Hamburg. Finanzen, Fans, Trainingslager: Wie sich der HSV angesichts der zugespitzten Corona-Lage vorbereitet. Geisterspiele drohen schon bald.

Am Montag sah Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) die Zeit für einen warnenden Appell an die Gesellschaft gekommen. „Die Infektionsdynamik ist in Deutschland nach wie vor zu hoch“, sagte er mahnend. „Das wichtigste Ziel muss daher sein, die Verbreitung der neuen Virusvariante in Deutschland zu verhindern.“ Auf den Tag genau ein Jahr sind diese Aussagen mittlerweile her. Es sind Sätze, die wie ein Déjà-vu klingen, denn die Befürchtungen über mutmaßlich verheerende Auswirkungen einer neuen Corona-Variante sind aktueller denn je. War es am 21. Dezember 2020 noch die Alpha-Mutante, vor der Tschentscher warnte, ist es inzwischen eine Omikron-Welle, die in Europa ihr Unwesen treibt.

An diesem Dienstag wird Tschentscher beim vorgezogenen Bund-Länder-Gipfel mit seinen Amtskollegen sowie Kanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) zusammensitzen, um über neue Einschränkungen zu diskutieren. Auch der Fußball und die beiden Hamburger Proficlubs HSV und FC St. Pauli blicken längst mit Sorge auf die aktuellen Entwicklungen in den Nachbarländern.

HSV und St. Pauli müssen schon im Januar mit Geisterspielen rechnen

Schon zum Jahresauftakt steht die Rückkehr der Geisterspiele bevor. Das geht aus der Beschlussvorlage für das Bund-Länder-Treffen hervor. Demnach sollen „überregionale Sport-, Kultur- und vergleichbare Großveranstaltungen“ spätestens ab dem 28. Dezember ohne Zuschauer stattfinden. In einer ersten Version des Beschlussentwurfs war noch von Obergrenzen bei Teilnehmern die Rede.

Zwei Tage vor dem Auftakt des Spielbetriebs nach der Winterpause, wenn der HSV bei Dynamo Dresden gastiert (14. Januar), läuft die Corona-Eindämmungsverordnung der Stadt aus. Diese regelt bislang, dass Fußballstadien bis zu 50 Prozent ausgelastet werden dürfen – bei maximal 15.000 Fans. Hoffte der HSV im Sommer noch auf einen Schnitt von 30.000 Besuchern, so kalkuliert Finanzvorstand Frank Wettstein inzwischen mit 15.000 Zuschauern für jedes noch ausstehende Heimspiel. Zusammengerechnet mit den verkauften Tickets bei den bisherigen zehn Heimspielen ergäbe Wettsteins Kalkulation am Ende einen Schnitt von 19.600 Fans.

St. Pauli: "Das Dortmund-Spiel ist wirtschaftlich hochinteressant"

Weitaus defensiver kalkuliert der Stadtrivale, der am 18. Januar Borussia Dortmund im Achtelfinale des DFB-Pokals empfängt. „Wir wissen heute längst nicht, wie viele Zuschauer für die Heimspiele gegen Aue am 15. Januar und drei Tage später gegen den BVB zugelassen werden“, sagt Bernd von Geldern, Geschäftsleiter Wirtschaft beim FC St. Pauli. „Das Dortmund-Spiel ist wirtschaftlich hochinteressant. Sehr interessant ist der Hospitality-Bereich, weil wir dort nur den höchsten Preis für ein Public- Ticket mit dem Gegner teilen müssen.“

Auch der gesamte Spielbetrieb steht vor schweren Zeiten. In England wurden am Wochenende nur vier Premier-League-Spiele durchgeführt, die restlichen sechs Partien waren im Vorfeld wegen Corona-Infektionen unter den Spielern abgesagt worden. Selbst der traditionelle Boxing Day an Weihnachten ist auf der Insel nun in Gefahr. In Deutschland wächst die Angst vor solchen Szenarien. Erste Modellrechnungen sagen voraus, dass sich Omikron hierzulande zwischen Mitte Januar bis Anfang Februar mit voller Wucht ausgebreitet haben könnte, weshalb auch der Fußball mit Konsequenzen rechnen muss.

HSV-Spieler lassen sich boostern – was wird aus dem Trainingslager?

Um die Gesundheit der Spieler zu schützen und die eigene Wettbewerbsfähigkeit so hoch wie möglich zu halten, haben sich beim HSV mehrere Profis direkt nach dem Schalke-Spiel am vergangenen Sonnabend (1:1) mit einer Auffrischungsimpfung boostern lassen – so wie auch schon nach den zwei Heimspielen davor, als sich der Großteil der Spieler einen Piks im Ärztezimmer in den Katakomben des Volksparkstadions abholte. Generell ist der HSV über die hohe Boosterbereitschaft seiner Protagonisten auf dem Rasen erfreut. Inzwischen ist jeder innerhalb der Mannschaft mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft. Bis zum geplanten Trainingslager vom 2. bis 8. Januar im südspanischen Sotogrande (Andalusien) sollen  alle Spieler doppelt geimpft sein.

