Hamburg. 200 Tage lang hat Nachwuchschef Horst Hrubesch den HSV intensiv unter die Lupe genommen. Bald soll es Veränderungen geben.
Wenn Horst Hrubesch aus dem Fenster schaut, dann sieht er die Zukunft. Seit dem 3. August des vergangenen Jahres sitzt der 69-Jährige als neuer Nachwuchsdirektor des HSV im ersten Stock des Campus und hat aus seinem Eckbüro den perfekten Ausblick auf Trainingsplatz Nummer eins, wo im Normalfall die U19 und die U17 des HSV trainieren. „Für mich ist jeden Tag Zukunft“, sagt die frühere DFB-Allzweckwaffe, die nach einem guten halben Jahr beim HSV noch immer „jeden Tag mit einem Lächeln zur Arbeit kommt.“
Auch am Montag hat Hrubesch beste Laune, als er nach seinen ersten sechs Monaten im Volkspark, in denen „ich den ganzen Laden erst einmal kennen lernen musste“, ein paar Meter aus dem Campus ins Volksparkstadion gelaufen ist und sich in einer digitalen Pressekonferenz erstmals den Fragen der Medienvertreter stellt. „Ich glaube, dass du kontinuierlich die Arbeit vorantreiben und dich immer wieder hinterfragen musst“, sagt Hrubesch.
Auf den Tag vor 200 Tagen war es, als der HSV zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Großes zu vermelden hatte. „Legende Hrubesch zurück – Der größte HSV-Coup des Sommers“, titelte die „Bild“-Zeitung am 31. Juli, kurz nachdem Hrubesch nach 37 Jahren HSV-Abstinenz wieder bei seinem Herzensverein unterschrieb. „Die Verbindung zum HSV war immer da“, sagt Hrubesch nun am Rosenmontag, gibt aber auch zu, dass er in der Vergangenheit „zwei oder drei Anfragen“ abgesagt hatte. „Da waren nicht immer die richtigen Leute am Werk.“
Hrubesch: HSV ist ein Ausbildungsverein
Im vergangenen Sommer war das anders. Da habe ihn Sportvorstand Jonas Boldt mehrfach zu Gesprächen getroffen, ehe er sich dann doch zum einen für eine Rückkehr und zum anderen für eine neue HSV-Ausrichtung entschied. „Wir sind jetzt ein Ausbildungsverein“, sagt Hrubesch. „Junge Spieler selbst auszubilden, macht am meisten Spaß und auch am meisten Sinn. Der HSV wird ganz einfach nicht mehr in der Lage sein, nur noch Top-Spieler zu kaufen.“
Am Montag schafft Hrubesch das Kunststück, viel über „den neuen Weg des HSV“ zu reden, ohne wirklich allzu viel zu sagen. „Bei mir gab es nie eine Ich-AG. Es geht immer um eine Wir-AG“, sagt Hrubesch, der eine knappe Stunde die neue HSV-Philosophie skizziert, ohne dabei in die Tiefe zu gehen.
Hrubeschs Zurückhaltung hat einen Grund. Nach der selbstverordneten Beobachtungsphase will der frühere HSV-Stürmerstar erst im kommenden Sommer Nägel mit Köpfen machen. Erst dann soll und will „der Lange“ präsentieren, wie er den Nachwuchsbereich personell und strukturell verändern will. Die einzige Personalie, die er bislang verkünden musste: Hrubesch beförderte Pit Reimers im vergangenen Sommer zum neuen Cheftrainer der U21, nachdem Hannes Drews als sogenannter Verbindungscoach zwischen Profis und Nachwuchsbereich in den Stab von Cheftrainer Daniel Thioune gewechselt war.
HSV-Talente: Drei Jahre denselben Trainer
Eine inhaltliche Entscheidung, die intern bislang noch nicht kommuniziert wurde, deutet Hrubesch aber am Montag bereits an: Zukünftig sollen Talente drei Jahre lang vom selben Trainerteam begleitet werden. Das Ziel dabei: Weniger Wechsel, mehr Kontinuität.
