Hamburg. Finanznot, fehlende Stützen im Team und ein Machtvakuum – ein Club schafft sich ab. Das sind die verschiedenen Problemfelder des HSV.
Die ganze Welt spricht ja über nichts anders als übers Impfen. Wie schön wäre es, gäbe es ein Vakzin, das den HSV gegen das jedes Jahr aggressiv auftretende Misserfolgsvirus schützen würde, das unter anderem zu Nervenflattern in der „crunch time“, also in einer entscheidenden Phase, führt.
Doch um solch einen Impfstoff zu entwickeln, müssten wohl die klügsten Köpfe weltweit intensiv forschen, denn dies heimtückische Virus agiert unsichtbar, mutiert von Saison zu Saison und befällt auch scheinbar immune Protagonisten wie Simon Terodde.
HSV: Aufstiegswahrscheinlichkeit sinkt rapide
Wechseln wir von der Illusion zu den Fakten: Dass der HSV zum dritten Mal die Rückkehr in die Fußball-Bundesliga verpasst hat, lässt Fans und Beobachter fassungslos zurück. Niemand kann mir erzählen, dass die Mannschaft im Vergleich zur Konkurrenz nicht die nötige Qualität gehabt hätte für den Aufstieg.
Das erneute Scheitern ist insofern extrem bitter, weil die Wahrscheinlichkeit, in der kommenden Saison einen Aufstiegsplatz zu erreichen, noch einmal rapide sinkt. Angesichts sich zuspitzender finanzieller Lage nimmt der Gestaltungsspielraum für den Kader weiter ab.
HSV: Spieleretat muss kräftig reduziert werden
Noch sind die Zahlen nicht publik, aber intern geht man von einem neuen Rekordminus aus, bedingt natürlich durch die Ausfälle bei den Ticketeinnahmen. Dem Vernehmen nach wird die Bilanz des laufenden Geschäftsjahres noch positives Eigenkapital ausweisen, doch sonderlich viel ist nicht mehr übriggeblieben.
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Der Etat für die Profis wird für die Saison 2021/21 deshalb noch einmal kräftig sinken müssen, auf rund 20 Millionen Euro. Inwieweit die Clubführung in die Mannschaft investieren kann, hängt wesentlich davon ab, wie viel Geld ein Transfer von U-21-Nationalspieler Josha Vagnoman in die Kassen spült. Aber mehr als fünf Millionen Euro dürften unrealistisch sein.
HSV hätte allerhand Verkaufskandidaten
Dabei bräuchte der Kader eine Auffrischung. Nach Bobby Wood (endlich ist er weg) verlassen auch Terodde und Aaron Hunt die Hamburger. Und es gäbe weitere Verkaufskandidaten: Klaus Gjasula, als Mentalitätsspieler geholt, konnte seine Rolle nicht ausfüllen. Sven Ulreich entwickelte sich im Tor zum Unsicherheitsfaktor.
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Weder der oft verletzte Jeremy Dudziak noch David Kinsombi konnten ihr Potenzial abrufen. Sie alle werden aber wohl bleiben. Wenigstens der flehende Appell sei gestattet: Bitte, Herr Boldt, ermögliche es dem seit 2014 für den HSV kickenden Gideon Jung, woanders sein Glück zu finden.
Schalke, Köln und Werder "bedrohen" den HSV
So oder so benötigt der HSV schon wieder „Säulenspieler“, die einer Mannschaft Struktur geben, vor allem im zentralen Mittelfeld und im Angriff. Angesichts der begrenzten Mittel wird es aber eher zu einem „Umbruch light“ kommen. Sich gegen prominente Absteiger wie Schalke und womöglich noch Bremen und Köln (wenn der Erstligist die Relegation verliert) durchzusetzen, wäre eine Mega-Überraschung.
Im Gegenteil: Die Entwicklung stimmt selbst Optimisten skeptisch. Sollte der Club mit seinen Neuzugängen danebenliegen, könnte es in der mit Traditionsclubs gespickten Liga schnell weiter nach unten gehen. Siehe Hannover oder Nürnberg.
HSV sollte Wissenschaftler zu Rate ziehen
Passend dazu leistet sich der Club auch noch ein Machtvakuum. Das neue Präsidium des HSV e.V., größter Anteilseigner der AG, kann frühestens im Juli gewählt werden. Der Aufsichtsrat steht vor einer Umstrukturierung, der Vorstand ist mit nur zwei Personen unterbesetzt.
Und, fast vergessen, ein neuer Trainer wird ja auch gesucht. Konstanz bleibt beim wichtigsten Posten eines Fußballclubs ein Fremdwort. Auch wenn es aussichtslos scheint: Vielleicht wäre das Hinzuziehen von Wissenschaftlern doch keine so schlechte Idee.