Hamburg. Im Fall Jatta geht die größte Fanorganisation des HSV hart mit der Behörde ins Gericht. Unterstützung erfährt der Leidtragende.

Auch am Tag nach der weitreichenden Entscheidung des Amtsgerichts Altona, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Bakery Jatta abzulehnen, war der HSV-Spieler in aller Munde. Am Vormittag verbreiteten die HSV-Supporters über ihre Social-Media-Kanäle ein deutliches Statement über die Causa Jatta.

Die größte Dachorganisation der HSV-Fans, die 66.489 Mitglieder vertritt, reagierte wohlwollend auf die Entscheidung von Amtsrichter Stegmann und hofft, dass „nun endlich Ruhe in diese Angelegenheit eingekehrt ist!“

Ein berechtigter Wunsch, denn die Staatsanwaltschaft Hamburg hat bereits angekündigt, einen Verfahrensfehler beim Gericht zu sehen, weshalb der Beschluss im Fall Bakery Jatta aus Sicht der Behörde nicht rechtskräftig sei. Ein Vorwurf, der die Supporters „fassungslos“ macht. „Dafür fehlt uns und vielen Juristen jedes Verständnis“, schreibt die Fanorganisation um den Vorsitzenden Sven Freese und holt zur Retourkutsche aus.

Bakery Jatta: HSV-Supporters attackieren Staatsanwaltschaft

„Wie sehr sich die Verantwortlichen am Gorch-Fock-Wall in diesen ,Fall' verbissen haben, lässt Rückschlüsse auf den Hintergrund der Ermittlungen zu: Es ging im Kern nie um die Aufklärung eines vermeintlichen Delikts“, heißt es in dem Statement. „Was wir seit Jahren erleben und worunter Bakery seit Jahren leidet, ist vielmehr eine regelrechte Hetzjagd. Befeuert von rassistischen Ressentiments und der Kampagne einer Boulevard-Zeitung („Bild“, d. Red.) hat sich die Staatsanwaltschaft in mehrjährige, kostenaufwendige und unverhältnismäßige Ermittlungen verrannt, als ob es sonst nichts zu tun gäbe in Hamburg.“

Ein Vorwurf, der auch von Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft in ähnlicher Form geäußert wurde. Bei den Supporters heißt es:: „Selbst der deutliche Tadel des zuständigen Richters scheint sie nicht aufzuhalten.“ Zur Erinnerung: Amtsrichter Stegmann hat die von der Staatsanwaltschaft vorgelegte Beweislage deutlich kritisiert. Die Behörde sei „jeglichen gerichtsverwertbaren Nachweis“, dass es sich bei Bakery Jatta um den vermeintlich zweieinhalb Jahre älteren Bakary Daffeh handeln soll, „schuldig geblieben“.

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Bakery Jatta: HSV-Supporters mit klarer Forderung

Nach dieser schallenden Ohrfeige fragen sich nun die Supporters, „warum die Staatsanwaltschaft die Lächerlichkeit ihres eigenen Handelns nicht erkennt“.

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Deshalb fordert die Fanorganisation „in aller Deutlichkeit: Legt diesen ,Fall' dorthin, wo er schon lange hingehört – zu den Akten.“

 Zum Abschluss ihres Statements richtet der HSV Supporters Club noch ein paar warme Worte an denjenigen, der am meisten unter den quälend langen Ermittlungen zu leiden hatte: Bakery Jatta. „Du bist nicht allein, Bakery – wir stehen hinter dir. Du bist für immer einer von uns!“