„Im Campus hängen viele Bilder an der Wand von Spielern, die es geschafft haben“, sagt Hrubesch. „Was mich aber immer gestört hat: Warum sind die Spieler auf diesen Bildern nicht mehr beim HSV?“ Maxim Choupo-Moting spielt heute bei den Bayern, Jonathan Tah in Leverkusen, Heung-Min Son bei Tottenham. „Da müssen wir uns verändern. Wir müssen diese Spieler wie Ambrosius halten, wir müssen sie besser machen.“
So steht es um die HSV-Talente
Und tatsächlich sind die Voraussetzungen gar nicht mal so schlecht. Im aktuellen Profikader sind mit Stephan Ambrosius und Josha Vagnoman zwei Eigengewächse dabei, die sich als Stammspieler fühlen dürfen. Auch Bakery Jatta, Tom Mickel und Gideon Jung haben ihren Weg über die U21 zu den Profis gefunden. Immerhin im erweiterten Profikader sind oder waren Jonas David, Ogechika Heil, Robin Meißner, Bryan Hein, Jonah Fabisch und Moritz-Broni Kwarteng.
Zudem gibt es mit Anssi Suhonen, Péter Beke, Gentrit Limani (alle U21), Bent Andresen, Valon Zumberi, Juho Kilo (alle U19), Finn Böhmker (U17) sowie Joel Agyekum und Leonardo Garcia Posadas (beide U16) neun HSV-Nachwuchs-Nationalspieler, wobei der finnische Mittelfeldmann Suhonen (20) als größtes Talent gilt. Nach seinem Kreuzbandriss hat der Skandinavier am vergangenen Mittwoch erstmals wieder Teile des Mannschaftstrainings der U21 mitgemacht. „Wenn ich diesen Kids beim Training zuschaue, dann bin ich zufrieden“, sagt Hrubesch.
Der U-21-Europameister-Trainer von 2009 schaut so oft er kann beim Training der Nachwuchsmannschaften zu – und schnappt sich auch immer wieder den einen oder anderen Spieler zum Einzelgespräch. „Er ist eine Art Frischzellenkur für den Nachwuchsbereich“, sagt einer, der Hrubesch in den vergangenen sechs Monaten eng begleitet hat.
Hat Hrubesch gar nicht St. Pauli geärgert?
Dass mit Hrubeschs großem Namen auch große Erwartungen verknüpft sind, wurde sehr deutlich, als das 16 Jahre alte Sturmtalent Tom Sanne vor Kurzem vom FC St. Pauli zum HSV wechselte. Vier Gespräche führten die Verantwortlichen des HSV mit dem Youngster, lediglich bei einem war auch Hrubesch selbst dabei. Trotzdem hieß es nach der Einigung in der „Bild“-Zeitung: „Sein erster Coup – Hrubesch ärgert St. Pauli.“
Hrubesch kennt das Geschäft – und kann damit leben. „Ich bin gerne bereit, alles zu tun“, sagt er, gibt aber zu bedenken, dass es langfristig auch ohne ihn beim HSV laufen muss. „Es muss eine Geschichte sein, die nach mir weitergeht.“ Noch gut zwei Jahre wolle er an vorderster Front für die Zukunft des HSV kämpfen, ehe er mit 72 Jahren dann doch auf seine Rente schielen will.
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Zukunftsmusik – im wahrsten Sinne des Wortes. Im Hier und Jetzt macht sich „Onkel Hotte“ nicht nur um den HSV, sondern auch um den deutschen Nachwuchs so seine Gedanken. Der DFB sollte ein neues Talentförderungsprogramm aufsetzen – und dieses konsequent umsetzen. „Was mich ärgert, ist, dass wir immer erst dann damit anfangen, wenn wir merken, dass es nicht mehr geht“, sagt Hrubesch. „Wenn du Weltmeister wirst, dann musst du mehr tun. Die meisten Fehler machst du nun mal, wenn du oben angekommen bist.“
Den HSV hat Hrubesch einst verlassen, als er ganz oben angekommen war. 1983, Meister und Europapokalsieger der Landesmeister. Lang ist’s her. Knapp vier Jahrzehnte später ist der HSV auf seinem Tiefpunkt angekommen: drei Jahre in Folge Zweite Liga. Doch Hrubesch wäre nicht Hrubesch, wenn er nicht trotzdem an eine große HSV-Zukunft denken würde. Auch, wenn er dafür einen Ausflug in die Vergangenheit machen muss. Am Sonntag sei er im HSV-Museum gewesen.
„Da stand dieser große Pokal, den wir einst gewonnen haben und den nun auch die Bayern wieder gewonnen haben.“ Kurze Pause. Und dann ganz im Ernst: „Den können wir gerne auch irgendwann wieder holen.“