Ob das Trainingslager aber überhaupt stattfindet, kann momentan keiner beantworten. Vieles hängt davon ab, wie sich die Infektionszahlen bis Jahresende entwickeln. Die Verantwortlichen des HSV wollen mit ihrem bislang vorbildlich funktionierenden Hygienekonzept ihren Teil dazu beitragen, dass der Tross per Charterflug auf Reisen gehen kann. So wird allen Spielern und Mitarbeitern beim Trainingsauftakt am 30. Dezember auf dem Parkplatz vor dem Volksparkstadion eine Probe für einen Drive-in-Schnelltest auf PCR-Basis abgenommen. Das Ergebnis liegt nach rund 45 Minuten vor. Die meisten Spieler werden in dieser Zeit nach Hause fahren, bevor am Nachmittag trainiert wird. Durch dieses Verfahren wird verhindert, dass die Profis vor der Gewissheit eines positiven Befundes (also negativ!) in Kontakt treten – und dadurch womöglich das gesamte Trainingslager gefährden.

HSV ist überzeugt: Spieler wären in Spanien gut vor Corona geschützt

In den vergangenen Tagen wurden beim HSV intensive Gespräche über die Organisation des Camps in Spanien geführt. Am Ende waren alle Entscheidungsträger davon überzeugt, dass die Spieler in einem Quartier besser vor dem Virus geschützt sind als im häuslichen Umfeld, wo beispielsweise ungeimpfte Kinder in die Kita gehen und viele Kontakte haben. „Wir haben uns darüber sehr viele Gedanken gemacht“, sagte Sportdirektor Michael Mutzel dem Abendblatt. „Wir haben im Hotel einen eigenen Flügel für uns. Das größte Argument für diese Reise war, dass die Gefahr, sich anzustecken, wahrscheinlich für die Jungs durch ihre Familien hier in Hamburg größer als in unserer Trainingslager-Blase wäre.“

Weitere HSV-Berichte:

Auch interessant

Auch interessant

Auch interessant

Eine solche Blase soll es auch beim FC St. Pauli geben, der vom 2. bis 9. Januar per Charterflug gemeinsam mit Zweitligist Werder Bremen nach Benidorm an die spanische Ostküste reist. Die ursprünglich vorgesehene Begleitung von Präsidiums- und Aufsichtsratsmitgliedern sowie Sponsorenvertretern ist gestrichen worden, damit die Mannschaft so wenig Kontakte wie möglich  hat. Zuvor kommen die Spieler am Neujahrstag im Trainingszentrum an der Kollaustraße zusammen und werden wie üblich vor dem Eintritt in die Kabine auf Covid-19 getestet. Damit sich die Profis auch während der Feiertage regelmäßig testen, haben sie ein Päckchen mit Schnelltests für den Urlaub erhalten. „Wir können es ihnen nicht verbieten, ihre Familien zu besuchen. Aber die Jungs sind sehr gewissenhaft. Viele bleiben auch hier oder fahren nur zwei, drei Tage weg“, sagte Trainer Timo Schultz.

Sorge vor Situation wie in England ist groß

Vor dem Start in die Weihnachtsferien sensibilisierte auch Mutzel gemeinsam mit Sportvorstand Jonas Boldt die Mannschaft des HSV für die veränderte Corona-Lage. In ihrer Rede warnten beide Manager eindringlich vor der Omikron-Variante und mahnten zu Vorsicht während der Feiertage. „Wir sind glücklicherweise bislang sehr gut durch diese ganze Zeit gekommen. Unsere Jungs gehen sehr verantwortlich mit dem Thema um“, sagte Mutzel. „Allerdings ist die Sorge groß, dass die Gesamtlage nicht besser wird, wenn man sich die Ereignisse in England anschaut. Auf ähnliche Szenarien muss man sich wohl auch im Januar im deutschen Fußball einstellen.“

Jonas Boldt (r.) und Michael Mutzel wollen eine entwicklungsfähige Mannschaften beim HSV aufbauen. Säulenspieler gebe es nach wie vor.
Michael Mutzel (l.) im Gespräch mit Jonas Boldt. Beim HSV wurde viel über Omikron diskutiert. © Witters | Unbekannt

Trotz immer realer werdender Fan-Beschränkungen und den damit verbundenen Einnahmeausfällen sieht sich der HSV gerüstet für alle noch anstehenden Wellen dieser Pandemie. Selbst wenn nun Geisterspiele für den Rest der Saison kommen, stünde der HSV nicht vor dem finanziellen Kollaps. Anders soll es dagegen bei einigen Erst- und Zweitligisten aussehen, die von Ticketeinnahmen abhängiger als der HSV sind.

