Hamburg. Hamburgs Bundesligahandballer empfangen an diesem Sonnabend THW Kiel. Geschäftsführer Frecke spricht offen über Europa.
Wenn Sebastian Frecke an diesem Sonnabend die Barclays Arena betritt, ist er bereits etwas schlauer. Natürlich weiß der Geschäftsführer des HSV Hamburg (HSVH) dann noch nicht, was das ausverkaufte Heimspiel gegen den deutschen Handball-Rekordmeister THW Kiel (20.30 Uhr/Sky) bringen wird. Wohl aber, ob die erst vor zwei Jahren in die Bundesliga aufgestiegenen Hamburger dem lange Zeit für unmöglich gehaltenen Traum von Europa schon einen großen Schritt näher gekommen sind.
Dies hängt in erster Linie davon ab, was rund 150 Kilometer nördlich passiert. Beim Final Four der European League werfen die Füchse Berlin gegen den französischen Tabellenzweiten Montpellier HB (15.30 Uhr/DAZN) um den Einzug ins Finale am Sonntag (18 Uhr). Das andere Halbfinale bestreiten Bundesligist Frisch Auf Göppingen und BM Granollers aus Spanien. Mit Montpellier wartet aber bereits im Halbfinale der wohl schwierigste Gegner für die Berliner.
Handball: Bei einem Füchse-Triumph winkt Europa
Gewinnen die favorisierten Füchse die European League, würde der Tabellensechste der Bundesliga einen zusätzlichen Startplatz für den zweithöchsten europäischen Wettbewerb erhalten.
„Ich gucke grundsätzlich gerne Handball. Das Final Four in Flensburg werde ich aber nochmal mit anderen Augen verfolgen, weil die Spiele eine besondere Bedeutung für uns haben könnten“, sagt Frecke, dessen HSVH derzeit eben jenen sechsten Platz belegt. „Wenn Berlin den Wettbewerb gewinnen sollte, müssen wir konkret über Europa sprechen. Sonst wäre Platz sechs zwar ein großer Erfolg, aber ohne Auswirkungen auf die nächste Saison.“
Nur noch Hannover kann den HSVH verdrängen
Nach der 25:34-Niederlage der MT Melsungen am Donnerstagabend gegen die Rhein-Neckar Löwen hat nur noch die TSV Hannover-Burgdorf eine realistische Chance, den HSVH noch von Platz sechs zu verdrängen.
Doch selbst wenn Hannover alle verbleibenden drei Saisonspiele gegen die SG Flensburg-Handewitt, GWD Minden und den TVB Stuttgart gewinnen sollte, würden dem HSVH zwei Siege aus den verbleibenden vier Spielen gegen Kiel, den SC DHfK Leipzig, Berlin und Melsungen reichen. Den direkten Vergleich mit Hannover hat der HSVH gewonnen.
Frecke muss sich auf Europa vorbereiten
Das weiß auch Geschäftsführer Frecke, der sich lange gegen ein mögliches Europa-Szenario wehrte, sich nun aber konkret darauf vorbereiten muss – zumal der HSVH drei seiner vier verbleibenden Saisonspiele in der heimischen Arena austragen darf. „Die Chance auf Platz sechs ist absolut realistisch“, räumt Frecke ein. „Auch unabhängig von einer möglichen Europapokal-Qualifikation spielen wir eine überragende Saison.“
Fest steht bereits, dass der Kader trotz einer möglichen Dreifachbelastung nicht weiter verstärkt werden kann. „Das Trainerteam und die Mannschaft wissen, dass wir unabhängig von Europa auf dem Transfermarkt für die kommende Saison nicht mehr aktiv sein werden. Unsere Personalplanung ist im Rahmen unseres Budgets bereits abgeschlossen“, sagt Frecke.
Der kroatische Rückraumlinke Tomislav Severec (25/von RK Nexe Nasice/Kroatien) und der ungarische Rückraumrechte Zoran Ilic (21/Telekom Veszprem/Ungarn) bleiben die einzigen externen Neuzugänge, hinzu kommt Linksaußen Alexander Hartwig (19) aus der eigenen Jugend. Mit den Abgängen von Rückraumspieler Nicolai Theilinger (31/zum TBV Lemgo Lippe) und Linksaußen Tobias Schimmelbauer (35/Karriereende) wächst der Kader damit um eine Position.
Gesamtetat des HSVH soll weiter wachsen
Auch der Gesamtetat von derzeit rund fünf Millionen Euro soll zur neuen Saison wachsen, allerdings nur moderat. Eine genaue Zahl kann und will Frecke nicht nennen – nach Abendblatt-Informationen geht es jedoch um einen Zuwachs im niedrigen bis mittleren sechsstelligen Bereich.
