Hamburg. Im Gegensatz zu St. Pauli ist beim HSV kein Psychologe bei den Profis angestellt. Der Club tut sich schwer – wie die gesamte Liga.
Am Ende war es wie immer in den vergangenen Jahren. Neun Zugänge und 14 Abgänge nach Abschluss der Transferperiode bedeuteten erneut einen großen Umbruch im HSV-Kader. Mit Tim Walter startete zudem zum dritten Mal in Folge ein neuer Trainer in die Saison. Von einem Transfer bekam zwischen all diesen Wechseln aber kaum jemand etwas mit. Reflexionscoach Martin Daxl verließ den HSV nach nur einer Saison. Der 60-Jährige arbeitet nun für Eintracht Frankfurt.
Manager Markus Krösche kannte Daxl noch aus ihrer Zeit beim SC Paderborn. „Es geht um die Vermittlung von positiven Dingen. Damit die Spieler frei sind und Schwierigkeiten als Herausforderung ansehen. Am Ende sind es im Fußball Kleinigkeiten, die den Erfolg ausmachen“, sagte Krösche.
Daxl wurde in seiner Zeit beim HSV wahlweise als Reflexions,- Potenzial- oder Mentaltrainer bezeichnet. In jedem Fall hatte er die Aufgabe, durch Beobachtungen und Einzelgespräche den mentalen Zustand der Spieler zu optimieren. „Ab einem gewissen Level kann ja jeder Fußball spielen. Ich denke aber schon, dass sich auch ganz viel im Kopf entscheidet. Da kann man noch einige Prozente rausholen“, sagte HSV-Verteidiger Jan Gyamerah vor einem Jahr im Abendblatt über die Zusammenarbeit mit Daxl.
HSV verzichtet auf Psychologe
In dieser Saison verzichtet der Club wieder auf die Hilfe eines Mentaltrainers. Nach dem verpassten Aufstieg entschied Sportvorstand Jonas Boldt, den Vertrag mit Daxl nicht zu verlängern. Der Reflexionscoach, der mehrmals pro Woche auf freiwilliger Basis für Gespräche zur Verfügung stand, sollte insbesondere in der entscheidenden Saisonphase dazu beitragen, dass die Spieler bei sich bleiben und sich nicht von äußeren Faktoren beeinflussen lassen. Am Ende aber scheiterte der HSV einmal mehr an sich selbst und dem Druck von außen.
Dass die Arbeit mit dem von Boldt geholten Daxl nicht so klappte, wie sich die Verantwortlichen das vorstellten, lag offenbar auch am fehlenden Vertrauensverhältnis zwischen dem Mentaltrainer und Ex-HSV-Coach Daniel Thioune. Und genau hier liegt auch die Ursache, warum es dem HSV so schwerfällt, einen Mentaltrainer bei den Profis über einen längeren Zeitraum zu beschäftigen. Durch die ständigen Wechsel bringt jeder neue Trainer seine eigenen Ideen mit. Sportpsychologen, die viel mitbekommen, was innerhalb einer Mannschaft passiert, sind einem neuen Trainer oft ein Dorn im Auge.
HSV ohne Psychologe: Das macht die Liga
So ist es auch zu erklären, das von den aktuell 18 Zweitligisten nur sechs Vereine einen Mentaltrainer beschäftigen. Bei Hannover 96 und dem Karlsruher SC steht der Sportpsychologe aus dem Nachwuchs auch den Profis bei Bedarf zur Verfügung. Neben Fortuna Düsseldorf und dem FC Ingolstadt setzt ansonsten nur der FC St. Pauli auf einen Trainer für den Kopf: Seit der vergangenen Saison gehört der Sportpsychologe Christian Spreckels (56) zum festen Team um Chefcoach Timo Schultz (44).
Spreckels arbeitet seit vielen Jahren als Sportwissenschaftler an der Universität Hamburg und lernte Schultz kennen, als dieser selbst noch Sport studierte. Später trafen sie sich bei einem Stadtderby im Nachwuchs wieder. Als Schultz dann vor einem Jahr zu den Profis befördert wurde, rief er Spreckels an und überzeugte ihn, für den Kiezclub zu arbeiten.
Einmal in der Woche kommt Spreckels nun zum Training und führt anschließend Gespräche mit den Spielern. Zwischen Schultz und Spreckels, der sich nur im Hintergrund aufhält, ist ein Vertrauensverhältnis gewachsen, das für diesen Job von hoher Bedeutung ist.
Ex-HSV-Psychologe bei St. Pauli
Spreckels war von 2016 bis 2018 unter Trainer Markus Gisdol auch beim HSV tätig und betreute die Mannschaft in vielen Druckmomenten. Gisdols Nachfolger Bernd Hollerbach sah dann keine Notwendigkeit mehr, mit dem Mentaltrainer zu arbeiten. Als der HSV abstieg, war auch Spreckels Mission im Volkspark beendet.
Ein Jahr später sagte er im Abendblatt über die fehlenden Sportpsychologen in den Fußballclubs: „Die Belastungsfaktoren für Fußballer, die unter dem Brennglas der Öffentlichkeit stehen, sind extrem hoch. Deswegen wäre es wünschenswert, wenn Fußballer dieses Phänomen auch für sich erkennen würden.“ Wichtig sei, die Arbeit mit einem Sportpsychologen als langfristigen Prozess zu verstehen. „Optimalerweise wird Mentaltraining auch kontinuierlich und nicht nur in Krisensituationen angeboten“, sagte Spreckels.
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Holt HSV doch noch einen Psychologen?
HSV-Sportvorstand Boldt will sich dem Thema weiter widmen und die Augen offen halten. Im Nachwuchs beschäftigt der Club mit Frank Weiland und Sinikka Heisler bereits zwei Sportpsychologen. In den Profiteams wird dieses Potenzial aber noch zu selten ausgeschöpft. „Auf Topniveau ist der Kopf die wichtigste Komponente. Warum trainieren wir ihn dann so wenig?“, fragte Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste (36) kürzlich in einem Abendblatt-Gastbeitrag.
Fürste könnte auch Boldt fragen. Die beiden sind eng befreundet und spielen zusammen Golf. Dabei dürften beide erfahren, welche Rolle der Kopf spielt, wenn der entscheidende Putt ansteht.