Wie sich St. Pauli auf Omikron vorbereitet

„Bis zum Ende der Saison haben alle Vereine eine wirtschaftliche Liquiditätsplanung in Form der Lizenzierungsunterlagen abgegeben. Damit ist jeder Verein bis zum Ende der Saison zumindest testiert“, kontert Oke Göttlich. Der Präsident des FC St. Pauli und Präsidiumsmitglied bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) weiß allerdings auch, auf welchen zum Teil optimistischen Prognosen basierend die Lizenzen vergeben wurden. „Wenn es Abweichungen von der Planung gibt, kann dies zu Problemlagen führen. Am Ende ist es so klar wie einfach: Einer lang andauernden Krise kann nur mit Cash begegnet werden.“ Im schlimmsten Fall droht einigen Clubs die Insolvenz.

Auch interessant

Wohl auch deshalb sind sich die DFL-Vertreter einig, dass einzelne Spieltage auch bei steigenden Corona-Zahlen nicht verschoben werden sollen. Denn dann drohe ein neuer Streit mit den Inhabern der TV-Rechte, gegenüber denen sich die Clubs der Ersten und Zweiten Liga schadenersatzpflichtig machten. Bevor es zu Absagen kommt, soll es zur Not Geisterspiele geben. Hauptsache, der Ball rollt  im Fernsehen. Erst wenn nicht mindestens 15 Spieler eines Kaders einsatzfähig sind, würde ein einzelnes Spiel abgesagt. Notwendig wurde ein solcher Fall bislang nur einmal bei St. Paulis Ende November nachgeholtem Heimspiel gegen Sandhausen (3:1).

HSV hat Geld zurückgelegt – stockt der Verein über Abgänge auf?

Wegen der ungewissen Zukunft hat sich der HSV im vergangenen Sommer eine nicht unwesentliche Geldsumme zurückgelegt. Da bereits die jüngste Zuschauerbeschränkung zu Umsatzeinbußen in Millionenhöhe führe, schrumpft allerdings das Budget für den Winter – mit Konsequenzen für die Transferplanung.

Intern ist sich der zweiköpfige Vorstand nach Abendblatt-Informationen einig, dass maximal ein Neuzugang kommen soll. Und zwar nur, wenn die sportliche Leitung vollends überzeugt von der Verpflichtung ist und diese nicht zu finanziellen Folgeproblemen führt. Sollte ein Spieler den HSV im Januar verlassen, könnte sich der finanzielle Spielraum für Transfers erhöhen.

Tommy Doyle – ein Kandidat für den Abgang

Ein Kandidat für einen Abgang ist Tommy Doyle. Der von Manchester City ausgeliehene Mittelfeldspieler kam bislang nur 71 Zweitligaminuten zum Einsatz. Im Gespräch ist nun, ob seine bislang unglücklich verlaufende Leihe vorzeitig beendet wird. Erschwerend für Doyles Zukunft in Hamburg kommt hinzu, dass er das Trainingslager verpassen dürfte, da er für die Weihnachtszeit bereits in seine Heimat nach Großbritannien geflogen ist. Gemäß der aktuellen Einreisebestimmungen des Auswärtigen Amtes muss er sich bei seiner Ankunft in Deutschland in eine 14-tägige Quarantäne begeben. Der Impfstatus spielt hierfür keine Rolle. Doyles Rückkehr erscheint damit unwahrscheinlich.

Auch interessant

Sein Schicksal wird durch die Auswirkungen der Omikron-Variante beschleunigt. Doch auf den Fußball warten noch ganz andere Herausforderungen. „Wir müssen uns auf alles gefasst machen, selbstverständlich sind alle alarmiert“, sagt Göttlich, der zugleich an die positiven Erfahrungen mit dem DFL-Hygienekonzept erinnert, welches während des ersten Lockdowns im März 2020 entwickelt und nach einem aus Corona-Sicht milden Sommer 2021 etwas gelockert wurde. „Mit Sicherheit müssen wir dieses Konzept – wie beim FC St. Pauli bereits seit Anfang November – wieder in die damalige Spur zurückdrehen.“

Vor einem Jahr, als kaum einer gegen Corona geimpft war, diente jenes Konzept als Basis dafür, dass der Spielbetrieb aufrechterhalten werden konnte – allerdings zum Preis von Geisterspielen bis zum Saisonende. Ein Modell, das Bürgermeister Tschentscher nun wieder verkünden könnte. Und das trotz einer inzwischen deutlich höheren Impfquote.