Hamburg. Alle Fraktionen der Hamburgischen Bürgerschaft geben ein Statement zur Causa Jatta ab. Die Staatsanwaltschaft steht am Pranger.
Der Fall Bakery Jatta beschäftigt auch die Hamburger Politik. Nachdem das Amtsgericht Altona eine Hauptverhandlung gegen den HSV-Profi abgelehnt und gleichzeitig die vorgelegten Beweise der Staatsanwaltschaft Hamburg scharf kritisiert hatte, richtet sich nun der politische Blick in Richtung der Behörde, die in der Identitätsdebatte als großer Verlierer dasteht.
Das Abendblatt hat alle Fraktionen der Hamburgischen Bürgerschaft sowie die fraktionslose ehemalige FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels-Frowein um eine Reaktion im Fall Jatta gebeten. Das sind die Ergebnisse.
Bakery Jatta: Grüne sehen „Hetzjagd“
„Die Hetzjagd auf den Menschen, Sportler und Hamburger Bakery Jatta muss endlich aufhören“, sagt Maryam Blumenthal, sportpolitische Sprecherin und Vorsitzende der Grünen. Ihr Statement lässt insofern aufhorchen, da ihre Fraktion mit Anna Gallina die Justizsenatorin stellt. „Bakery Jatta wurde jahrelang zu Unrecht an den Pranger gestellt, provoziert durch eine unsachliche Berichterstattung und Vorwürfe, die nie eine Grundlage hatten. Es ist schlichtweg beschämend, mit welchen rassistischen Ressentiments viel zu lange argumentiert wurde“, kritisiert Blumenthal die quälend langen Ermittlungen der Behörde.
In Bezug auf die Ankündigung der Staatsanwaltschaft, wegen eines möglichen Verfahrensfehlers einen Widerspruch zu prüfen, fordert Blumenthal, die Entscheidung des Gerichtes „umfassend zu respektieren, damit der Sport für den Spieler und den HSV endlich wieder im Mittelpunkt stehen kann“.
Auch der Regierungspartner, die SPD Hamburg, legt den Finger in die Wunde der von Amtsrichter Volker Stegmann kritisierten Staatsanwaltschaft. „Wenn man weiß, dass über 99 Prozent der Zwischenverfahren mit der Eröffnung des Hauptverfahrens enden, dann sollte die Staatsanwaltschaft schon einmal kritisch hinterfragen, ob ihre Ermittlungstätigkeit hier ausreichend Anlass zur Fertigung einer Anklageschrift mit all den belastenden Folgewirkungen für den Betroffenen gegeben hat“, sagt Urs Tabbert, justizpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion.
Bakery Jatta: CDU fordert Reform der Staatsanwaltschaft
Die CDU Hamburg hebt die überzeugende Begründung des Gerichts sowie die funktionierende Gewaltenteilung hervor, kritisiert aber zugleich die personelle Aufstellung der Staatsanwaltschaft und fordert eine Reform. „Der Fall ist auch Beleg für eine Überlastung unserer Staatsanwaltschaft. Die Verfahren in Hamburg dauern einfach zu lange. Dies liegt auch daran, dass die Mitarbeiter unserer Staatsanwaltschaften in Hamburg einfach zu viel zu tun haben. Wir müssen hier dringend umdenken“, sagt Richard Seelmaecker, justizpolitischer Sprecher seiner Fraktion.
Und weiter: „Gute Justiz kostet Geld und gerade auch unsere Staatsanwälte verdienen hohe Anerkennung für Ihre Arbeit und unsere Wertschätzung. Überlange Verfahrensdauern sind außerdem weder den Beschuldigten noch den Staatsanwälten zumutbar.“
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Bakery Jatta: Staatsanwaltschaft und „Bild“ am Pranger
Die Linke zweifelt derweil an der Rechtsstaatlichkeit der Staatsanwaltschaft. „Das ganze Verfahren gegen Bakery Jatta ist skandalös. Der Verfolgungseifer der Staatsanwaltschaft lässt schwere Zweifel an deren Motiven und an der Rechtsstaatlichkeit aufkommen und die Durchstechereien von Informationen an die ,Bild'-Zeitung haben ihre Integrität ernstlich infrage gestellt“, verurteilt Cansu Özdemir, justizpolitische Sprecherin ihrer Fraktion.
Wie schon Grünen-Politikerin Blumenthal spricht auch Özdemir von einer „Hexenjagd“ und fordert Konsequenzen. „Wir können nur hoffen, dass die Hamburger Staatsanwaltschaft nun endlich akzeptiert: Bakery Jatta ist Bakery Jatta! Wir fordern zudem die Aufklärung, wie es zu dieser desaströsen Verfolgungsjagd auf dem Rücken von Bakery Jatta kommen konnte.“
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Bakery Jatta: Nur die AfD schert aus
In eine ganz andere Richtung fällt die Bewertung der AfD Hamburg aus. Als einzige Fraktion hofft sie, dass die seit zweieinhalb Jahren andauernde Diskussion um die Identität von Bakery Jatta durch einen Widerspruch der Staatsanwaltschaft erneut in die Verlängerung geht. „Es spricht nach wie vor vieles dafür, dass er mit seiner Identität getrickst hat. Schließlich ist Daffeh seit Jahren wie vom Erdboden verschluckt. Er sollte spätestens jetzt alle Karten auf den Tisch legen – die Wahrheit muss ans Licht kommen. Die Staatsanwaltschaft sollte das Einlegen einer Beschwerde gegen die Gerichtsentscheidung prüfen“, sagt Fraktionschef Dirk Nockemann.
