieren, dass im Sport nicht immer alles garantierbar ist."
War's das mit dem Aufstieg, HSV?
Angesichts von fünf Punkten Rückstand auf den Tabellen-Zweiten Greuther Fürth und nur noch zwei Punkten Vorsprung auf den Vierten Holstein Kiel, das jedoch drei Spiele weniger absolviert hat, weiß der HSV, dass er wohl so etwas wie ein Fußball-Wunder bräuchte, um doch noch aufzusteigen.
Daniel Thioune sagte bereits unmittelbar nach dem Karlsruhe-Spiel, dass es keinen Sinn mehr habe, über Platzierungen oder Konkurrenten zu reden, wenn man keine Spiele mehr gewinne. Und auch Torhüter Sven Ulreich räumte ein, dass er sich Sorgen um den Aufstieg mache. Ähnlich bewerten auch die Manager Boldt und Mutzel die Situation.
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„Wir müssen am Montag die Köpfe wieder freikriegen und auf Angriff schalten", sagte Mutzel in die Kameras. „Daniel hat es ganz gut gesagt: Vielleicht kommt jetzt wirklich so eine 'Leck mich am Arsch'-Einstellung ins Team, wodurch wir lockerer werden und es wieder schaffen, Spiele zu gewinnen."
Denn ohne Spiele zu gewinnen, braucht der HSV tatsächlich weder über den Aufstieg noch über eine Entwicklung innerhalb des Clubs zu reden.