Die Chronologie im Fall Bakery Jatta

  • 7. August 2019: Die „Sport Bild“ fragt auf ihrem Titel: „Spielt HSV-Star Jatta mit falscher Identität?“ Der Verdacht: Er heißt in Wahrheit Bakary Daffeh und ist am 6. November 1995 geboren – und nicht am 6. Juni 1998. Der 1. FC Nürnberg legt noch am gleichen Tag Einspruch gegen das 0:4 ein. 8. August 2019: „Bild“ titelt: „Jatta drohen 5 Jahre Haft und die Abschiebung“. 13. August 2019: Das Bezirksamt Hamburg-Mitte bittet Jatta bis zum 23. August um eine Stellungnahme. 15. August 2019: Jatta fliegt mit den HSV-Chefs nach Frankfurt, wo er beim DFB vorsprechen muss. 19. August: 2019: Nach Nürnberg unternimmt auch Bochum juristische Schritte.  25. August: In Karlsruhe wird Jatta ausgepfiffen und rassistisch beleidigt. Auch der KSC legt Einspruch ein.
  • 30. August 2019: Jattas Anwalt Thomas Bliwier (hatte eine Fristverlängerung beantragt) reicht beim Bezirksamt Unterlagen ein, die die Identität Jattas beweisen sollen: einen gültigen Reisepass sowie eine von gambischen Behörden beglaubigte Geburtsurkunde und die eidesstattliche Versicherung eines zuständigen Beamten. 
  • 2. September 2019: Die Ermittlungen des Bezirksamts gegen Jatta werden eingestellt. Daraufhin ziehen die drei Zweitligaclubs ihre Einsprüche zurück.
  • 20. September 2019: „Bild“ berichtet, dass sich Jatta mit einer Daffeh-E-Mail-Adresse 2015 bei den Behörden angemeldet habe.  17. Oktober 2019: Die Bremer Staatsanwaltschaft schließt die Akte Jatta.
  • 8. Januar 2020: Die Staatsanwaltschaft Hamburg eröffnet – was erst später bekannt wird – ein Ermittlungsverfahren, nachdem es einen anonymen Brief der „Gemeinschaft Besorgter Bürger“ mit einer Strafanzeige gegen den HSV, den damaligen Trainer Dieter Hecking und den DFB gegeben hatte. Im Zuge der anschließenden Ermittlungen fallen den Behörden Kontakte Jattas zu Fußballern aus dem Senegal, Gambia und Nigeria auf, die früher auch mit Daffeh in Verbindung gestanden haben sollen. 20. Februar 2020: Jatta äußert sich im Vereinsmagazin „HSV live“ zu den Vorwürfen: „Ich wurde öffentlich an den Pranger gestellt. Aber wofür? Was hatte ich verbrochen? Ich habe mich gefühlt, als wollte man mich wegsperren, mich ins Gefängnis stecken.“ Und: „Zu Hause ist da, wo man Frieden findet. Und ich habe hier meinen Frieden gefunden.“
  • 2. Juli 2020: Unliebsamer Besuch für Jatta in seiner Wohnung: Die Staatsanwaltschaft führt eine Hausdurchsuchung durch. Ihm wird der „Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz“ vorgeworfen. Mehrere elektronische Datenträger Jattas wie ein Handy und ein Laptop werden sichergestellt.
  • 10. Juli 2020: HSV-Ultras vom Fanprojekt „Nordtribüne Hamburg“ fordern ein Ende der Ermittlungen und „die Rück­gabe aller beschlagnahmten Geräte“.
  • 27. Juli 2020: Bliwier bezeichnet die Vorwürfe als „zu Unrecht erhoben“ und erwartet die Einstellung des Verfahrens.
  • 7. Mai 2021: Die Uni Freiburg veröffentlicht ein von der Hamburger Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass Jatta und Daffeh mit hoher Wahrscheinlichkeit dieselbe Person seien.
  • 11. August 2021: Bliwier fordert die Behörden auf, endlich auch in Gambia zu ermitteln, wenn man denn weiterhin Verdacht gegen seinen Mandanten hege.
  • 6. Dezember 2021: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Jatta.
  • 8. März 2022: Das Amtsgericht Hamburg-Altona lehnt die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Damit gilt Jatta offiziell als unschuldig.
  • 14. März 2022: Die Staatsanwaltschaft legt Beschwerde gegen den richterlichen Beschluss ein.
  • 6. April 2022: Das Amtsgericht lehnt ein Befangenheitsgesuch der Staatsanwaltschaft gegen Richter Volker Stegmann ab.
  • 8. Juli 2022: Das Hamburger Landgericht lehnt die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ab. Zu einem Verfahren in der Identitätsdebatte wird es somit nicht kommen. Weitere Rechtsmittel sind ausgeschlossen. Jatta ist Jatta.