Von Treuenfels-Frowein sagt als Vertreterin der FDP Hamburg dagegen, es sei „nicht ungewöhnlich, dass die unterschiedlichen Organe der Justiz auch unterschiedliche Bewertungen vornehmen. Ihr Schlusswort: „Den Betroffenen ist zu wünschen, das die Causa nun bald ein definitives Ende findet.“
Die Chronologie im Fall Bakery Jatta
- 7. August 2019: Die „Sport Bild“ fragt auf ihrem Titel: „Spielt HSV-Star Jatta mit falscher Identität?“ Der Verdacht: Er heißt in Wahrheit Bakary Daffeh und ist am 6. November 1995 geboren – und nicht am 6. Juni 1998. Der 1. FC Nürnberg legt noch am gleichen Tag Einspruch gegen das 0:4 ein. 8. August 2019: „Bild“ titelt: „Jatta drohen 5 Jahre Haft und die Abschiebung“. 13. August 2019: Das Bezirksamt Hamburg-Mitte bittet Jatta bis zum 23. August um eine Stellungnahme. 15. August 2019: Jatta fliegt mit den HSV-Chefs nach Frankfurt, wo er beim DFB vorsprechen muss. 19. August: 2019: Nach Nürnberg unternimmt auch Bochum juristische Schritte. 25. August: In Karlsruhe wird Jatta ausgepfiffen und rassistisch beleidigt. Auch der KSC legt Einspruch ein.
- 30. August 2019: Jattas Anwalt Thomas Bliwier (hatte eine Fristverlängerung beantragt) reicht beim Bezirksamt Unterlagen ein, die die Identität Jattas beweisen sollen: einen gültigen Reisepass sowie eine von gambischen Behörden beglaubigte Geburtsurkunde und die eidesstattliche Versicherung eines zuständigen Beamten.
- 2. September 2019: Die Ermittlungen des Bezirksamts gegen Jatta werden eingestellt. Daraufhin ziehen die drei Zweitligaclubs ihre Einsprüche zurück.
- 20. September 2019: „Bild“ berichtet, dass sich Jatta mit einer Daffeh-E-Mail-Adresse 2015 bei den Behörden angemeldet habe. 17. Oktober 2019: Die Bremer Staatsanwaltschaft schließt die Akte Jatta.
- 8. Januar 2020: Die Staatsanwaltschaft Hamburg eröffnet – was erst später bekannt wird – ein Ermittlungsverfahren, nachdem es einen anonymen Brief der „Gemeinschaft Besorgter Bürger“ mit einer Strafanzeige gegen den HSV, den damaligen Trainer Dieter Hecking und den DFB gegeben hatte. Im Zuge der anschließenden Ermittlungen fallen den Behörden Kontakte Jattas zu Fußballern aus dem Senegal, Gambia und Nigeria auf, die früher auch mit Daffeh in Verbindung gestanden haben sollen. 20. Februar 2020: Jatta äußert sich im Vereinsmagazin „HSV live“ zu den Vorwürfen: „Ich wurde öffentlich an den Pranger gestellt. Aber wofür? Was hatte ich verbrochen? Ich habe mich gefühlt, als wollte man mich wegsperren, mich ins Gefängnis stecken.“ Und: „Zu Hause ist da, wo man Frieden findet. Und ich habe hier meinen Frieden gefunden.“
- 2. Juli 2020: Unliebsamer Besuch für Jatta in seiner Wohnung: Die Staatsanwaltschaft führt eine Hausdurchsuchung durch. Ihm wird der „Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz“ vorgeworfen. Mehrere elektronische Datenträger Jattas wie ein Handy und ein Laptop werden sichergestellt.
- 10. Juli 2020: HSV-Ultras vom Fanprojekt „Nordtribüne Hamburg“ fordern ein Ende der Ermittlungen und „die Rückgabe aller beschlagnahmten Geräte“.
- 27. Juli 2020: Bliwier bezeichnet die Vorwürfe als „zu Unrecht erhoben“ und erwartet die Einstellung des Verfahrens.
- 7. Mai 2021: Die Uni Freiburg veröffentlicht ein von der Hamburger Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass Jatta und Daffeh mit hoher Wahrscheinlichkeit dieselbe Person seien.
- 11. August 2021: Bliwier fordert die Behörden auf, endlich auch in Gambia zu ermitteln, wenn man denn weiterhin Verdacht gegen seinen Mandanten hege.
- 6. Dezember 2021: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Jatta.
- 8. März 2022: Das Amtsgericht Hamburg-Altona lehnt die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Damit gilt Jatta offiziell als unschuldig.
- 14. März 2022: Die Staatsanwaltschaft legt Beschwerde gegen den richterlichen Beschluss ein.
- 6. April 2022: Das Amtsgericht lehnt ein Befangenheitsgesuch der Staatsanwaltschaft gegen Richter Volker Stegmann ab.
- 8. Juli 2022: Das Hamburger Landgericht lehnt die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ab. Zu einem Verfahren in der Identitätsdebatte wird es somit nicht kommen. Weitere Rechtsmittel sind ausgeschlossen. Jatta ist Jatta.