Kaum ein Proficlub hatte in der Pandemie einen solchen Umsatzeinbruch wie der HSV. Das könnte jetzt zum Wettbewerbsvorteil werden.
- Der HSV ist von der Corona-Krise stärker gebeutelt als andere Profi-Vereine
- Jetzt hat der HSV offenbar zehn Millionen Euro Corona-Überbrückungshilfe vom Staat bewilligt bekommen
- Das Geld gibt dem HSV finanziell die Luft zum Atmen, die einigen Mitbewerbern fehlt
Hamburg. Die HSV-Mitgliederversammlung vor genau vier Wochen lief schon eine ganze Weile, als Finanzvorstand Frank Wettstein das Rednerpult betrat. Der 47-Jährige sprach natürlich über das liebe Geld, die Corona-Pandemie und erhielt dann aber den größten Applaus, als er ankündigte, dass er sich dafür einsetzen würde, dass es auch bald wieder Alkohol im Stadion geben müsse. Dann sagte Wettstein noch einen Satz, der kaum auffiel: „Wir haben auch staatliche Hilfen, sofern sie nicht rückzahlbar sind, in Anspruch genommen.“
Wer im Publikum nun dachte, dass damit der Stadion-Deal mit der Stadt gemeint war, der dem HSV 23,5 Millionen Euro eingebracht hatte, der irrte. So erfuhr das Abendblatt nach zahlreichen Gesprächen mit Club-Verantwortlichen erst nach der Mitgliederversammlung, dass der HSV sämtliche Rettungsprogramme des Staates geprüft hatte – und tatsächlich Überbrückungshilfen in Höhe von rund zehn Millionen Euro bewilligt bekommen haben soll. Das aus HSV-Sicht Beste an dieser Nachricht: Es handelt sich bei den Geldern, die bereits beschieden worden sind, um keinen Kredit, der zurückgezahlt werden muss, sondern um staatliche Corona-Hilfsgelder.
Der Hintergrund: Der HSV profitiert von einem millionenschweren Zuschussprogramm des Bundes für Unternehmen, bei dem man nachweisen muss, dass der Umsatz coronabedingt im Vergleich zu 2019 um mehr als 30 Prozent eingebrochen ist. Und genau das ist beim HSV – anders als bei den meisten anderen Fußball-Proficlubs – der Fall.
HSV: Corona-Hilfen sichern Kreditfähigkeit
Auf der Mitgliederversammlung kündigte Wettstein an, dass er die detaillierte Bilanz des Geschäftsjahres 2020/21 bis Ende Oktober bei der DFL einreichen und erst anschließend im November oder Dezember veröffentlichen werde. Vorab verriet der Finanzvorstand aber bereits, dass es im abgelaufenen Geschäftsjahr einen coronabedingten Umsatzeinbruch von rund 120 Millionen auf etwas mehr als 50 Millionen Euro gab. „Wir sind durch die Pandemie noch immer in der größten Krise im Fußball. Wir hoffen von Spiel zu Spiel auf mehr Zuschauer. Das wird aber noch Monate dauern“, sagte Wettstein, der sich trotz dieser Horrorzahlen zuversichtlich präsentierte: „Der HSV ist kreditfähig.“
Der Grund für Wettsteins Optimismus erklärt sich erst im Nachhinein. Denn was er vor vier Wochen nicht sagte, ist, dass Hamburgs Kreditfähigkeit auch an den üppigen Überbrückungshilfen liegt. Auf Nachfrage des Abendblatts wollte der Finanzchef des HSV zwar nun die konkrete Summe weder bestätigen noch dementieren, sagte aber: „Im Interesse unseres Clubs ist es unsere Aufgabe, Möglichkeiten staatlicher Förderungen zu identifizieren, zu prüfen und auch zu beantragen, wenn diese auf den HSV Anwendung finden können und für unsere Zwecke geeignet sind. Dies gilt für staatliche Programme zur Überbrückung der Corona-Krise genauso wie für sportbezogene Förderprogramme oder der Bezuschussung von zum Beispiel Investitionen im Bereich der Digitalisierung.“
HSV von Corona härter getroffen als viele Clubs
Vom Hilfsprogramm „Corona-Hilfen Profisport“ konnte der HSV allerdings nicht profitieren, da die 36 Proficlubs der Ersten und Zweiten Bundesligen nicht antragsberechtigt waren – anders als bei den Überbrückungshilfen für Unternehmen. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass wohl kaum ein anderer deutscher Proficlub derart von Corona getroffen wurde wie der HSV.
Denn anders als Erstliga-Clubs, die wie Frankfurt oder Köln ein vergleichbar großes Stadion betreiben, aber von den extrem hohen Medienerlösen der Ersten Liga profitieren, hat der HSV das Pech, in der Zweiten Liga aufgrund der sehr viel geringeren TV-Gelder prozentual sehr viel stärker auf Zuschauereinnahmen angewiesen zu sein: Vor dem Abstieg von Schalke gab es in der Zweiten Liga keinen Club, dessen Umsatz so stark von den Spieltagseinnahmen abhängig war. Allein durch die Geisterspiele in der vorigen Saison sollen dem HSV rund 25 Millionen Euro fehlen.
HSV hat dank Corona-Hilfen Wettbewerbsvorteil
Durch die langsame Rückkehr der Fans ist zwar Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Allerdings geht man beim HSV weiter davon aus, dass man erst ab Sommer 2022 wieder zur Normalität zurückkehrt. So verdient der HSV nach Abzug aller Kosten bei einer Auslastung von nur knapp 18.000 Zuschauern, wie sie derzeit von der Stadt Hamburg bewilligt ist, nach Abendblatt-Informationen lediglich rund 200.000 Euro statt der 1,5 Millionen Euro bei einem „normal“ ausverkauften Stadion.
Die bewilligten Corona-Millionen und der Stadion-Deal mit der Stadt verschaffen dem HSV nun genau die Luft zum Atmen, die den in Bredouille geratenen Clubs Werder Bremen und Schalke 04 auszugehen droht. Während der HSV im Frühjahr die Lizenz für beide Ligen ohne Bedingungen und Auflagen erhalten hatte, müssen Werder und Schalke noch bis zum 15. September nachbessern.
Im schlimmsten Fall droht beiden Clubs ein Abzug von jeweils sechs Punkten. Ärgerlich für Schalke und Bremen: Für den HSV-Rettungsanker sollen beide Clubs nicht antragsberechtigt sein.
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Allzu große Sprünge kann der HSV durch die staatlichen Hilfen aber nicht machen. Wie die meisten anderen Clubs musste der Gehaltsetat auch bei den Hamburgern runtergefahren werden (auf rund 20 Millionen Euro), zudem war der HSV auf Transfererlöse im Sommer angewiesen. Durch die Verkäufe von Amadou Onana (sieben Millionen Euro), Jeremy Dudziak (750.000 Euro) und Rick van Drongelen (500.000 Euro) blieb am Ende ein Transferüberschuss von knapp fünf Millionen Euro übrig.
Und während sich auf der Mitgliederversammlung ein Großteil der etwas mehr als 400 Fans über die Aussicht freute, demnächst wieder „normales“ Bier im Stadion zu trinken, blieb die Hauptnachricht des Tages fast unbemerkt: Die Liquidität des HSV soll trotz der noch immer nicht überstandenen Corona-Krise bis zum Ende des laufenden Geschäftsjahrs am 30. Juni 2022 gesichert sein. Na dann: Prost!