Damit wäre der HSVH insgesamt immer noch im unteren Viertel der Liga angesiedelt. Durch die im Vergleich zu anderen Standorten hohen Mietkosten für die Heimspielstätten Sporthalle Hamburg und Barclays Arena befindet sich der Club mit seinem reinen Personaletat sogar unter den letzten vier Teams der Liga.
European League wäre eine finanziell Belastung
Anders als im Fußball, wo bei einer Europapokalteilnahme Millionensummen winken, würde die European League zunächst einmal eine weitere finanzielle Belastung werden.
„Wir wissen noch nicht genau, was Europa finanziell für uns bedeuten würde. Wenn wir über die Qualifikationsrunde hinauskommen und in die Gruppenphase einziehen sollten, gehen wir von einem mittleren sechsstelligen Betrag aus, der unter anderem aufgrund der Heimspiel-, Reise- und Hotelkosten auf uns zukommen würde“, sagt Frecke. „Es wäre dann unsere Aufgabe, dass wir die Kosten durch weitere Partner und Ticketeinnahmen kompensieren, um eine schwarze Null oder bestenfalls sogar Gewinn zu erzielen.“
Zuschauerschnitt in der Bundesliga meist höher
Die Erfahrung zeigt zudem, dass Spiele im Europapokal in der Regel einen schwacheren Zuschauerschnitt als Partien der Bundesliga haben. Dies liegt unter anderem daran, dass Dauerkarten nur für die Ligaspiele gelten und die Partien meist abends an Werktagen stattfinden.
Strukturell ist der HSVH zwei Jahre nach dem Aufstieg noch nicht auf dem Niveau eines Europapokalteams, nach dem Abgang von Freckes Co-Geschäftsführer Florian Gehre, der sich vor allem um finanzielle Themen kümmerte, hat der HSVH-Boss etliche Themen gleichzeitig auf dem Schreibtisch.
Frecke erhofft sich neue Sponsoren
Insbesondere die Sponsorenakquise erfordert viel Zeit, bei einer Qualifikation für den europäischen Wettbewerb erhofft sich Frecke in diesem Bereich allerdings mehr Zuspruch. „Ich glaube, dass es für bestehende und neue Partner interessant sein würde, uns auf dem Weg durch Europa zu begleiten. Ich gehe davon aus, dass wir Unternehmen finden würden, die uns dabei unterstützen“, sagt er. „Wir haben das Glück, dass wir unter anderem Eurowings in unserem Netzwerk haben, die uns bei vielen Reisen helfen könnten.“
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Für Entlastung in den Bereichen Scouting und Kaderplanung wird perspektivisch Torhüter Johannes Bitter sorgen, der bereits jetzt an den Job herangeführt werden und in zwei bis drei Jahren den Posten des Sportdirektors übernehmen soll. „Wir werden uns durch die perspektivische Einbindung von Jogi Bitter ins sportliche Management strukturell weiter professionalisieren“, sagt Frecke. Das alles aber: Zukunftsmusik.
Zunächst einmal ist der HSVH gegen den THW an diesem Sonnabend der klare Außenseiter. Im rechten Rückraum fällt der etatmäßige Rückraumrechte Jacob Lassen (Saisonaus nach Schlüsselbeinbruch) aus, sein Vertreter Theilinger (Hüfte) ist seit Wochen angeschlagen. Kiel hingegen reist in Topform an, darf sich als Tabellenführer keinen Ausrutscher im Kampf um den 23. Meistertitel erlauben.
Für eine Rekordkulisse sorgen derweil 12.000 Zuschauer. Der bisherige Topwert seit der Insolvenz des HSV Handball 2016 datiert aus dem Jahr 2017, als der damals noch in der Dritten Liga aktive HSVH vor 9964 Fans ein Highlightspiel gegen den VfL Fredenbeck bestritt.
„Die erstmals ausverkaufte Arena ist ein absoluter Meilenstein für uns. Wir bekommen immer noch Anfragen, ob nicht doch noch ein freier Platz verfügbar ist“, sagt Frecke. „Der sportliche Erfolg unserer Mannschaft trägt dazu bei, dass wir für die Hamburger, die Handball zuletzt nicht auf dem Zettel hatten, wieder interessant sind.“ Mit anderen Worten: Auf der deutschen Handball-Landkarte ist Hamburg zurück – und mit guten Chancen bald auch wieder auf der europäischen.